Erhebung von patientenberichteten Endpunkten: Einblicke aus der Psychiatrie

Die europäische Regulation zum Health Technology Assessment (EU HTAR) hat eine Stärkung der European Health Union im Blick.1 Es ist davon auszugehen, dass sich mittel- bis langfristig die Diskussion um die Zielgrößen für klinische Studien und die Patientenversorgung weiter vertieft und vereinheitlicht. Patientenberichteten Endpunkten kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dabei werden Patient-Reported-Outcomes (PROs) in der Methoden-Guidance der EU HTA-Koordinierungsgruppe als „any report of the status of the patient’s health condition that comes directly from the patient, without interpretation of the patient’s response by a clinician or anyone else“2 definiert.
Bei psychischen Erkrankungen bilden diese Erhebungsinstrumente sowohl in der klinischen Routine als auch in der Forschung eine wichtige Rolle. So befasst sich seit 2017 eine Arbeitsgruppe innerhalb der OECD mit der Entwicklung internationaler Standards für Patient-reported-Indicators bei psychischen Erkrankungen.3 Die Harmonisierung der PRO-Erhebungsinstrumente ist dabei eine Voraussetzung, um Erfahrungen über die nationalen Grenzen hinweg zu teilen und bei Erkrankungen wie Depression, Bipolaren Störungen oder Schizophrenie international Zielgrößen zu definieren.
Die systematische Integration von PRO-Instrumentarien in der psychiatrischen Versorgung ermöglicht zum Beispiel bei suizidgefährdeten Patienten die Erfassung früher Warnsignale, oder im ambulanten oder teilstationären Bereich die Erhebung anderer wichtiger „Between-visit“- Informationen.4 Allerdings erfordert der zielführende Umgang mit diesen Instrumenten Sachkenntnis und Erfahrung. Die Kooperation und Motivation der Patienten spielt dabei eine wichtige Rolle, ebenso das „buy in“ seitens der Mitarbeiter einer Klinik oder ambulanten Versorgungseinrichtung.
Abbildung 1: Von PROMs sind die PREMs zu unterscheiden, die vor allem auf die Erfahrungen des Patienten abheben.
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Hinter der Begrifflichkeit PRO bzw. PROM (Patient Reported Outcome Measures) verbergen sich verschiedene Konzepte, die differenziert zu betrachten sind. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde der Outcome von Lebensstilinterventionen, wie gesunde Diät und körperliche Aktivität, bei schweren psychiatrischen Erkrankungen untersucht. Die Metaanalyse umfasst 21 Studien mit insgesamt 5907 Patienten. Dabei ergab sich kein Effekt der genannten Interventionen auf die Lebensqualität. Die krankheitsbezogenen Instrumente zur Erfassung des Schweregrades der Depression bzw. der Angstsymptomatik zeigten jedoch einen positiven Effekt.5
Konzeptionell sind entsprechend generische Erhebungsinstrumente mit einer breiten, umfassenden Perspektive von krankheitsbezogenen, auf die spezifische Erkrankung ausgerichteten Erhebungsinstrumenten zu differenzieren. Weiterhin sind von den generischen oder krankheitsbezogenen PROMs die Patient-Reported Experience Measures (PREM) zu unterscheiden. Diese werden ebenfalls von den Patienten selbst berichtet, sind jedoch weniger auf den eigenen Gesundheitszustand als auf die Erfahrungen der Patienten mit der Gesundheitsversorgung ausgerichtet.6, 7
In einer 2023 publizierten, an der Université Paris Cité durchgeführten Studie wurden PROMs und PREMs von 248 Patienten erfasst, die an einer psychiatrischen Universitätsklinik aufgenommen wurden. Alle drei Dimensionen: i) generische PROMs; ii) krankheitsspezifischen PROMs; und iii) PREMs wurden erhoben. Dabei zeigte sich eine Verbesserung der PROMs während des Klinikaufenthaltes. Die PREMs lagen sehr nahe bei den parallel erhobenen Ratings der Ärzte, waren aber nur schwach mit den etablierten klinischen PRO-Messinstrumenten korreliert. Die Autoren empfehlen entsprechend die Messung aller drei Dimensionen als Indikatoren für den Therapieerfolg und die Qualität der Patientenversorgung.8
Abbildung 2: Eine Dominanz eines singulären Endpunktes ist in der Psychiatrie nicht absehbar. Stattdessen müssen verschiedene Dimensionen der patientenberichteten Outcomes gleichermaßen berücksichtigt werden.
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Aktuelle Trends hin zu „User-Centered Health CareModels“ oder auch dem „Shared-Decision-Making“ zeigen die Relevanz der patientenzentrierten, partnerschaftlichen Gesundheitsversorgung. Ethische Erwägungen, die Berücksichtigung der Patientenrechte und vor allem die Ausrichtung auf bessere Therapieerfolge durch die aktive und gleichberechtigte Einbindung der Patienten, machen diese Trends unumkehrbar. Die Integration unterschiedlicher Perspektiven (Patient/ Angehörige/Care Giver) ist dabei ebenso wichtig wie die Betrachtung der verschiedenen Dimensionen der patientenberichteten Endpunkte.
Eine Befragung von Patienten und des MDK9 ergab:
- Mortalität ist in der Regel kein geeigneter Outcome bei psychischen Erkrankungen (mit Ausnahme von Suizidstudien).
- Rückfallfreies und (voll) funktionsfähiges Langzeitüberleben (Recovery-Konzept) sind hingegen sinnvoll.
- Surrogatparameter hierfür sind bezahlte Arbeit und stabile Partnerschaft (sekundäre Endpunkte). Primäre Endpunkte sind weiterhin die Messung der Psychopathologie und der Funktion.
Zusammenfassend ist zu betonen, dass sich eine am Patientenwohl ausgerichtete moderne Psychiatrie wesentlich auf differenzierte patienten-zentrierte Erhebungsinstrumentarien stützt. Eine Dominanz eines singulären Endpunktes wie zum Beispiel das Gesamtüberleben in der Onkologie ist dabei nicht absehbar und wahrscheinlich bei der Komplexität psychischer Erkrankungen auch nicht sinnvoll.
Es sind vielmehr die verschiedenen Dimensionen der patientenberichteten Outcomes gleichermaßen zu berücksichtigen, wie unter anderem: generische breit angelegte Instrumente; krankheitsbezogene Instrumente und die Erhebung der PREMs, d.h. der Erfahrungen, die der Patient mit der Gesundheitsversorgung macht. Sprunginnovationen sind derzeit weniger absehbar. Die schrittweise Verbesserung der Versorgung psychiatrischer Patienten auf Basis der Erhebung von PROMs und PREMs und entsprechender Surrogatparameter wie „bezahlte Arbeit“ und „stabile Partnerschaft“ stehen im Zentrum der Forschungsbemühungen.
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Prof. Dr. Peter Falkai ist seit 2012 Lehrstuhlinhaber der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum der LMU München. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde von 2011 bis 2012, Mitglied der Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften.
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Prof. Dr. Jörg Ruof ist Mitglied im Beirat der Plattform Nutzenbewertung. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Master of Business Administration und Master of Public Health. Außerordentliche Professur am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Medizinischen Hochschule Hannover. 2017 Gründung der r-connect GmbH. 2021 Gründung der „European Access Academy“.
1 Regulation (EU) 2021/2282 of the European Parliament and of the Council of 15 December 2021 on health technology assessment and amending Directive 2011/24/EU. https://go.sn.pub/kp5l9f [Zugriff: 25.1.2025]
2 HTA Coordination Group: Guidance on outcomes for joint clinical assessments. Adopted on 10 June 2024 by the HTA CG pursuant to Article 3(7), point (d), of Regulation (EU) 2021/2282 on Health Technology Assessment https://go.sn.pub/qahh23 [Zugriff: 25.1.2025]
3 de Bienassis K, Kristensen S, Hewlett E, et al. Patient-reported indicators in mental health care: towards international standards among members of the OECD. Int J Qual Health Care 2021; 34 (Suppl 1): ii7-ii12.
4 Fowler JC, Madan A, Frueh BC et al. Lessons learned while integrating patient-reported outcomes in a Psychiatric Hospital. Psychotherapy 2019; 56: 91-99
5 Pape LM, Adriaanse MC, Kol J et al. Patient-reported outcomes of lifestyle interventions in patients with severe mental illness: a systematic review and meta-analysis. BMC Psychiatry 2022; 22: 261 https://doi.org/10.1186/s12888-022-03854-x [Zugriff: 25.1.2025]
6 de Bienassis K, Kristensen S, Hewlett E, et al. Measuring patient voice matters: setting the scene for patient-reported indicators. Int J Qual Health Care 2021; 34 (Suppl 1): ii3-ii6.
7 Roe D, Slade M, Jones N. The utility of patient-reported outcome measures in mental health. World Psychiatry. 2022 Feb;21(1):56-57
8 Scanferla E, de Bienassis K, Pachoud B, Gorwood P. How subjective well-being, patient-reported clinical improvement (PROMs) and experience of care (PREMs) relate in an acute psychiatric care setting? European Psychiatry 2023; 66: e26 1-9 https://doi.org/10.1192/j.eurpsy.2023.12 [Zugriff: 25.1.2025]
9 Persönliche Kommunikation mit Dr. Andreas Rhode, Medizinischer Dienst Westfalen-Lippe
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