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Bachs Johannespassion in aktuellem Kontext

Bachs Johannespassion in aktuellem Kontext

Neun Jahre ist es her - das "Attentat von Orlando". Bei dem Angriff auf eine Bar der LGBTQ-Szene am 12. Juni 2016 starben im US-Bundesstaat Florida 49 Menschen, 53 wurden verletzt. Nur einer von vielen Fällen der Gewalt gegen queere Menschen. Autor, Regisseur und Dramaturg Thomas Höft erzählt die Geschichte gleich zu Beginn seiner "QueerPassion", begleitet von dem Orchester Art House 17, mit historischen Instrumenten.

Als musikalische Grundlage dient Höft Johann Sebastian Bachs berühmte Johannespassion, die musikalische Darstellung der Leidensgeschichte von Jesus Christus. Höft beschreibt in seinem Libretto allerdings Geschichten von diskriminierten und ermordeten queeren Menschen. "Ich habe auch gedacht, wo komme ich als queerer Mann vor in der klassischen Musik? Eigentlich gar nicht, das wurde alles verachtet und verboten", sagt Höft im Gespräch mit der DW. Genau das wollte er ändern.

Portrait Thomas Höft
Thomas Höft rückt die Leidensgeschichte queerer Menschen in den VordergrundBild: Nikola Milatovic
"Arabian Passion" - Bach auf Arabisch

Bachs Johannespassion war auch Vorlage für den bulgarischen Musiker und Musikwissenschaftler Vladimir Ivanoff. Ihm geht es um die Menschen, die im Geburtsland von Jesus Christus im Nahen Osten leben und deren Leid durch Kriege, Vertreibung und Unterdrückung eine lange Geschichte hat. Anlass zu seiner "Arabian Passion" war 2003 der Einmarsch der USA in den Irak, der verheerende Folgen für die zivile Bevölkerung hatte. "Und so geht es mir jetzt ähnlich mit Gaza. Ich hatte mehrere Musikstudenten aus dem Nachen Osten in Workshops bei mir, von denen ich nur noch sporadisch weiß, dass sie noch leben", sagt Ivanoff der DW.

Den Text und die Noten von Johann Sebastian Bach hat Ivanoff im Original belassen, aber einige der Instrumente stammen aus dem arabischen Mittelmeerraum. Dazu singt die libanesische Sängerin Fadia El-Hage alle Bach-Arien auf Arabisch.

Bach selbst war ein Meister der Wiederverwertung

Sowohl die arabische, als auch die queere Passion sind auf Tournee. Sie werden unter anderem im Rahmen des Bachfests in Leipzig (12. bis 22. Juni) aufgeführt, das dieses Jahr unter dem Motto "Transformation" steht. In Leipzig hat Johann Sebastian Bach im Amt als Thomaskantor 1724 seine berühmte Johannespassion komponiert.

Johann Sebastian Bach Denkmal vor der Thomaskirche.
Johann Sebastian Bach komponierte seine Johannes-Passion in LeipzigBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Seine Kantaten hat Bach oft selbst umgetextet oder in anderen Besetzungen spielen lassen. So hat er etwa weltliche Kantaten später mit einem geistlichen Text versehen und somit in einen anderen Kontext gestellt. In der Musikwissenschaft wird das als "Parodieverfahren" bezeichnet. Darauf bauen Thomas Höft und Vladimir Ivanoff mit ihren "Passionen" auf.

Brückenbauer zwischen Okzident und Orient

Vladimir Ivanoff hat für seine "Arabian Passion" Stücke aus der Johannespassion sowie aus Bachs Matthäuspassion neu kombiniert. Statt Orchester und Chor ist neben seinem Ensemble Sarband zudem auch das jazzige Modern String Quartett dabei. Hinzu kommen die Instrumente aus dem Mittelmeerraum, etwa die Kurzhalslaute Ud, die Flöte Ney oder die arabische Geige. Ivanoff sieht sich als Brückenbauer und will mit Musik den Okzident und den Orient verbinden.

Das Ensemble mit Sängerin links und mittig Ivanoff mit Handtrommel.
Vladimir Ivanoff sieht sein Ensemble Sarband als interkulturelles Experimentierfeld für Verständigung und ToleranzBild: Unbekannt

Allein die Tatsache, christliche Texte der Johannespassion auf Arabisch zu singen und noch dazu von einer Frau, ist für strenggläubige Muslime allerdings eine Provokation. Umso erstaunlicher, dass Vladimir Ivanoff mit seinem Ensemble Sarband bei westlichen und arabischen Musikfestivals gleichermaßen ein gern gesehener Gast ist.

"Musikalische Guerilla"

Seit 2003 ist das Ensemble Sarband mit ihrer Arabischen Passion nach Johann Sebastian Bach auch im Nahen Osten unterwegs. Sie spielten in der Kathedrale von Beirut oder im syrischen Aleppo. "Wir haben die Passion auch in Damaskus im Alhambra Kino aufgeführt, in einem sehr berühmtem Jazzkonzertsaal", so Ivanoff.

In Abu Dhabi waren sie im Rahmen des "Sheikh Zayed Book Award" eingeladen. Dem Emir hatte ihre Musik gefallen. Erst kurz vor der Veranstaltung fiel auf, dass eine Sängerin vorgesehen war. Das durfte nicht sein, das Ensemble musste komplett instrumental spielen.

Vladimir Ivanoff mit Handtrommel.
Vladimir Ivanoff an der Handtrommel - ein Instrument, das in vielen Kulturen gespielt wirdBild: Unbekannt

Ivanoff reist mit seinem Ensemble auch in Hisbollah-Gebiete. Manchmal würden dann Texte oder Überschriften von christlichen und jüdischen Liedern geändert, sagt er, aber das nimmt er in Kauf. "Das ist unser Prinzip, wir wollen unter allen Umständen reinkommen in die Strukturen", sagt Ivanoff. "Ich sehe mich ein bisschen als musikalische Guerilla. Das, was wir machen, ist wirkungsvoll, und diese sanfte Verführung, die funktioniert wahnsinnig gut."

QueerPassion: Massenhinrichtung im 17. Jahrhundert

Wie Vladimir Ivanoff hält sich auch Thomas Höft musikalisch bei seiner QueerPassion strikt an Bachs Vorlage, auch was den Ablauf von Arien, Rezitativen und Chören anbelangt. "Im Endeffekt ist jeder Ton eins zu eins von Bach, nur der Text ist neu", sagt Höft. Dabei spielt er nicht nur auf die aktuelle Diskriminierung der LGBTQ-Szene an, sondern auch auf jahrhundertealte Fälle, auf die er bei seinen Recherchen gestoßen ist.

Orchester auf der Bühne mit bunten Regenbogenfahnen im Hintergrund.
Das Ensemble Art House 17 begleitet die Tounee der "QueerPassion"Bild: Marieke Wijntjes

1674 war der Dom in der niederländischen Stadt Utrecht eingestürzt. In den Ruinen trafen sich heimlich homosexuelle Männer und feierten Partys. "Die sind verraten worden", erzählt Höft. "Unter Folter hat einer der Beteiligten die Namen der anderen genannt." Darunter waren auch angesehene Leute der Bürgerschaft. "Das Ganze ist in ein Pogrom gemündet, weil die evangelischen Pastoren gesagt haben, der Einsturz des Doms sei Gottes Strafe für die Sodomiten." Es folgten Massenhinrichtungen schwuler Männer. "Das ist erschütternd und eine der Hauptgeschichten, die in der QueerPassion vorkommen."

Grafik mit bunt gekleideten diversen Menschen, in den Farben Lila, pink und gelb.
In Antwerpen werden die Choräle des Europaprojekts "QueerPassion" vom belgischen "Antwerp Queer Chor" gesungenBild: Antwerp Queer Choir
Wechselnde regionale Chöre

Die Choräle der Passion werden von regionalen Chören der Auftrittsorte gesungen, die mit der LGBTQ-Bewegung in Verbindung stehen. In Leipzig sind es die "Tollkirschen", die normalerweise poppige Lieder mit Choreografie singen und der Frauenchor "Fräulein A Capella", der gerne Lieder aus Osteuropa einstudiert. Beide Chöre proben unter der Leitung von Cornelia Schäfer. Bachs Barockmusik ist neu für sie.

Die "Tollkirschen" sind nach eigenen Aussagen der einzige bekennende schwule Männerchor in den ostdeutschen Bundesländern. "Wir wollen uns als Schwule nicht verstecken. Bei unserem Programm tauchen Begriffe wie 'schwul' auch in vielen Texten auf", sagt Chormitglied Dirk Bockelmann. Die Geschichten um die Verfolgung queerer Menschen haben die Chormitglieder sehr berührt. "Thomas Höft hat uns bei der Probe die Hintergrundinformationen erzählt, teilweise kamen uns die Tränen, da hat man die Choräle gleich ganz anders gesungen."

Die QueerPassion ist ein Europaprojekt und wird zum Start in Wien (7.6.), Leipzig (13.6.) und in Antwerpen (22.8.) aufgeführt.

dw

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