Berlin Street Style: Der Künstler Christian Hoosen hat eine Feierabend-Uhr

Als wir Christian Hoosen vor dem Grill Royal trafen, hatten alle Beteiligten bereits Feierabend. Doch nur eine Uhr zeigte das wirklich an.
Am vorderen Oberkiefer von Christian Hoosen blitzt ein massiver Goldzahn. Das sei die „Reiserücktrittsversicherung, wenn man mal irgendwo strandet“, sagt der Berliner Künstler lachend und fügt hinzu: „Das hat mir mein Zahnarzt empfohlen.“ Der gebürtige Niedersachse und überzeugte Mitte-Bewohner ist selten um eine wunderliche Geschichte verlegen.
Hoosen nennt sich selbst auch einen Therapeuten, weil er in seinem Werk in die Untiefen der menschlichen Psyche absteigt. Seine Figuren, ob auf der Leinwand oder als Keramiken, könnte man deswegen auch als seine Patienten bezeichnen. Und wie es sich für einen echten Seelenklempner gehört, geht es in der Analyse immer auch um das eigene Ich.
Doch nicht nur Hoosens Œuvre erzählt von den Dingen, die ihn bewegen, sondern auch die vielen Tattoos auf seiner Haut. „Nein“ steht auf der einen Hand, „doch“ auf der anderen. An seinem Hals ist eine Interpretation der betenden Hände von Albrecht Dürer in Gurkenfarbe zu sehen, wie es Hoosen ausdrückt. Das „VLAN“ stehe für „Virtual Local Area Network“, ein „logisches Teilnetz innerhalb eines physischen Netzwerks“ und Eddie war Hoosens Hund: „Eddie ist leider gestorben und wartet auf der anderen Seite auf mich.“ Es gibt viele Geschichten.
Wenn Christian Hoosen mal nicht arbeitet, dann gibt’s Müßiggang, denn das ist ein essenzieller Bestandteil seiner derzeitigen Schaffensphase. Dann zieht sich der Künstler in seine edle, schwarze Kleidung zurück, über die wir vor dem Grill Royal mit ihm sprachen. Dass in seiner Welt eine Armbanduhr kein gewöhnlicher Zeitmesser sein kann, war dabei nur folgerichtig.

Herr Hoosen, wenn Sie ein Kleidungsstück wären, welches wäre das?Ich wäre ein gutes Paar Lederschuhe, weil die so angenehm im Umgang sind wie ich. Und auch so belastbar. Man kann sehr weite Strecken mit mir gehen, nur ab und an muss man die Hacken neu besohlen.
Womit beschäftigen Sie sich gerade in Ihrem Werk?
Stillstand aushalten. Dazu gehörte eine Zeit lang „Notruf Hafenkante“ und „Soko Wismar“ am Vormittag schauen. Derzeit gehe ich wochentags um 11 Uhr immer ins Pinci und trinke einen oder zwei koffeinfreie Kaffees, dazu bekomme ich ein silbernes Kännchen mit heißem Wasser. Ich gehe dann weg, wenn die anderen Leute zum Essen kommen. Nach Malerei und Keramik arbeite ich momentan eher zurückgezogen an Dingen, von denen ich nicht weiß, was sie sind oder von mir wollen. Es geht mir um das Aushalten von Zeit, Dekonstruktion von gelernten Modellen, Erinnerungsdarstellung und parallel dazu Mutationen jeglicher Art. Ich verwalte meinen eigenen Vorlass.Denken Sie in Ihrem Schaffen über die Kleidung Ihrer Figuren nach?
Ich denke meiner Zeit grundsätzlich voraus. Vor 15 Jahren habe ich angefangen, meine Protagonisten und ihre Staffage so zu malen, wie ich mittlerweile aussehe: überwiegend schwarz gekleidet, mit bollerigen Hosen und spitzen Schuhen. Also unauffällig und nichts über den sozialen Status sagend; jedoch mit gelegentlichen Ausreißern in die modische Populärkultur sowie gezielter Markennennung, wenn es sein musste, um eine Figur spezifisch in einem Sujet zu verorten.

Was bedeutet Ihnen Mode persönlich?Früher weniger, heute mehr. Mode muss neutral sein, darf sich nicht aufdrängen. Ich persönlich möchte auch keine große Auswahl im Schrank haben. Ich möchte, dass alles gleich aussieht. Ich lebe in modischen Phasen, in denen ich mich für etwas entscheide, dann kaufe ich die Sachen vier-, fünfmal und trage immer das Gleiche. So muss ich mir morgens keine Gedanken machen. Es gibt diesen schönen Spruch: „Everytime you get dressed, remember: if you die, that’s your ghost outfit forever.“
Wenn Sie irgendwo sind, schauen Sie sich dann auch die Kleidung anderer Menschen an?
Ja, das tue ich sehr gerne. Und zwar überwiegend dort, wo Menschen nicht verkleidet sind und sich nicht beobachtet wissen. Mich interessiert das Normale. Einfache, praktische Standardbekleidung und Provinzmode, wie karierte Dreiviertelhosen.Würden Sie karierte Dreiviertelhosen tragen?
Nein, ich selbst habe mich für etwas anderes entschieden. Viervierteltakt: Vierviertelhosen.

Was haben Sie heute an?Einen Sommermantel sowie einen Pullover aus Schurwolle, den man bei Temperaturen von minus zehn bis plus zwanzig Grad Celsius tragen kann. Das Material wärmt und kühlt, je nach Bedarf. Die Hose mag ich, weil sie einen super Schnitt hat. Alles ist schwarz und alles von Omen aus dem Hause Thomas i Punkt in Hamburg, die Stadt, wo die Sachen auch produziert werden. Schlicht, praktisch, sehr teuer; ich bin auf der Marke vor über zehn Jahren kleben geblieben und erfreue mich jeden Tag daran. Es sind nicht nur ausgezeichnete Stücke, sondern auch eine mir sehr ans Herz gewachsene Familienbande. Dazu trage ich italienische Lederschuhe von Officine Creative, die ich im KaDeWe gekauft habe.
Das einzige Bunte an Ihrem Outfit sind die Socken und die Tasche. Was hat es damit auf sich?
Für die Socken gibt es keinen besonderen Grund. Ich mag sie, weil ich sie von meiner Tochter zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Da sind Bierkrüge, Brezeln, Fußbälle und Guillotinen drauf, die eigentlich Lederhosen darstellen sollen. Die Tasche ist ein Geschenk von meiner Freundin. Ein eher seltenes Modell von Loewe aus der „Falling Leaves“-Kollektion Spring/Summer 2015, einer Kooperation mit John Allen. Damit wird man durchaus oft angesprochen. Von Männern.

Auch die Uhr ist besonders.Ich habe nie Uhren getragen und bin eigentlich ab einer bestimmten Außentemperatur auch allergisch gegen das Metall, aber ich trage sie meinem Freund Oliver aus Zürich zuliebe, der Psychiater ist und sie mir geschenkt hat. Wenn man dagegenklopft, wird auf dem Ziffernblatt eine nackte Frau sichtbar. Außerdem zeigt die Uhr nur eine einzige Zeit an, und zwar sechs nach sechs.
Und was bedeutet das?
Dass Feierabend ist.
Berliner-zeitung