Streit mit den Hohenzollern: Einigung nach fast 100 Jahren

Es sieht aus wie ein Schlussstrich - und ist wohl auch einer. In Deutschland geht ein bald hundert Jahre währender Streit zu Ende. Ein historischer Moment, denn damit klären sich die Besitzverhältnisse tausender Kunstwerke.
Das Haus Hohenzollern - ein deutsches Adelsgeschlecht, dem auch der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II angehörte - hatte über Jahrzehnte Ansprüche auf diverse Objekte in deutschen Museen gestellt. Auch forderten die Hohenzollern Entschädigungen für enteignete Schlösser und Inventar in Millionenhöhe.
Das Ganze ging vor Gericht - bis Georg Friedrich Prinz von Preußen, Ururenkel des letzten deutschen Kaisers, 2023 schließlich die Strategie des Adelshauses änderte: Er zog die Entschädigungsklagen zurück und machte damit den Weg frei für außergerichtliche Verhandlungen. Die Gespräche begannen im Herbst 2024. Das Ergebnis ist die jetzt erzielte Einigung.

Schon im Mai hatten der neue deutsche Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) und Georg Friedrich Prinz von Preußen den Durchbruch verkündet: Der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg hatten sich mit dem einstigen Herrscherhaus Hohenzollern auf die Einrichtung der gemeinnützigen "Stiftung Hohenzollernscher Kunstbesitz" verständigt. Sie soll die vom Haus Hohenzollern zurückgeforderten Kunst- und Kulturobjekte verwalten. Nachdem nun auch die Aufsichtsgremien der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Deutsches Historischen Museums zugestimmt haben, ist die Einigung unter Dach und Fach.

Großer Gewinner sei die Öffentlichkeit, so Kulturstaatsminister Weimer in Berlin. Sie kann die Bestände weiterhin in Museen sehen, darunter rund 3.000 Objekte in den Sammlungen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Deutschen Historischen Museums. Die neue Stiftung verwaltet auch das Inventar - Möbel, Geschirr und Gemälde - aus gut 70 Schlössern, Villen und weiteren Liegenschaften in Berlin und Potsdam, die bis 1945 im Eigentum oder in Nutzung der Hohenzollernfamilie waren. Schließlich geht es um Gegenstände aus dem Besitz der Familie, die schon 1918, nach dem Ende der Monarchie, beschlagnahmt wurden.
Die Enteignung der "Junker"Rückblick: Im Zweiten Weltkrieg, den Deutschland verlor, hatten sowjetische Truppen die ehemals deutschen Gebiete östlich der Elbe erobert - und damit das Gros der Hohenzollernschen Besitztümer. Die Sowjetunion betrachtete die "Junker", den landbesitzenden Adel, als Klassenfeind und tragende Säule des Nazis-Systems und machte 1945 kurzen Prozess: In der sowjetischen Besatzungszone wurden sämtliche Adelshäuser entschädigungslos enteignet.
Vier Jahrzehnte später fiel die Mauer, Deutschland wurde wiedervereinigt. Mit einem Schlag lagen viele ehemalige Schlösser und Ländereien der Hohenzollern auf dem Boden der Bundesrepublik. Doch heißt es im Einigungsvertrag von 1990: Die Bodenreform von 1945 wird nicht rückgängig gemacht. So mussten die Hohenzollern ihre alten Immobilien im Osten abschreiben.
Gut 30 Jahre später forderten die Erben des letzten Monarchen vom deutschen Staat eine Millionenentschädigung und die Restitution von Kulturgütern - vergeblich. Die Gerichte sollten entscheiden.

In dem Entschädigungsstreit spielte diese Frage eine zentrale Rolle: Hatten Vertreter des Hauses Hohenzollern gemeinsame Sache mit den Nationalsozialisten gemacht, die Deutschland zwischen 1933 und 1945 beherrschten? Konkret: Hatten die Erben des 1918 abgedankten letzten Deutschen Kaisers Wilhelm II. dem Nationalsozialismus "erheblich Vorschub" geleistet?
Und welche Rolle spielte dabei der Sohn des letzten Monarchen und Ex-Kronprinz Wilhelm von Preußen zwischen den Weltkriegen? Verhalf er den Nazis an die Macht, um die Monarchie wieder zu errichten? Das sogenannte "Ausgleichsleistungsgesetz" von 1994regelt die Entschädigung von 1945 im Osten enteigneten Grundbesitzern und besagt: Wer Hitler und den Nazis "erheblichen Vorschub" leistete, hat kein Recht auf Wiedergutmachung.

Tatsächlich belegen historische Dokumente die Nähe Wilhelms zu Hitler. Fotos und Filme zeigen den Ex-Kronprinzen mit Hitler und anderen Naziführern. Die Hoffnung Wilhelms jedoch, die Nazis würden ihn zum neuen Kaiser krönen, zerschlug sich. Historiker debattieren bis heute kontrovers über Wilhelms Rolle im Nazistaat.
Die Nähe Hitlers gesuchtIn Biographien beschreiben die Historiker Lothar Machtan ("Der Kronprinz und die Nazis") und Stephan Malinowski ("Die Hohenzollern und die Nazis") den Kronprinzen als radikalen Anti-Demokraten, der Mussolini bewunderte und die Nähe Hitlers suchte. Sein erklärtes Ziel: der Kaiserthron. Malinowski und sein Kollege Peter Brandt kamen in einem Gutachten zu dem Schluss, Wilhelm von Preußen habe durch sein Verhalten der Errichtung und Festigung des nationalsozialistischen Regimes "erheblich Vorschub geleistet".

Nachweislich rief der Ex-Kronprinz bei der Reichspräsidentenwahl 1932 zur Wahl Hitlers auf. Später brüstete er sich damit, ihm zwei Millionen Stimmen verschafft zu haben. Auch öffentlich demonstrierte Wilhelm den Schulterschluss mit den neuen Eliten. "Das symbolische Kapital der Hohenzollern war für die Nazis 1932/33 sehr wichtig", urteilte der Münsteraner Historiker Jacco Pekelder in einem Fernsehinterview, "auch wenn der Kronprinz dabei seine eigene Agenda hatte."
Ausgang ohne RichterspruchGroße Zweifel daran meldeten die Herausgeber des 2021 erschienenen Sammelbandes "Die Hohenzollerndebatte" an. Der Historiker Frank-Lothar Kroll bescheinigte Wilhelm ein "eher randständiges Engagement" für die Nazis. Zwar habe er sich bei Hitler angebiedert, dessen totalitäre Ideologie aber nicht geteilt. Geschichtsprofessor Christian Hillgruber sah den Tatbestand des "erheblichen Vorschubs" ebenso wenig gegeben wie der Historiker Michael Wolffsohn.
Scharen von Anwälten, Politikern und Historikern befassten sich über Jahrzehnte mit den Rückgabe- und Entschädigungsansprüchen der Nachfahren Wilhelms von Preußen, des Ex-Kronprinzen des Deutschen Kaiserreichs. Das alles ist jetzt, mit der Einigung von Berlin, Geschichte.
dw