Angriff auf die Meinungsfreiheit? So wollen Union und SPD den Paragraf „Volksverhetzung“ verschärfen

Wie halten es Union und SPD mit der Meinungsfreiheit? Der Koalitionsvertrag, in dem die Bundesregierung ihre Pläne skizziert, hat eine Debatte über die staatliche Begrenzung freier Rede ausgelöst. Da ist zum einen die Passage, wonach „die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Sie wurde als „Lügenverbot“ kritisiert und soll eine Reaktion auf die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen sein.
Zum anderen stellt der Vertrag eine Verschärfung des Tatbestands der Volksverhetzung in Aussicht. Wie genau der Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs erweitert werden soll, ist offen, die Koalition hat sich noch nicht auf Details verständigt. Während einige Juristen vor einer Gesetzesänderung warnen, äußern sich Politiker von Union und SPD nun konkreter dazu.
CSU-Politikerin Hierl: „Diese Graubereiche möchten wir verringern“Im Koalitionsvertrag, auf Seite 90 im Abschnitt zum Strafrecht, heißt es: „Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.“ Es handelt sich also um eine jener Ankündigungen von Union und SPD, die mit dem Wort „wollen“ eingeleitet werden, nicht mit „werden“. Was auch daran liegen mag, dass sich die Koalitionäre bislang auf keinen exakten Wortlaut geeinigt haben. Das dürfte tatsächlich eine Herausforderung werden. Denn vor allem der Begriff „Hass und Hetze“ ist nicht eindeutig definiert, er wird ganz unterschiedlich verwendet.
Aus dem Bundesjustizministerium, das von der SPD-Politikerin Stefanie Hubig geführt wird, ist bislang nichts Neues zu erfahren. Auf Anfrage der Berliner Zeitung antwortet eine Sprecherin zurückhaltend, das Ministerium prüfe „die Frage der Umsetzung des fraglichen Vorhabens“. Womöglich wurde es auch deshalb mit „wollen“ angekündigt. Zu Einzelheiten, einem möglichen Zeitplan beispielsweise, könne man derzeit keine Angaben machen.
Während der Koalitionsvertrag die Verschärfung recht allgemein begründet – mit Terrorismus, Antisemitismus sowie „Hass und Hetze“ – werden Fachpolitiker deutlicher. Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Susanne Hierl, sagt dieser Zeitung: „Das geltende Recht sieht bisher keine Strafbarkeit für die Leugnung des Existenzrechts Israels und den Aufruf zur Beseitigung des Staates Israel vor, obwohl eine Strafbewehrung aufgrund der darin liegenden Gefahren für den öffentlichen Frieden und auch aufgrund der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands erforderlich und angemessen ist.“ Seit Jahren zeige sich, dass „bestimmte Formen von Hetze“ bewusst so formuliert würden, dass sie gerade noch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle blieben. Das sei vor allem online zu beobachten.
„Diese Graubereiche möchten wir verringern“, sagt die CSU-Abgeordnete. Wenn systematisch gegen gesellschaftliche Gruppen gehetzt werde, ohne dass bestehende Tatbestandsmerkmale wie „Aufstachelung zum Hass“ oder „Aufforderung zu Gewalt“ eindeutig griffen, bestehe „gesetzgeberischer Handlungsbedarf“.

Auch Carmen Wegge, die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sagt, das Strafrecht greife nicht immer „ausreichend“. Sie spricht von einer zunehmenden Verrohung der Sprache im öffentlichen Diskurs, einer Zunahme menschenverachtender, rassistischer sowie antisemitischer Aussagen – „sei es auf der Straße, im Netz, in geschlossenen Chatgruppen oder sogar an unseren Schulen“. Die Sozialdemokratin betont: „Es geht nicht darum, Meinungsfreiheit einzuschränken, sondern Menschenwürde wirksam zu schützen.“
Volksverhetzung richte sich gegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagt Wegge dieser Zeitung, sie bereite „in vielen Fällen den Boden für tatsächliche Gewalt“. Deshalb brauche es eine rechtliche Schärfung, „die klare Grenzen gegen Hass und Hetze zieht – auch vorbeugend“. Denn das Gesetz, so verhält es sich nicht nur im Falle der Volksverhetzung, soll auch von Taten abschrecken. Hier handelt es sich um Äußerungen. Es ist ein schmaler Grat.
Juristinnen warnen vor Beschränkung der MeinungsfreiheitUnion und SPD sehen also Lücken in der Rechtsordnung, einen Nachholbedarf. Und die Verschärfung des Paragrafen 130 soll Abhilfe leisten. Derweil beklagen einige Juristen zunehmende Begrenzungen freier Rede. In einem Interview mit der Berliner Zeitung nannte die Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski, ein Mitglied des Deutschen Ethikrats, neben Tatbeständen wie „Politikerbeleidigung“ die geplante Verschärfung der Volksverhetzung. Auch die Juristin Elisa Hoven, eine Richterin am sächsischen Verfassungsgerichtshof, warnt in einem Beitrag für den Verfassungsblog vor einem Eingriff in die Meinungsfreiheit. Schon der Anschein politischer Zensur sei gefährlich in einer Demokratie.
Hoven schreibt zudem über den Plan der Koalition, bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung das passive Wahlrecht zu entziehen – womit Wiederholungstäter nicht mehr als Kandidaten aufgestellt werden könnten. Eine Änderung, die womöglich AfD-Politiker treffen würde. So wurde der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke bereits öfter der Volksverhetzung verdächtigt.
Die Juristin mahnt zu Zurückhaltung. „Der Tatbestand der Volksverhetzung bewegt sich in einem sensiblen Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, die Inhalte, über die verhandelt wird, sind fast immer politisch“, schreibt Hoven. Es sei riskant, an einen politisch umkämpften Straftatbestand, der zudem „breite Auslegungsräume“ lasse, weitreichende politische Folgen zu knüpfen.
Bleibt die Frage, wie Union und SPD den Paragrafen verschärfen wollen. Welche Äußerungen könnten künftig als Volksverhetzung gelten? Unter Paragraf 130 ist als Voraussetzung genannt, dass eine Äußerung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Strafbar macht sich bislang, wer zu Hass oder Gewalttaten gegen eine „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung“ aufstachelt. Auch Angriffe auf die Menschenwürde werden genannt, indem man „wegen der Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. Eine eher allgemeine Formulierung, die unterschiedlich ausgelegt werden kann.
„Konkret setzen wir uns dafür ein, dass insbesondere die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen, die in der Praxis häufig schwer unter bestehende Tatbestände zu fassen sind, künftig klarer erfasst wird“, sagt die CSU-Politikerin Hierl. „Auch das gezielte Leugnen, Verharmlosen oder Billigen von Kriegsverbrechen und Völkermorden außerhalb des Holocaust – etwa mit Blick auf den Völkermord in Ruanda oder an den Jesiden – sollte künftig strafbar sein.“ Geht es nach der Union, wäre es damit aber nicht getan. Ebenso sollten „strafbare Inhalte, die sich gegen Gruppen mit bestimmten Weltanschauungen richten, klarer in den Anwendungsbereich“ des Paragrafen 130 fallen. Gemeint seien damit etwa ethnische oder religiöse Minderheiten.
Die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge will vor allem „Schutzlücken“ auf digitalen Plattformen schließen, also etwa in sozialen Medien wie X. „Gewalt- und Vernichtungsfantasien gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen müssen strafbar sein“, sagt Wegge. „Dazu gehören auch verächtlich machende oder entmenschlichende Aussagen – etwa Vergleiche mit Ungeziefer oder Krankheiten.“ Antisemitische Hetze solle nicht deshalb straflos bleiben, weil sie sich gegen Juden im Ausland richte. Der Schutzbereich des Paragrafen solle erweitert werden.
„Auch geschlossene Chatgruppen, in denen volksverhetzende Inhalte, rechtsextreme Symbole oder Gewaltfantasien verbreitet werden, müssen endlich rechtssicher erfasst werden – denn Hass ist auch hinter verschlossenen Türen gefährlich“, so Wegge. Bislang setzt der Tatbestand eine gewisse Öffentlichkeit voraus. „Zudem fordern wir klare strafrechtliche Konsequenzen für das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole und antisemitische Äußerungen an Schulen, wenn sie nicht im historischen Kontext erfolgen“, sagt die Sozialdemokratin.
Berliner-zeitung