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Ballweg-Prozess: Der Freispruch (minus 19,53 Euro) ist für den Staat eine riesengroße Peinlichkeit

Ballweg-Prozess: Der Freispruch (minus 19,53 Euro) ist für den Staat eine riesengroße Peinlichkeit

Im Strafprozess gegen den Querdenken-Gründer spricht das Landgericht Stuttgart den Angeklagten in wesentlichen Punkten frei. Ein Kommentar.

Michael Ballweg, Gründer der "Querdenker" Bewegung, steht vor der Verkündung des Urteils in einem Prozess wegen versuchten Betrugs gegen ihn im Gerichtssaal.Bernd Weißbrod/dpa POOL/dpa

Das Urteil im Strafprozess gegen Michael Ballweg hat etwas Bizarres, so wie das gesamte Verfahren gegen den Gründer der coronakritischen Querdenken-Bewegung. Erstens: Die Strafkammer des Landgerichts Stuttgart sprach ihn vom Vorwurf des versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges in 9450 Fällen frei. Dass er seine eigenen Querdenken-Anhänger planmäßig betrogen und 576.000 Euro in die eigene Tasche gesteckt haben soll, verneinte das Gericht. Zweitens: Auch vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in seinem privaten Steuerfall wurde er freigesprochen. Drittens: Schuldig sprach ihn das Gericht in zwei Fällen einer vollendeten Steuerhinterziehung, was seine IT-Firma betraf, sowie in drei Fällen einer versuchten Steuerhinterziehung, ebenfalls bei seiner IT-Firma.

Konkret hat Ballweg laut Gericht 11.42 Euro und 8.11 Euro hinterzogen, und soll versucht haben, insgesamt 2072.84 Euro zu hinterziehen. Die Strafe: Eine „Verwarnung“ und eine angedrohte Geldstrafe in Höhe von 3000 Euro, die ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt wurde. Für die 279 Tage U-Haft wird Ballweg entschädigt. Die Kosten für das Verfahren muss der Angeklagte, soweit er verurteilt wurde, selber tragen, wo er freigesprochen wird, übernimmt sie die Staatskasse. Das beschlagnahmte Vermögen in Höhe von 331.000 Euro wird freigegeben. Beide Seiten, Ballweg und die Staatsanwaltschaft, haben eine Woche Zeit, um Revision einzulegen.

Der Kampf um die Deutung des Urteils

Ein Urteil wegen „sehr geringer Schuld am untersten Rand der Sanktionsmöglichkeiten“, so die Vorsitzende Richterin. Und ein selten kompliziertes Urteil, das nur verständlich wird vor dem politischen und gesellschaftlichen Spannungsfeld, in dem das Verfahren von Anfang stand: die anhaltenden Kontroversen um die Corona-Jahre mit den umstrittenen Maßnahmen sowie den bundesweiten Protesten dagegen.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung begann auf der Ad-hoc-Pressekonferenz im Gerichtsgebäude bereits die Auseinandersetzung um die Deutung des Urteils. Auch das ein Zeichen für den politischen Hintergrund des Falles. Die Staatsanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer drei Jahre Haft für Ballweg gefordert hatte, ohne Bewährung, erklärte, sie vertrete weiterhin eine andere rechtliche Einschätzung als die Kammer, Ballweg trage „keine geringe Schuld“. Ob die Behörde Rechtsmittel einlege, sei noch zu entscheiden. Dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft kürzlich erklärt hatte, die Behörde werde auf jeden Fall Rechtsmittel einlegen, nannte die Sprecherin der Behörde „ein Missverständnis“. Das sei nur „dahergesagt“ gewesen. Eine „Niederlage“ will die Anklagebehörde in dem Urteil nicht sehen, sie habe lediglich ihre Aufgabe wahrgenommen.

Die Richterin wollte einen Kompromiss

Michael Ballweg und seine insgesamt vier Verteidiger bezeichneten den Urteilsspruch als „kompletten Freispruch“ und eine „Niederlage für die Staatsanwaltschaft“. Dass eine Kammer einen (Teil-)Schuldspruch mit 19.53 Euro begründete, sei eine „Peinlichkeit für den Staat“, eine „groteske Nummer“. Die Verteidigung lobte aber die Strafkammer. Hätte sie nicht so gründlich gearbeitet, hätte Ballweg auch zu Unrecht verurteilt werden können.

Die Richter hatten wiederholt vorgeschlagen, das Verfahren bedingungslos einzustellen, womit ihnen erspart worden wäre, ein derart differenziertes und umständliches Urteil formulieren zu müssen. Noch unmittelbar vor Beginn der Plädoyers hatte die Vorsitzende Richterin die Beteiligten, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, ein letztes Mal gefragt, ob sie sich nicht doch auf eine Einstellung des Verfahrens, ohne Urteilsfindung, einigen könnten. Das scheiterte an der Staatsanwaltschaft, die vom Angeklagten Ballweg ein gewisses Schuldeingeständnis, eine Geldauflage sowie den Verzicht auf Entschädigung für die neunmonatige Untersuchungshaft verlangte.

Die Spielchen von Ministerpräsident Kretschmann

Am Ende ihrer über einstündigen Urteilsbegründung sagte die Vorsitzende Richterin einen Satz, der ihre Enttäuschung über diese Kompromisslosigkeit zum Ausdruck brachte: „Zwei vollendete Steuerhinterziehungen in Höhe von insgesamt 19.53 Euro sowie drei versuchte Steuerhinterziehungen in Höhe von insgesamt 2072.85 Euro – das ist es, was dem Angeklagten nach über 40 Verhandlungstagen vorzuwerfen ist.“Die Kontroverse um dieses Verfahren wird weitergehen und muss die Politik in den Fokus nehmen. Das ist auch ein Ergebnis der Hauptverhandlung. Der Prozess geriet im Verlauf des Verfahrens zu einer verbissenen Auseinandersetzung zwischen Staatsanwaltschaft, Finanzamt und Gericht, sprich: zwischen Exekutive und Judikative. Der Öffentlichkeit erschloss sich das nicht unbedingt, vor allem weil die etablierten Medien den Prozess boykottierten. Sichtbar wurde allerdings, dass im Hintergrund die Landesregierung von Winfried Kretschmann ihre Finger im Spiel hat. Das Finanzministerium dirigierte bereits seit Ende 2020 das Vorgehen des Finanzamtes Stuttgart gegen Ballweg. Und das Justizministerium ließ sich regelmäßig von der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren unterrichten.Ministerpräsident Kretschmann zählt zu jenen politischen Funktionären, die den Corona-Ausnahmezustand gerne benutzten, um der Exekutive die Zügel abzulegen. Die fundamentalistische Coronapolitik duldete keinen Widerspruch, also müssen die Opponenten bestraft werden, so die Logik. Und Michael Ballweg hatte mit den Massendemonstrationen gegen die Coronapolitik im Jahr 2020 in Berlin das Establishment in helle Aufregung versetzt.

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