Debatte: Wenn der Staat die AfD verbieten würde, müsste er zu einer DDR 2.0 mutieren

Welche Konsequenzen hätte ein AfD-Verbot? Unser Autor spielt die Szenarien durch. Ein Gastbeitrag.
Niemandem ist es in den letzten 10 Jahren gelungen, der AfD in größerem Ausmaß Wähler abspenstig zu machen. Von Friedrich Merz‘ Versprechen, die AfD zu halbieren, ist nichts übriggeblieben – ihre Bundestagsfraktion ist größer denn je und in zwei Landesparlamenten ist sie bereits die stärkste Fraktion. Was also tun?
Sehen wir das ganze Mal mit der kalten Logik der Wirtschaft: Es gibt eine Nachfrage nach dem Produkt AfD, und es gibt ein Angebot. Gegen die Nachfrage kann man wenig tun, wie ich letzte Woche hier zu zeigen versucht habe. Aber man kann das Angebot verknappen – indem man die AfD verbietet. Dann verschwindet die Nachfrage nicht, aber es kann auch nichts mehr gekauft bzw. gewählt werden. Dagegen gibt es eine Menge Gegenargumente, die in den letzten Wochen auch schon alle aufgeführt wurden: Dann gründet sich die AfD eben neu, dann geht sie in den Untergrund oder ihre Wähler stürzen sich auf das BSW, machen die NPD stark oder gründen eine „Braune Armee Fraktion“. Da ist was dran, aber was, sieht man erst, wenn man es zusammen analysiert – das alles wird nämlich parallel passieren, und nicht nur das. Sehen wir es uns Schritt für Schritt an.
Nehmen wir an, ein AfD-Verbot läuft ab wie das Verbot der Sozialistischen Reichspartei oder der KPD in den fünfziger Jahren. Dann ergeht am Montagnachmittag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und noch in der gleichen Nacht rücken überall im Bundesgebiet Sonderkommandos der Polizei aus, beschlagnahmen das AfD-Vermögen, versiegeln Büroräume, frieren Konten ein. Am Dienstag hat die AfD keine Bundestags- und Landtagsmandate mehr, die verfallen ersatzlos, wie damals bei der SRP und die anderen Parteien können fröhlich miteinander koalieren oder es bleiben lassen – ohne Rücksicht auf Brandmauern. Wer nicht mehr Parlamentsmitglied ist, hat auch keine Immunität mehr. Damit können auch die AfD-Abgeordnetenbüros durchsucht, die dazugehörenden Cloud-Zugänge, Telefone, Computer und Faxgeräte beschlagnahmt und ausgewertet werden. Angesichts des bisherigen Gebarens einiger prominenter AfD-Politiker ist zu erwarten, dass es dann aufgrund der plötzlich zur Verfügung stehenden Beweise auch zum einen oder anderen Hochverratsprozess kommt. Das war bei der KPD wegen deren enger Kontakte zur DDR damals auch so. Damals wurden im Bundesgebiet tausende KPD-Mitglieder festgenommen, angeklagt und verurteilt. Allerdings war die KPD damals auch verglichen mit der AfD eine Massenpartei.Mit der Wiedergründung, die von Verbotsgegnern gerne ins Feld geführt wird, wird es auch nichts. Das hat das Verfassungsgericht mit seinem Wiedergründungsverbot damals verhindert. Dadurch konnte jeder, der auch nur einen Verein gründete, der sich auf die Rhetorik, Argumentation, die materiellen Überreste oder ehemaligen Mitglieder der SRP stützte, von den Behörden sofort wegen Verstoßes gegen das Wiedergründungsverbot angeklagt werden. Das durchzusetzen war damals noch einfacher, es gab weder Internet noch soziale Medien; wer die Öffentlichkeit oder auch nur seine verstreuten Mitstreiter erreichen wollte, musste sich der Medien bedienen oder eigene gründen – und machte sich damit sofort strafbar. Folge: Sowohl die später gegründete Deutsche Reichspartei und die DKP waren nur noch ein Schatten ihrer Vorgänger und das obwohl die DKP ja weiterhin die Unterstützung der DDR hatte.
Ein Verbot würde die AfD sehr schwächen: Die Subventionen und Abgeordnetengehälter wären sofort weg und damit fast die Hälfte der Einnahmen. Staatliche Gelder machen 44 Prozent ihrer Einnahmen aus. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst würden sofort den Kopf einziehen und brav schweigen, um ihre Arbeit zu behalten. Das gleiche gilt für werktätige Familienväter- und -mütter. Das Problem dabei: Das Wahlrecht verlieren AfD-Anhänger durch ein Verbot nicht, und politisch engagieren können sie sich trotzdem, nur eben nicht für die AfD. Oder besser gesagt: Nicht so, wie sie das bisher konnten. Wir leben nämlich nicht mehr in den fünfziger Jahren, in denen der Bürger alle vier bzw. fünf Jahre wählen ging, dazwischen vielleicht mal eine Petition unterschrieb oder auf eine Demonstration ging, aber die Regierenden ansonsten regieren ließ. Heutzutage nimmt fast jeder an der politischen Willensbildung teil – auf X, Facebook, Instagramm, Blue Sky, TikTok, in einer Bürgerinitiative oder sonst wie. Und dort kann man die AfD auch anonym unterstützen – sogar im Wahlkampf.
Man darf sie halt nur nicht beim Namen nennen, und sie selbst darf das auch nicht. Jetzt kommt der Teil, der den Verbotsbefürwortern nicht gefallen wird – und den es damals bei den KPD- und SRP-Verboten noch gar gab und nicht geben konnte.
Operation „Silberlocke“ – das kann die AfD auchDa der Ablauf eines Verbots und einer Parteiauflösung ja seit Jahrzehnten bekannt ist, wird sich auch die AfD darauf vorbereiten. Zumindest ein Teil ihres Vermögens und ihrer Führung wird also bei der Urteilsverkündigung bereits – natürlich rein zufällig – im Ausland sein, zum Beispiel in Ungarn, den USA oder der Slowakei. Auch dafür gibt es Beispiele: Einige Größen der PiS-Partei (die nicht verboten wurde) flohen nach den verlorenen Wahlen 2023 nach Belarus und Ungarn, um Anklagen wegen Korruption und Hochverrat zu entgehen. Auslieferungsersuche und Europäische Haftbefehle werden wenig bringen: Die laufen meist ins Leere, wenn es um politische Straftaten geht und die jeweilige Regierung dem Gesuchten geneigt ist. Spanien kann ein Lied davon singen, wie schwierig Auslieferungsverfahren gegen baskische Separatisten in Belgien und Frankreich waren. Zuletzt hatte die spanische Regierung ein ähnliches Problem mit ihren katalanischen Separatisten. Der polnische PiS-Politiker, der vor seinem Haftbefehl nach Ungarn floh, bekam dort blitzschnell Asyl.Das umfangreiche und professionelle Online-Angebot der AfD aus dem Exil aufrechtzuerhalten, dürfte also auch nach einem Verbot kein Problem sein. Damit nicht genug: Nach über zehn Jahren Präsenz in Wahlkämpfen, Parlamenten und Medien hat auch die AfD ihre Polit-Stars und viele Kandidaten, die trotz Verbot weiter bei Wahlen antreten können, nur eben nicht unter dem blauen Banner. Wir werden also schon bald nach einem Verbot überall in Deutschland – und im Osten ganz besonders häufig – Kandidaten auf scheinbar parteilosen Listen beobachten können, die sich auf ihren Plakaten und Internetauftritten zusammen mit Alice Weidel oder Tino Chrupalla, Björn Höcke oder Alexander Gauland ablichten lassen. Sie können sich diesen Trick von der polnischen Solidarność borgen, die ihre Kandidaten 1989 mit dem Konterfei von Lech Walesa ablichtete, um so sicherzustellen, dass ihr Logo nicht missbraucht wurde.
Auf Solidarität konnte sich jeder berufen, aber nur wer auf dem Plakat neben Wałęsa abgebildet war, durfte als echter Oppositionskandidat gelten. Selbst wenn man ihrer Spitzengarnitur das passive Wahlrecht entzieht, hindert das die AfD nicht an solchen Tricks. Man sah das gerade in Rumänien, wo der nationalistische Kandidat, Calin Georgescu, dem die Kandidatur gerichtlich verboten wurde, einfach mit George Simion einen Gefolgsmann vorschob, auf den dann bei der Wahlwiederholung noch mehr Stimmen entfielen. Ein Ökonom würde das wohl als Beweis sehen, dass eine Verknappung des Angebots bei gleichbleibender Nachfrage zu einem höheren Preis, also einem besseren Wahlergebnis führt.
Digitale Strategien brauchen keine ParteimitgliederAber so, wie das deutsche Wahlsystem funktioniert, muss die AfD nicht unbedingt zu Schattenkandidaten à la Simion greifen, um wieder in den Bundestag zu kommen. Es genügt, eine harmlose freie Liste zu gründen und den Wahlkampf auf drei Direktwahlkreise zu konzentrieren, um von der Grundmandatsregel zu profitieren. Die Kandidaten werden dann mit Weidel-Konterfei auf den Plakaten antreten, damit die ehemaligen AfD-Wähler auch die richtigen Kandidaten wählen – und schon gibt’s wieder eine Pseudo-AfD-Fraktion, die sich nur nicht so nennen darf. Wenn sie fies ist, nennt sie ihre Liste dann „Silberlocke“. Diesem Trick können die anderen Parteien theoretisch einen Riegel vorschieben, indem sie die Grundmandatsklausel in Übereinstimmung mit dem BVerfG-Urteil von 2024 neu regelt. Aber jede Regelung zum Nachteil der AfD (die dagegen nach einem Verbot nicht mehr klagen kann), würde auch der Linken schaden – und wer weiß, wann die Regierungsmehrheit im Bundestag die wieder braucht.
Jetzt kommt wieder ein Argument für die Verbotsbefürworter: Natürlich wird die AfD durch ein Verbot geschwächt. Unter solchen Bedingungen Wahlkampf zu machen ist kompliziert und die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und Konflikten in der Partei ist groß. Das kann leicht dazu führen, dass in manchen Ländern oder Wahlkreisen mehrere AfD-Nachfolgelisten oder -Kandidaten gegeneinander antreten und dann den Einzug ins Parlament oder die Bürgermeisterwahl verpassen. In Thüringen gab es vergangenes Jahr einen Hahnenkampf im selben Wahlkreis zwischen zwei AfD-Kandidaten, von der Bremer Landtagswahl wurde die Partei 2023 ausgeschlossen, weil sie zwei Listen eingereicht hatte. Hinzu kommt, dass die AfD eine Kaderpartei ist: Sie hat viele Wähler, aber wenig Mitglieder. Derzeit hat sie um die 39 000 Mitglieder, das ist prozentual zu den Wahlergebnissen deutlich weniger als die anderen Parteien und auch deutlich weniger als die KPD vor ihrem Verbot hatte. Bei der SPD kommen auf einen Genossen knapp 24 SPD-Wähler, bei der CDU entfallen auf ein Parteimitglied knapp 33 CDU-Wähler, bei der AfD sind es fast achtmal soviel wie bei der CDU. Sie hat pro Mitglied 254 Wähler! Die bei der Stange zu halten, ist schon jetzt nicht einfach, aber in der Illegalität wird es dann noch um einiges schwerer werden. Das Gegenargument kommt in diesem Fall aus Rumänien: Personalmangel kann man durch einen Online-Vorsprung vor den anderen Parteien mehr als ausgleichen – und gerade darin war die AfD bisher ja auch schon besser als die meisten anderen Parteien. Das ist, ganz nebenbei, auch das schlagkräftigste Argument gegen das von Verbotsgegnern immer wieder ins Feld geführte Postulat, man „,müsse die AfD politisch“ (anstatt juristisch) bekämpfen. Wo sind sie denn, die supermodernen, AI-getriebenen IT-Zentren der anderen Parteien, die den TikTok-Auftritten der AfD Paroli bieten?
Knapp 660 Millionen Euro gehen jährlich aus dem Bundeshaushalt an die politischen Stiftungen der Parteien, nichts davon geht an die AfD-Stiftung. Das Geld fließt vor allem an die Stiftungsapparate, an Stipendien, in eine Art Partei-Neben-Außenpolitik, in deren Rahmen diese Stiftungen Auslandsvertretungen auf der ganzen Welt unterhalten. Damit werden (meist traditionelle) Konferenzen und Debatten mit Parteigrößen organisiert und ab und zu werden sogar klobige, akademisch daherkommende Berichte und Analysen fabriziert, die dann – wer hätte das gedacht – online abrufbar sind. Von außen sieht das ein wenig aus wie der Wettlauf des Hasen mit dem Igel: Wo der eine erst hinwill, ist der andere schon längst angekommen. Nur dass der Hase in der Parabel nicht mit 660 Millionen jährlich unterstützt wurde. Die einen haben über eine halbe Milliarde und bleiben analog, die anderen haben nichts, aber sind digital hervorragend aufgestellt.
Die AfD wie damals die RAF?Ein Teil der AfD wird nach einem Verbot in den Untergrund gehen, sagen manche der Verbotsgegner. Wir bekommen dann einen rechtsradikalen, vermutlich auch gewaltbereiten oder gewalttätigen Untergrund. Da ist durchaus etwas dran, allerdings nicht besonders viel. Die AfD hat seit ihrem Bestehen den rechtsradikalen Sumpf rechts von ihr weitgehend ausgetrocknet. Dass das BVerfG fand, die NPD sei keine Bedrohung für die politische Ordnung der Bundesrepublik, liegt auch daran, dass deren Sympathisanten und Wähler von der AfD aufgesaugt wurden. Von einem Verbot werden also rechtsradikale Kleinstparteien, Reichsbürger und andere freie Radikale profitieren.
Das ist allerdings nicht unbedingt ein Argument gegen ein Verbot, denn das Ziel eines Verbots ist es ja, die AfD von den Parlamenten und der politischen Macht fernzuhalten, ohne deshalb die Parlamente durch Brandmauern und ewige Anti-AfD-Koalitionen zu blockieren. Wenn sich die AfD-Wählerschaft auf mehreren Parteien aufspaltet (und ein Teil zu BSW, der Linken oder der CDU abwandert) und die dann alle unter der Fünfprozentklausel bleiben, ist das Ziel eines Verbots erreicht. Der Preis dafür ist vielleicht ein größerer, radikaler Untergrund, eine Neuauflage des NSU oder (was aufs Gleiche herauskommt) eine Art Braune Armee Fraktion, die Attentate auf Fremde, Politiker und politische Gegner verübt. Kann sein, aber es gibt auch einiges, was dagegenspricht oder darauf hinweist, dass es so dramatisch nicht werden wird: Im Durchschnitt sind AfD-Mitglieder nämlich ziemlich alt und haben viel zu verlieren. Der fünfzigjährige verbeamtete Familienvater wird nicht in den Untergrund gehen und Schießen lernen, wenn die AfD verboten wird, das werden höchstens junge, abenteuerlustige Leute tun, die nichts zu verlieren haben. Das ist der Unterschied zur RAF, die damals wie ein Fisch im Teich von vielen, vielen Gleichaltrigen der damaligen geburtenstarken Jahrgänge schwimmen konnte. Im Vergleich dazu schnappen die jungen AfD-Fische in einem demographisch ausgetrockneten Flachwasserbecken verzweifelt nach Luft.
So oder so ist das ein Problem für die Polizei. Diese AfD-Nachfolger muss man dann wenigstens nicht mehr politisch bekämpfen, sondern nur noch juristisch. Aber so einfach ist die Sache nicht.
Der Obrigkeitsstaat schlägt zurückEin Parteiverbot ist eine autoritäre Maßnahme. Für Menschen mit autoritären Einstellungen sind Verbote der beste Weg, Probleme zu lösen, für weniger autoritäre sind Vorbeugung und Resozialisierung wichtiger. AfD-Wähler sind in der Regel autoritär, sie wollen, dass der Staat durchgreift, aber natürlich nicht gegen sie, denn sie sehen sich selbst als anständige Bürger. Wenn der Staat die AfD verbietet, ihre Führungsriege ins Ausland treibt oder verhaftet, das Parteivermögen beschlagnahmt und ihre Mandate kassiert, dann wendet er die AfD-Logik gegen die AfD selbst an. Politiker, Kommentatoren und einfache Bürger, die sich selbst als tolerant und nicht-autoritär sehen, mögen das zunächst gut finden. Dabei merken sie nicht, dass sie durch den Kampf gegen die AfD selbst autoritär geworden sind. Die Bundesrepublik, die die KPD und die SRP verbot, war zwar eine formale Demokratie mit freien Wahlen, aber sie war gleichzeitig auch ziemlich autoritär. Das zeigte sich immer dann, wenn jemand sie provozierte: Dann prügelte die Polizei Studenten, auch wenn das unnötig war, führte Berufsverbote ein, schränkte (wie beim Stammheimprozess) die Bürgerrechte ein, schickte Wasserwerfer gegen protestierende Bauern und erklärte ihre Gegner zu Staatsfeinden. Dahin zurück will heute kaum noch jemand, außer vielleicht AfD-Wähler, aber dann auch nur, wenn sich das nicht gegen sie selbst richtet. Aber genau in diese Richtung geht’s dann.
In dem Wettlauf, der zwischen Polizei, Geheimdiensten und Justiz auf der einen und den AfD-Erben auf der anderen Seite nach einem Parteiverbot einsetzen wird, wird dem Staat gar nichts anderes übrigbleiben, als autoritärer und repressiver zu werden. Mit den bisher vorhandenen Mitteln wird es schwer sein, AfD-Propaganda und Wählermobilisierung aus dem Ausland zu unterbinden und ein rigides BVerfG-Urteil auch durchzusetzen. Die Geheimdienste werden dann (ganz legal und ohne auf Immunitäten Rücksicht nehmen zu müssen) AfD-Nachfolgeorganisationen und ihre Treffen beobachten, V-Leute einsetzen und Telefone überwachen können, aber es wird schwer sein, für Letzteres jedes Mal zuvor eine richterliche Genehmigung zu bekommen.
Die wird entweder zur Formsache (wenn die Richter mitspielen) oder per Gesetz abgeschafft (wenn sie es nicht tun). Ungefähr zwanzig Prozent der Erwachsenen in der Bundesrepublik geraten dann in eine Art Generalverdacht, eine verbotene Organisation zu unterstützen. Ich weiß, wovon ich rede, denn eine ähnliche Lage hatten wir in Polen bis Ende 2023: Die polnischen Geheimdienste hörten ab, wen sie wollten (sogar Oppositionspolitiker mit Parlamentsmandat während des Wahlkampfes), entweder mit formaler Zustimmung der Gerichte (die oft irregeleitet wurden), oder an den Gerichten vorbei. Auch die Berufsverbote aus den fünfziger Jahren kommen dann zurück, wenn Staatsbedienstete das Neutralitätsverbot verletzen und dabei erwischt werden, wie sie an einen AfD-ähnlichen Verein spenden oder ihre Kinder unterstützen, die für eine Liste, auf der auch frühere AfD-Politiker kandidieren, im Internet werben. Die relativ präzisen rechtsstaatlichen Kriterien, die uns jetzt vor der Willkür des Staates schützen, werden dann sehr schwammig und dehnbar. Nicht, weil der Staat das so macht, sondern weil die AfD nach einem Verbot zu einem Pudding wird, den man nicht festnageln kann.
Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik wird dann dem Obrigkeitsstaat, dem die meisten AfD-Wähler nachtrauern, immer ähnlicher. Es entsteht die nächste hybride Demokratie, eine Mixtur aus liberaler post-stalinistischer DDR und deutschem Kaiserreich, das auch wählen ließ, rechtstaatlich organisiert, aber trotzdem ziemlich autoritär war. Und das alles, ohne dass die AfD selbst irgendwo an der Macht beteiligt oder in Parlamenten vertreten wäre.
Es gibt gewichtige Argumente für und gegen ein AfD-Verbot, und sie sind bei weitem nicht alle nur juristisch. Allgemeine, nahezu inhaltsleere Floskeln wie „Die Wähler kann man ja doch nicht verbieten“ oder „Man muss die AFD politisch bekämpfen“ gehören nicht dazu. Die Sache ist zu wichtig, um sie den Juristen zu überlassen und jeder, der die AfD politisch bekämpfen will, konnte das in den letzten zehn Jahren tun. Das Ergebnis ist bekannt. Damit sind wir beim Fazit: Egal, ob man versucht, der AfD die Wähler abspenstig zu machen oder sie verbietet und verfolgt – der Staat, der das tut, wird dadurch einem Obrigkeitsstaat ähnlicher, wie ihn sich AfD-Wähler erträumen. Nur dass er eben die AfD und nicht die anderen Parteien zerschlägt. Am Ende haben wir einen AfD-Staat ohne die AfD. Das ist das Fatale an rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen: Egal ob sie an die Macht kommen oder nicht, sie machen den Staat autoritärer und repressiver.
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Berliner-zeitung