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Frauke Brosius-Gersdorf und die Abtreibung im 9. Monat: Was sie gesagt hat, wie es bisher ist

Frauke Brosius-Gersdorf und die Abtreibung im 9. Monat: Was sie gesagt hat, wie es bisher ist

Um die Juristin, die Verfassungsrichterin werden sollte, ist ein heftiger Streit entbrannt. Was über ihre Position und sehr späte Abtreibungen in Deutschland bekannt ist.

Frauke Brosius-Gersdorf in der Talkshow „Markus Lanz“teutopress/imago

Der Satz, der im Zentrum des Streits um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf steht, fiel am frühen Abend des 10. Februar im Großen Anhörungssaal des Bundestags. Der Rechtsausschuss des Parlaments war zusammengetreten, um über einen Gesetzentwurf zu beraten, der das Abtreibungsrecht in Deutschland neu regeln sollte. Der Satz findet sich im Protokoll der Sitzung.

Frauke Brosius-Gersdorf, die als eine von zehn Sachverständigen geladen war, hatte erklärt, in der Verfassungswissenschaft sei „sehr umstritten“, ob dem Embryo, später dem Fötus im Mutterleib der Schutz der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes zukomme. Dann sagte sie: „Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“

An diesem Freitag sollte Brosius-Gersdorf, die aus Hamburg stammt und seit 2021 Professorin an der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam ist, vom Bundestag zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Sie war eine von zwei Kandidatinnen, die von der SPD vorgeschlagen wurden. Doch nun wurde die Wahl der neuen Richter offenbar ganz von der Tagesordnung genommen – vor allem wegen des Streits um Brosius-Gersdorf und ihren Satz zur Menschenwürde. Nachdem zunächst in den sozialen Medien und auf rechten Portalen heftige Kritik an der Juristin geäußert wurde, hatten auch Dutzende Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion erhebliche Bedenken artikuliert.

In der zum Teil stark zugespitzten Debatte heißt es mitunter, Brosius-Gersdorf plädiere dafür, Abtreibungen bis in den neunten Monat der Schwangerschaft zu erlauben. Kinder sollten im Mutterleib zerstückelt werden können, wenn es nach ihr ginge. Dazu muss man sagen: Nichts von dem hat die Juristin je gesagt.

Es gibt aber auch eine ernsthafte Debatte um den Satz, den sie im Rechtsausschuss geäußert hatte und der nicht nur konservative, christlich geprägte Politiker empört. Ab wann gilt die Menschenwürdegarantie ihrer Interpretation zufolge? Wenn ein Kind den Mutterleib vollständig verlassen hat? Ab dem ersten eigenen Atemzug? Was ist mit dem Kind, das gerade geboren wird, mit dem Kind eine Woche vor der Geburt? Mit Frühchen, die ab dem sechsten Monat lebensfähig sind?

Wann empfindet ein Ungeborenes Schmerzen?

Nach der Befruchtung einer Eizelle wird das werdende Leben zunächst Embryo genannt. Ab der neunten Woche nach der Befruchtung spricht man – in Medizin, Wissenschaft und juristischen Debatten – von einem Fötus. Ab etwa der 22. Woche ist das Kind so weit herangewachsen, dass es außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähig sein kann, wenn es nicht zu leicht ist und wenn es sehr intensiv medizinisch betreut wird. Ab der 24. Woche der Schwangerschaft haben Frühchen eine gute Überlebenschance, auch dann müssen sie noch intensiv betreut werden und in einem Inkubator, in dem es warm ist und sie vor Keimen aus der Umwelt geschützt sind, weiter heranwachsen.

Wann ein Fötus im Mutterleib Schmerz empfinden kann, ist wissenschaftlich noch immer umstritten. Oft findet man die Aussage, dass sich das Schmerzempfinden im letzten Trimester – also den letzten drei Monaten der Schwangerschaft – ausbildet.

Obwohl man weiß, dass Ungeborene schon früh außerhalb des Mutterleibs eine Überlebenschance haben können, und annimmt, dass sie noch früher Schmerzen empfinden können, ist in Deutschland schon heute erlaubt, auch späte Abtreibungen vorzunehmen. Im zweiten Absatz des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, der das Abtreibungsrecht regelt, heißt es, dass ein Abbruch zu keinem Zeitpunkt rechtswidrig ist, wenn „die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ abgewendet werden muss „und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“.

Die Methode Fetozid: Tödliche Spritze im Mutterleib

Späte Abtreibungen sind allerdings sehr selten. 2023 wurden in Deutschland 106.000 Schwangerschaften abgebrochen. Davon ein Drittel fünf bis sechs Wochen nach der Befruchtung, ein weiteres Drittel sieben bis acht Wochen nach der Befruchtung, die meisten weiteren Abbrüche erfolgten bis zum Ende der zwölften Woche. Nur drei Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche wurden nach dem Ende des dritten Monats durchgeführt.

Sehr wenige Abbrüche finden erst nach der 20. Schwangerschaftswoche statt. Dann muss das heranwachsende Kind im Mutterleib mit einer Injektion getötet werden. Man spricht von einem Fetozid. Danach muss die Frau das tote Kind gebären.

Ein Aufsatz in der Fachzeitschrift Die Gynäkologie beschreibt die Methode: „Hierbei wird dem Ungeborenen durch eine ultraschallgesteuerte intrakardiale Punktion Kaliumchlorid, Digoxin oder Xylocain verabreicht. Dadurch wird sichergestellt, dass nach der fetalen Herzasystolie ein totes Kind geboren wird.“ Das heißt: Die Medikamente bewirken den Herztod des Kindes. Man wendet die Methode auch an, wenn eine Frau Zwillinge oder Mehrlinge erwartet, ein Ungeborenes aber schwer erkrankt ist. Der Fetozid soll in diesem Fall gewährleisten, dass die anderen Kinder eine bessere Überlebenschance haben.

Ein weiterer Fachaufsatz aus dem Jahr 2023 beschreibt das rechtliche Prozedere. Der Zeitpunkt des Todes des Fötus müsse per Ultraschall dokumentiert werden. Im Totenschein, der für jedes Kind ausgefüllt werden muss, das wenigstens 500 Gramm gewogen hat, werden Geburtszeitpunkt und Todeszeitpunkt „identisch behandelt“. Als Todesart werde eingetragen: „nicht natürlich infolge einer ‚vorzeitigen Geburtseinleitung im Rahmen eines späten Schwangerschaftsabbruchs gemäß § 218a Abs. 2‘“. Auch der Name des Arztes, der die medizinische Notwendigkeit des Abbruchs festgestellt hat, wird eingetragen.

Ein so später Abbruch ist eine enorme psychische Belastung für Schwangere, ihre Familien und das medizinische Personal. Frauen, die eine Schwangerschaft nicht früh beenden, wünschen sich in den allermeisten Fällen das Kind oder die Kinder und müssen nun ihre Tötung miterleben. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 720 Fetozide durchgeführt, dazu kamen 35 Fetozide bei Mehrlingsschwangerschaften.

So sollte das Abtreibungsrecht verändert werden

Frauke Brosius-Gersdorf hat eine Gesetzesinitiative von SPD-, Grünen- und Linke-Abgeordneten unterstützt, in der es vor allem darum ging, Abtreibungen im ersten Trimester der Schwangerschaft zu liberalisieren, indem man sie nicht mehr im Strafrecht regelt. Bisher sind Abbrüche bis zum Ende der zwölften Woche zwar nicht rechtmäßig, aber unter bestimmten Bedingungen – die Frau lässt sich beraten, wartet danach drei Tage – straffrei. Sehr umstritten war, dass die obligatorische Bedenkzeit wegfallen und in der Beratung nicht mehr der Schutz des ungeborenen Lebens im Mittelpunkt stehen sollte. Der Gesetzentwurf fand im letzten Bundestag keine Mehrheit und wird im derzeitigen Bundestag keine Mehrheit finden.

Denkbar ist, dass sich die Ansicht von Frauke Brosius-Gersdorf, die volle Menschenwürde beginne erst mit der Geburt, auf andere Debatten rund um Schwangerschaft, Geburt und den Umgang mit ungeborenem Leben auswirken könnte. Auch wenn sie nicht die einzige Juristin mit dieser Auslegung sein dürfte – gesellschaftlich dürfte diese Position hoch umstritten bleiben.

Berliner-zeitung

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