Gesundheit: Millionen Patienten schauen noch nicht in ihre elektronische Akte

Nur wenige Versicherte nutzen ihre elektronische Patientenakte (ePA) aktiv. Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bei der Techniker Krankenkasse (TK), den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) und der Barmer ergab, werden von den gut 44 Millionen eingerichteten E-Akten der Kassen nur 1,2 Millionen aktiv genutzt. Verbraucherschützer fordern, dass rasch mehr nützliche Funktionen kommen.Die Chefin des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, sagte der dpa: „Bisher ist die Zahl der Versicherten, die sich in ihre elektronische Patientenakte einloggen, noch überschaubar. Das wird sich ab Oktober hoffentlich ändern, denn ab dann sind Ärztinnen und Ärzte gesetzlich verpflichtet, die ePA zu nutzen und mit relevanten Dokumenten zu befüllen.“ TK-Chef Jens Baas sagte der dpa: „Wir sind jetzt in der Phase, in der die ePA in der breiten Bevölkerung ankommen muss.“ Nur wenn die Akte gefüllt sei und sich im Alltag etabliere, könne sie ihr Potenzial für die Versorgung entfalten.
Nach einer Reform der Ampelkoalition haben 70 Millionen der gut 74 Millionen gesetzlich Versicherten seit Januar eine E-Patientenakte von ihrer Kasse bekommen. Wer keine möchte, muss aktiv widersprechen. Der Einsatz in Praxen und Kliniken wird nach einer Testphase derzeit bundesweit ausgedehnt. Dabei können Ärzte und Ärztinnen die ePA befüllen und einsehen, auch wenn Versicherte sie nicht selbst aktiv verwenden. Das Zugriffsrecht für die Praxen ist da, wenn man die Versichertenkarte am Anmeldetresen einsteckt – standardmäßig für 90 Tage.
Für die Patienten gilt: Man kann sich in die ePA einloggen, muss es aber nicht. Nur wenn man es tut, kann man aber online festlegen, welche Ärzte welche Daten sehen können und was lieber nicht. Fürs Verwenden der App muss man sich jedoch zunächst aufwändig identifizieren und freischalten lassen. Dafür braucht man einen elektronischen Personalausweis mit Geheimnummer (Pin) oder die E-Gesundheitskarte mit Pin, die auf Antrag von der Kasse kommt.
Die Kassen setzen auf eine zunehmende Nutzung der ePA, die Patienten ein Leben lang begleiten soll. Das Bündeln sonst verstreuter oder fehlender Daten soll bessere Behandlungen ermöglichen und Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Laut Gematik wurden zuletzt wöchentlich 40 Millionen E-Akten in Praxen, Kliniken und Apotheken geöffnet. Gut 70.000 Einrichtungen machen mit, wobei es bis zu 160.000 sein könnten. Der Kassen-Spitzenverband spricht von einem „zufriedenstellenden Start“. Es zeige sich aber auch, dass für eine echte Digitalisierung des Gesundheitswesens noch einiges zu tun sei.
Weitere Funktionen sollen kommenUmfragedaten zeigten, dass viele Versicherte interessiert seien, Gesundheitsdaten wie Arztbriefe oder Labordaten über ihre ePA einzusehen, sagte AOK-Chefin Reimann. Neue nützliche Funktionen dürften die Nutzung zusätzlich fördern. So gibt es schon eine Liste der eingenommenen Medikamente. Dazukommen soll bald aber auch ein Medikationsplan mit Angaben etwa zu Arznei-Dosierungen.
Ein Update mit einigen neuen Funktionen stellte die Gematik gerade vor. So soll schrittweise eine Variante an den Start kommen, mit der man die ePA außer per Smartphone auch am PC verwalten kann. Gebraucht wird dann ein Lesegerät für die elektronische Gesundheitskarte. Möglich werden soll außerdem, eine aus den eingelösten E-Rezepten gespeiste Medikamentenliste in der ePA nur für bestimmte Praxen zu verbergen – und nicht immer gleich für alle. Dies soll verhindern können, dass Rückschlüsse auf sensible Erkrankungen möglich sind.Aus Sicht der Verbraucherzentralen ist das eine entscheidende Verbesserung, aber auch nur ein Anfang. Auch bei Befunden und Abrechnungsdaten müssten Patienten selbstbestimmt entscheiden können, welche Einrichtungen worauf Zugriff erhalten. Es sei nicht zwingend nötig, „dass die Zahnarztpraxis von der Psychotherapie erfährt“, sagte der Gesundheitsexperte des Bundesverbands, Lucas Auer. Auch relevante Informationen wie der Impfpass, Bonushefte oder Röntgenaufnahmen müssten bald über die E-Akte abrufbar sein. „Denn nur, wenn die ePA einen spürbaren Nutzen bietet, wird sie breite Akzeptanz finden.“
süeddeutsche