Kai Wegner stoppt Ernennung von Muslim-Aktivistin: So konnte es zu dem Eklat kommen

Es war ein Eklat mit Seltenheitswert. Der Versuch der SPD-Senatorin Cansel Kiziltepe, im Alleingang und ohne Absprache erstmals eine Ansprechperson des Senats für antimuslimischen Rassismus zu installieren, scheiterte an der CDU-Mehrheit im Senat. Am Ende pfiff der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Kiziltepe zurück. Ein ziemlich einmaliger Vorgang. Doch es bleiben Fragen: Was ist das überhaupt für ein Amt? Und wer ist das, die es antreten sollte – und es dann doch nicht durfte?
In der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag erklärte Wegners Pressesprecherin Christine Richter, warum die CDU die Ernennung einer Ansprechperson des Senats für antimuslimischen Rassismus ablehnte. Richter verwies auf eine hochkarätig besetzte Expertenkommission des Berliner Abgeordnetenhauses, die zu dem Thema „wertvolle Arbeit“ leiste. Ziel ist es, weitere Maßnahmen gegen Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede Form von Diskriminierung zu erarbeiten und vorzuschlagen. Deren Ergebnisse wolle man nicht vorwegnehmen, sagte Richter.
Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft: Falsche Ausgewogenheit beim Thema IslamfeindlichkeitIronischerweise gilt die Expertenkommission als politisches Baby von SPD-Fraktionschef Raed Saleh, eingerichtet unter anderem als Reaktion auf den Überfall der Hamas auf Israel im September 2023 und den darauf folgenden Angriff der Israelis auf den Gazastreifen. Wollte Kiziltepe mit der Besetzung des Amtes die Arbeit von Salehs Kommission entwerten? Saleh habe jedenfalls von der Ernennung zuvor nichts gewusst, hieß es am Dienstagabend.

Doch das bleibt beileibe nicht die einzige offene Frage zu der spektakulär gescheiterten Ernennung. Für Volker Beck, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, ist allein schon der Begriff antimuslimischer Rassismus ein Problem, wie er sagt. „Er ist ein Kampfbegriff, der zur Klärung wenig beiträgt.“ Muslimfeindlichkeit und Rassismus seien gesellschaftliche Probleme, die bekämpft werden müssten, daran gebe es keinen Zweifel. Diese lägen anderswo, so Beck.
Im Gespräch mit der Berliner Zeitung kritisiert Beck eine falsche Ausgewogenheit bei der Ausrufung von Ansprechpersonen des Landes Berlin. Nun solle es neben einem Ansprechpartner zu Antisemitismus einen ebensolchen gegen antimuslimischen Rassismus geben, führt er aus. Dabei seien die Themenfelder „in ihrer Semantik wie in ihren tatsächlichen Erscheinungsformen nicht gleich, sondern sehr unterschiedlich“, so Beck.
Beck verweist auf Zahlen, Daten und Fakten des Bundesinnenministeriums. So hatten Jahr 2023 insgesamt 74,01 Prozent (in absoluten Zahlen: 5554) der Delikte gegen sogenannte religiöse Repräsentanten einen antisemitischen Hintergrund, bei „islamfeindlich“ wurden 22,37 Prozent (insgesamt 1679 Fälle) genannt. Zum Vergleich: Etwa 0,1 bis 0,3 Prozent der Menschen in Deutschland sind Juden – 6,4 bis 6,7 Prozent Muslime. Das heißt, dass Juden vergleichsweise deutlich häufiger zu Opfern religiös motivierter Straftaten werden als Muslime.

Bleibt die Frage nach der Person. Öffentlich ist über Kiziltepes Kandidatin Yücel Meheroğlu fast nichts bekannt. Ausweislich eines kurzen schriftlichen Werdegangs, den Kiziltepes Senatsverwaltung verschickte, ist die 41-Jährige eine promovierte Wissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Rassismus- und Vorurteilsforschung. Zuletzt war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bundesgeschäftsstelle der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) tätig. Dort war sie unter anderem für die Erfassung und Analyse rassistischer Vorfälle, das Monitoring sowie die Beratung von Betroffenen zuständig.
An der Universität Hamburg studierte Meheroğlu Turkologie, Geschichte und Germanistik. Ihre Promotion hatte sie am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der Technischen Universität Berlin absolviert.
Allein schon die Nennung des ZfA lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen, schließlich spielt das Zentrum für Antisemitismus im seit Jahren heftig geführten Streit um die Grenzen zwischen akzeptabler Kritik an der israelischen Regierung und mehr oder minder unverhohlener Delegitimierung Israels oder blanken Antisemitismus eine Schlüsselrolle.
So werfen etwa Funktionäre des American Jewish Committee dem ZfA seit Jahren vor, in seiner Arbeit den muslimischen Antisemitismus zu vernachlässigen. Zudem arbeitete ZfA-Chefin Stefanie Schüler-Springorum im Jahr 2020 an einem sogenannten Plädoyer mit, das den BDS-Beschluss des Bundestages kritisiert. Dieser stuft darin die Initiative BDS in Deutschland als antisemitisch und antiisraelisch ein. BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“.
Heißes Eisen: Nancy Faeser musste Bericht über Muslimfeindlichkeit zurückziehenWie schwierig der Umgang mit dem Begriff der Muslimfeindlichkeit mitunter sein kann, zeigte sich nicht zuletzt im vergangenen Jahr. Da musste die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) zurückziehen.
Der Grund: In dem Bericht wurden unter anderem der Mitherausgeber des Blogs „Die Achse des Guten“ Henryk M. Broder, der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries und die Bloggerin und Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann (SPD) namentlich erwähnt und somit in den Kontext von „Muslimfeindlichkeit“ gerückt.
Zuerst hatte Broder gegen seine Erwähnung geklagt und Recht erhalten. In seiner Entscheidung hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Ministerium verurteilt, die Passagen über ihn nicht mehr zu veröffentlichen, da sie sein Persönlichkeitsrecht verletzten.
Das Gericht rügte vor allem, dass die Studie als amtliche Äußerung der Bundesregierung verstanden werden könne. Das Innenministerium sei zu Zurückhaltung, Sachlichkeit, Ausgewogenheit und „rechtsstaatlicher Distanz“ verpflichtet. Faeser musste den Bericht schließlich einstampfen. Einen weiteren Anlauf, diesen doch noch zu veröffentlichen, hat es bisher nicht gegeben.
Berliner-zeitung