Katja Hoyer über Grenzkontrollen: Was die Grünen an Donald Tusks Deutschland-Kritik missverstehen

In den deutschen Medien wird Kanzler Merz für seine Zurückweisungen von Migranten nach Polen kritisiert. Vor Ort zeigen aber viele Verständnis für die schärfere Migrationspolitik. Eine Kolumne.
Ich bin diese Woche einmal quer durch Polen gereist. Los ging es mit dem Berlin-Warszawa-Express von der deutschen Hauptstadt in die polnische. Dann weiter nach Augustów. Der schöne Kurort im Nordosten des Landes liegt in der sogenannten Suwałki-Lücke – jener kritischen Stelle, in der Polen an Litauen, Belarus und die russische Oblast Kaliningrad grenzt. Was ich auf der ganzen Reise nicht ein einziges Mal gehört habe: Kritik an der neuen deutschen Migrationspolitik.
So ähnlich ging es wohl dem deutschen Innenminister Alexander Dobrindt, der zeitgleich in Warschau war, um dort um Beistand für seine Migrationspolitik zu werben. Es war kein leichter Besuch, denn es hatte in den vergangenen Wochen von polnischer Seite immer wieder Bedenken wegen der Zurückweisungen von illegalen Einwanderern an der deutsch-polnischen Grenze gegeben, unter anderem vom polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Der polnische Grenzschutz weigerte sich mitunter auch, Asylbewerber zurückzunehmen, die versucht hatten, nach Deutschland einzureisen.
Das wurde dann schnell von Regierungsgegnern und Aktivistengruppen als Fundamentalopposition Polens gegen eine restriktivere Einwanderungspolitik in Deutschland interpretiert. So sprach Britta Haßelmann, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, von einer „schallende Ohrfeige für einen nationalen Alleingang“, der bei Deutschlands Nachbarländern für maximale Irritation gesorgt habe. Die Deutsche Welle, der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, berichtete ebenfalls, Titel des Beitrags: „Deutschlands neue Migrationspolitik stößt bei Nachbarn auf Kritik“.
Frankreich praktiziert, was Merz vorhatDabei weiß jeder, auch die Grünen-Spitze und die Kollegen bei der DW, dass Polen schon lange einen viel härteren Kurs gegen die illegale Einwanderung verfolgt als Deutschland. Derselbe Donald Tusk, der kürzlich politisch milde und aus taktischen Gründen heraus Dobrindts Zurückweisungen kritisierte, setzte Ende März das Ayslrecht in Polen aus und hat damit die irreguläre Einwanderung in sein Land drastisch reduziert. Bis Ende Mai wurden seit der Aussetzung nur 23 Asylanträge gestellt – im Vergleich zu knapp 800 Anträgen in derselben Zeit des Vorjahrs.
Finnland hatte zuvor auch schon beschlossen, Migranten an seiner Grenze zu Russland zurückzuweisen, obwohl „Gegner bezweifeln, dass das mit EU-Recht und Verfassung vereinbar“ sei, wie die Tagesschau berichtete. Frankreich begann nach den islamistischen Terroranschlägen in Paris vom 13. November 2015, von dessen Tätern ein Großteil als Asylsuchende ins Land gekommen waren, Grenzkontrollen wieder einzuführen. „Von rechtlichen Bedenken hält man in Paris nicht viel“, kommentierte die FAZ und meinte, „Frankreich praktiziert, was Merz vorhat“.
Dann wäre da noch Dänemark, das unter sozialdemokratischer Führung eine der restriktivsten Migrationsstrategien Europas verfolgt und im April beschlossen hat, seine Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze zu verlängern. Dort wurden 2024 nur noch 860 Asylanträge genehmigt. Auch die Niederlande führte im Dezember letzten Jahres Grenzkontrollen zu Deutschland ein.„Österreich lehnt Asyl-Rückweisungen an deutscher Grenze ab“, titelte die Tagesschau im März. Aber das Nachbarland kontrolliert selber seit März 2015 seine Grenzen zu Ungarn, Tschechien und Slowenien und beschloss im Mai, das Prozedere zu verlängern. Das sei eine „notwendige Maßnahme zur Abschreckung der Schleppermafia“, hieß es als Begründung aus dem Innenministerium. „Das Ziel ist klar: die illegale Migration gegen null drängen“, sagte Innenminister Gerhard Karner. Die „grenz- und grenznahen Kontrollen“ seien ein wichtiger Faktor.
Auch in Polen ist Zuwanderung ein ThemaDass die Regierungen der deutschen Nachbarländer nicht offen sagen können, dass sie den deutschen Kurswechsel unterstützen, solange der auch darin besteht, Migranten zu ihnen zurückzuschicken, ist in der aktuellen politischen Lage völlig klar. In den Niederlanden haben letztes Wochenende etwa ein Dutzend Bürger eigenmächtig an der deutschen Grenze Autos angehalten. In Österreich regiert eine Koalition, die die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ausschließt, obwohl diese als stärkste Partei aus den Nationalratswahlen hervorgegangen war. In diesen und anderen Ländern wird man sich hüten, den Eindruck zu erwecken, man nehme Deutschland seine Migranten ab.
Auch in Polen ist Zuwanderung ein Riesenthema. Das Land ist schon seit Jahren damit konfrontiert, dass Migranten an die Grenze zwischen Polen und Belarus geschleust werden. Dort drängt sie Polen „rücksichtslos“ zurück, wie Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz offen sagt. Er geht davon aus, dass es sich um einen von Belarus koordinierten „gewaltsamen Angriff mit Migranten“ handelt. Diese Migranten wollen oft nach Deutschland weiter. Allein zwischen August und Oktober 2021 kamen 4300 Menschen auf diesem Weg nach Deutschland. Auch der Spiegel berichtete damals über „das menschenfeindliche Schleusersystem des belarussischen Diktators“.
Menschen als politische HybridwaffenEs ist ein Fakt, dass Deutschlands europäische Nachbarländer strengere Grenzregelungen eingeführt haben und dies sowohl dem Willen ihrer jeweiligen Bevölkerung entspricht als auch dazu dient, illegale und brutale Schlepperbanden davon abzuhalten, Menschen als politische Hybridwaffen einzusetzen. Und trotzdem war die Häme wieder ziemlich ungeniert, als die deutschen Zurückweisungen vom Berliner Verwaltungsgericht letzte Woche für rechtswidrig erklärt worden waren. „Damit sind Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt mit ihrem nationalen Alleingang krachend gescheitert“, hieß es schadenfroh aus der grünen Bundestagsfraktion.
Hätten sich deren Mitglieder auch mal in den Berlin-Warszawa-Express gesetzt, hätten sie in Polen andere Töne vernommen. Dobrindts polnischer Amtskollege Tomasz Siemoniak erklärte bei deren Treffen: „Der Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union und die Bekämpfung der illegalen Migration sind gemeinsame Prioritäten für Deutschland und Polen. Wir werden unsere Maßnahmen entschlossen verstärken, um wirksam auf die Bedrohungen durch Schleusung und Menschenhandel zu reagieren.“ Die beiden Männer waren sich einig darin, dass es legitim sei, dass „Länder, die unter Migrationsdruck stehen, außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um die Destabilisierung der Asyl- und Sozialsysteme zu verhindern“.
Die Polen wollen einen neuen deutschen MigrationskursDass alle nach einer europäischen Lösung suchen, damit man die Grenzkontrollen innerhalb der EU wieder lockern kann, ist gar keine Frage. Mein Zug nach Polen hatte („wie so oft“, grummelte mein polnischer Sitznachbar) ohnehin Verspätung auf der deutschen Seite. Keiner der Passagiere hätte langwierige Passkontrollen als bereichernd empfunden. Aber das wäre ein seltsamer Grund, das Thema illegale Migration zu ignorieren.
Es gibt in Polen und Deutschland eine große Mehrheit, die sich Kontrolle darüber wünscht, wer einreisen und bleiben darf. Laut einer Insa-Umfrage befürworten fast zwei Drittel der Deutschen das Festhalten der Bundesregierung an Zurückweisungen auch Asylsuchender an den Grenzen. In Polen sagten in einer Umfrage im Februar drei Viertel der Befragten, sie seien gegen eine weitere Aufnahme von Migranten. Solche Zahlen und die korrespondierenden Wahlergebnisse in vielen europäischen Ländern müssen in Demokratien etwas bedeuten.
Die Menschen, denen ich in Polen begegnet bin, wünschen sich freilich nicht, dass ihr Land ein Auffanglager für Menschen wird, die von deutschen Grenzen zurückgeschickt werden. Aber sie wünschen sich sehr wohl einen neuen Migrationskurs in Deutschland, nämlich einen, der weniger Menschen an die Grenzen und in die EU zieht. Sie sehen die Magnetfunktion Deutschlands als einen Grund für die derzeitige Lage. Sie hoffen, dass Berlin das endlich versteht und etwas tut, um das zu ändern – sowohl intern als auch in Form von Hilfe beim Schutz der Außengrenzen.Dobrindts Grenzkontrollen mögen kein Allheilmittel sein, aber sie sind auch kein „deutscher Alleingang“. Das hingegen waren die offenen Grenzen der vergangenen Jahre.
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Berliner-zeitung