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Merkel gegen Merz: Plötzlich ist die Altkanzlerin Oppositionsführerin in ihrer eigenen Partei

Merkel gegen Merz: Plötzlich ist die Altkanzlerin Oppositionsführerin in ihrer eigenen Partei

Im Innenhof des Schweriner Schlosses liegt am Dienstag schwere schwüle Abendluft. Auf der Bühne steht Angela Merkel. Gefasst, fokussiert, eine weise Dame im lila Jackett. Kein Applausorkan. Kein Pathos. Aber gespannte Stille – wie immer, wenn die Frau spricht, die Deutschland 16 Jahre lang regierte, danach erst abtauchte in die Freiheit, wie es schien, und nun, als Altkanzlerin, plötzlich zurück ist – nicht in der Regierung, nicht im Kanzleramt, sondern als Oppositionelle. Gegen wen? Gegen die eigene Partei.

Ja, genau – gegen die CDU, der sie einst die oft erzkonservative Ideologie austrieb, sie Richtung Mitte schob, und der sie mit ruhiger Hand Wahlerfolg um Wahlerfolg bescherte. Jetzt wirkt sie dort wie ein Relikt. Viele ihrer Parteikollegen dürften sie gar als Störfaktor wahrnehmen.

Die CDU von heute will mit der CDU von 2015 nichts mehr zu tun haben. Vor allem nicht mit Merkels Flüchtlingspolitik. Kanzler Friedrich Merz spricht nun von Begrenzung und Rückführungen, von kontrollierten Grenzen und dem Ende des Familiennachzugs. Er war nie ein Freund ihrer Linie. Und heute ist er ihr politisches Gegenteil – nicht nur im Ton, sondern auch in den Taten.

Merkel aber verteidigt ihren Kurs. Ruhig, stoisch, auch trotzig. In Schwerin sagt sie: „Ich würde die Entscheidung von 2015 wieder treffen.“ Kein Rückzug. Keine Relativierung. Eher eine Replik – gegen den neuen Kurs ihrer alten Partei. Und eine stille Rehabilitierung ihrer Politik. Ausgerechnet die Kanzlerin der Stabilität wird zur Unruhestifterin der Union.

Merkel war immer die Physikerin unter den Kanzlern

Dabei war Merkel nie die große Ideologin. Eher die Physikerin unter den Kanzlern – nüchtern, rechnend, leise lenkend. „Normalität in Perfektion“, nannte Robert Habeck sie einmal. Man habe sie sich beim Kartoffelschälen oder „Tatort“-Gucken vorstellen können. Für Pathos war sie nie zuständig. Für Spott und schneidenden Witz durchaus.

Und doch: Ihre großen Entscheidungen waren moralisch begründet. Ihre Flüchtlingspolitik etwa – heute von vielen kritisiert, von anderen verklärt. Merkel nennt sie bis heute „human“. Andere nennen sie ihren größten Fehler. Das Publikum in Schwerin ist freundlich, aber nicht euphorisch. Wer 25 Euro Eintritt zahlt und seine Fragen vorher einreichen muss, buht nicht. Und doch bricht sich Unmut Bahn – selbst unter ihren Fans. „Wegen Merkel hatten wir den ersten Ehestreit“, gesteht ein Besucher. Ein anderer sagt: „Sie hat uns zusammengehalten.“ Auch wenn heute ein Drittel seiner Nachbarn AfD wähle.

Altkanzlerin Merkel: In Wahrheit geht es um mehr als Rückblick

Merkel hört das. Und reagiert. Differenziert, indirekt. So, wie sie immer war. Sie sieht, dass der Satz „Wir schaffen das“ für viele zur Hypothek geworden ist. Und trotzdem bleibt sie dabei. Nur eines lässt sie nicht gelten: Dass die AfD den Satz „Wir sind das Volk“ für sich reklamiere. „Das Volk sind wir alle“, sagt sie. Und fügt hinzu: „Auch Frau Merkel.“ Das ist kein Witz. Das ist Haltung.

In Wahrheit geht es um mehr als Rückblick. Merkel betreibt ihre Gegenwartsbewältigung. Und die der CDU. Sie sitzt nicht mehr auf der Regierungsbank, sie widerspricht – leise, aber bestimmt. Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius von „Kriegstüchtigkeit“ spricht, kontert Merkel mit „Friedenstüchtigkeit“. Nur ein Wort Unterschied – aber eine politische Welt dazwischen. Wenn Merz von „Migrationsbegrenzung“ spricht, erinnert Merkel an die Verantwortung an der Grenze und gibt sich verwundert, dass sie das EU-Recht anders verstanden habe. Wumms. Ihre Worte sind sanfter geworden – ihre Wirkung nicht.

Dass sie sich jetzt, 2025, wieder in die Debatte einschaltet, ist kein Zufall. Es ist Strategie. Und es ist ein Kontra – gegen den Kurs von Merz, gegen das neue Sounddesign der CDU, gegen die Taktik, AfD-Wähler durch mehr Law and Order, mit Härte an der Grenze zurückzugewinnen. Ein Signal: Merkel ist noch da. Vielleicht will sie das Gewissen ihrer Partei sein. Oder vielleicht sogar der Stachel in deren Fleisch.

Und die CDU? Sie hat sich von ihr entfernt – nicht heimlich, sondern selbstbewusst. Die „offenen Arme“ in Sachen Flüchtlingspolitik sind eine Geste der Vergangenheit. Der moralische Reflex von damals lastet der CDU heute an. Man gibt Merkel die Schuld am Aufstieg der AfD, an überforderten Kommunen, an fehlender Integration. In ihrer Heimat, im Osten, ist die Altkanzlerin schon lange nicht mehr wohlgelitten. In Sachsen-Anhalt könnte die AfD 2026 ihren ersten Ministerpräsidenten stellen.

Merkel kann das egal sein. Könnte es zumindest. Sie hat ja nichts mehr damit zu tun. Oder doch?

Mehr als Eigensinn: Ein Feldzug gegen den Umbau der CDU

In Wahrheit ist ihre neue Rolle klar: Merkel ist zur innerparteilichen Opposition geworden. Nicht laut, aber wirksam. Nicht mit Macht – aber mit Erinnerung. Es ist ein Feldzug gegen den Umbau der Union.

Die Opposition in den eigenen Reihen hat einen Namen. Ein bekanntes Gesicht, die Hände zur Raute gefaltet. Der Blick fest, aber mütterlich. Keine Kanzlerin mehr – sondern eine Missionarin in eigener Sache. Für die Partei birgt das in eh schon schwierigen Zeiten jede Menge Zündstoff. Aber ging es Angela Merkel jemals um die CDU?

Berliner-zeitung

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