Nahost: Israel setzt Angriffe fort, Iran schlägt zurück

Israel und Iran haben am Sonntag ihre gegenseitigen Luftangriffe fortgesetzt. Das israelische Militär griff nach eigenen Angaben erneut die iranische Hauptstadt Teheran an. Ziele seien unter anderem die Infrastruktur des Atomprogramms, Treibstofflager und Dutzende Standorte von Boden-Boden-Raketen im Westen Irans gewesen. In einem Interview mit dem US-Sender Fox News sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die Luftwaffe habe Mohammed Kasemi getötet, den Chef des Geheimdienstes der iranischen Revolutionswächter.
„Wir haben den Chef des Geheimdienstes und seinen Stellvertreter in Teheran gekriegt“, sagte Netanjahu. Die iranische Seite bestätigte den Tod der beiden Männer. Netanjahu nannte zudem einen Regimewechsel in Iran als mögliche Folge der israelischen Angriffe und teilte außerdem mit, er habe vor den Luftschlägen gegen Iran den US-Präsidenten Donald Trump informiert. Einen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, wonach Trump in den vergangenen Tagen Einspruch gegen Pläne für die Tötung des iranischen Staatsoberhaupts Ajatollah Ali Chamenei eingelegt haben soll, wollte Netanjahu auf Nachfrage nicht näher kommentieren.
Iranischen Medien zufolge gab es am Sonntag auch Luftangriffe auf das Ölministerium und die Polizeidirektion in Teheran sowie auf Standorte des iranischen Verteidigungsministeriums. Über Explosionen nahe des Flughafens Teheran-Mehrabad und Einschläge unweit eines Luxushotels im Norden der Hauptstadt wurde ebenfalls berichtet. Offiziellen Angaben zufolge kamen bisher rund 80 Menschen ums Leben, mehr als 320 seien verletzt. Mindestens 14 Mitglieder der iranischen Militärführung seien getötet worden.
Auch in Israel stieg am Sonntag die Zahl der Toten. Hunderte Raketen aus Iran waren in den Nächten zum Samstag und Sonntag auf das ganze Land abgeschossen worden. Zwar wurde der Großteil abgefangen, doch einige durchbrachen die Luftabwehr und trafen Wohnhäuser, unter anderem im Großraum Tel Aviv. Nach israelischen Angaben wurden seit Freitag mindestens dreizehn Menschen getötet, darunter zwei Kinder. Mehr als 200 seien verletzt. In der Vorstadt Bat Jam traf ein Geschoss ein mehrstöckiges Wohnhaus schwer, mehr als 30 Menschen galten dort am Sonntag noch als vermisst.
Großbritannien erklärt, dass es Israel möglicherweise militärisch unterstützen könneUS-Präsident Donald Trump forderte Iran erneut auf, ein neues Atomabkommen einzugehen. So könne der Konflikt leicht beendet werden. Zugleich warnte er die Islamische Republik vor Angriffen auf US-Ziele. In diesem Fall würden US-Streitkräfte „in einem noch nie da gewesenen Ausmaß“ zurückschlagen. Israel drohte Iran ebenfalls mit weiterem Beschuss. Man habe noch eine umfangreiche Liste von Zielen in Iran, sagte ein Militärvertreter. Zuletzt habe man die iranische Zivilbevölkerung aufgerufen, sich von Rüstungsfabriken fernzuhalten.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas berief noch am Sonntag eine Videokonferenz der EU-Außenminister für Dienstag ein. Ziele seien ein Meinungsaustausch, eine Koordinierung der diplomatischen Beziehungen zu Israel und dem Iran und eine Beratung möglicher weiterer Schritte. Der Präsident des EU-Staats Zypern, Nikos Christodoulides, hatte am Vormittag mitgeteilt, Irans Regierung habe sein Land gebeten, Israel „einige Botschaften“ zu übermitteln. Er erwarte noch am Sonntag ein Gespräch mit Netanjahu. Großbritannien erklärte, dass es Israel möglicherweise militärisch unterstützen könne, auch zum Schutz eigenen Personals vor Ort. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“, Deutschland werde Feuerlöschmittel liefern, ansonsten gebe es keine Anfragen aus Israel.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) teilte mit, es müsse nun darum gehen, „eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern“. Am Sonntag habe er mit dem Sultan von Oman, Scheich Haitham, telefoniert und ihm für dessen Vermittlungsbemühungen zur Beendigung des iranischen Atomprogramms gedankt. Merz äußerte aber auch Verständnis für Israels Vorgehen gegen die nukleare Bewaffnung Irans.
Wie lange Israels Angriffe auf Iran noch andauern sollen, lässt die Regierung Netanjahu offenIsrael setzt seinen Krieg unterdessen auch an anderen Orten fort. Israelische Medien berichteten über einen Angriff auf Jemen am Samstagabend, dessen Ziel der militärische Stabschef der islamistischen Huthi-Miliz gewesen sein könnte. Israel war in den vergangenen Tagen und Wochen auch aus Jemen beschossen worden. Zugleich setzt die Armee ihren Kampf auch im Gazastreifen fort. Dort lebt die palästinensische Zivilbevölkerung nach wie vor unter katastrophalen Zuständen. Die Ausgabe von Hilfsgütern an die Menschen ist stark limitiert und unterliegt der Kontrolle eines umstrittenen privaten Dienstleisters. Immer wieder kommt es bei der Essensausgabe zu Tumult, Schüssen und Toten – auch durch die israelische Armee. Mehr als 55 000 Menschen kamen in Gaza palästinensischen Angaben zufolge in diesem Krieg ums Leben.
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem die islamistische Palästinenserorganisation etwa 1200 Menschen tötete und 251 in den Gazastreifen verschleppte, kämpft Israels Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegen die sogenannte Achse des Widerstands, Irans Bündnis mit proiranischen Milizen in den Nachbarländern Israels. Auch die schiitische Hisbollah im Libanon galt als wichtiger Teil dieser Achse und hatte sich im ersten Kriegsjahr an den Angriffen auf Israel beteiligt. Im Augenblick ist sie jedoch kein Teil der neuen Eskalation.
Wie lange Israels Angriffe auf Iran noch andauern sollen, lässt man dort offen. Der israelische Präsident Isaac Herzog sagte am Sonntag bei seinem Besuch in Bat Jam, wo noch immer nach Überlebenden gesucht wurde: „Unser Ziel ist es, die Realität im Nahen Osten zu verändern.“ Gegen die iranischen Angriffe auf Zivilisten werde man sich verteidigen. In Bat Jam hatten viele Bewohner die Nacht in öffentlichen Schutzräumen und Schulen verbracht. Die Menschen können das Land im Augenblick nicht einfach verlassen, um dem Krieg zu entgehen: Israels Luftraum wurde geschlossen. In Iran erklärte eine Regierungssprecherin, die Bevölkerung könne in Moscheen, U-Bahn-Stationen und Schulen Schutz suchen.
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