Politisch motivierte Kriminalität | Kriminalitätszahlen: Polit-Straftaten knallen, Dobrindt droht
Noch nie wurden in Deutschland so viele politisch motivierte Straftaten registriert wie im Jahr 2024. Laut der am Dienstag in Berlin vorgestellten Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) zu »Politisch motivierter Kriminalität« (PMK) stieg die Zahl auf über 84 000 entdeckte Fälle – ein Anstieg von mehr als 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2001.
Der mit Abstand größte Teil entfällt dabei auf rechtsextreme Straftaten. Mit über 42 000 Fällen ist dieser Bereich nicht nur zahlenmäßig dominant, sondern umfasst auch mit 1488 Einträgen besonders viele Gewalttaten. »Die größte Gefährdung für unsere Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus«, betonte Dobrindt. Dass die ihm untergeordneten Behörden bei dem Phänomenbereich genauer hinsehen, ist auch seiner Amtsvorgängerin Nancy Faeser zu verdanken. Die SPD-Politikerin hatte den Kampf gegen rechts zur Chefinnensache erklärt – konkrete Maßnahmen zur Umsetzung eines Aktionsplans ließ sie jedoch weitgehend vermissen.
An zweiter Stelle berichtete Dobrindt bei der Pressekonferenz über Antisemitismus-Straftaten. Über 6200 entsprechende Fälle wurden 2024 erfasst – in diesem Themenfeld ebenfalls ein neuer Höchststand. Knapp die Hälfte sind laut dem BKA dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, doch nimmt ausweislich der Statistik auch der Anteil ausländisch und religiös motivierter Täter*innen deutlich zu. Dobrindt sprach dazu von »Anti-Israel-Demonstrationen und Israel-Hass-Demonstrationen«, deren Teilnehmenden er »importierten Antisemitismus« attestierte – ein Begriff, der in Wissenschaft, Politik und von zivilgesellschaftlichen Organisationen kontrovers diskutiert wird. »Angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands« seien die Antisemitismus-Straftaten »in keiner Weise tolerierbar«, sagte Dobrindt, und kündigte schärfere Konsequenzen an. Hierzu gehören »Regelausweisungen« nach Verurteilungen.
Der PMK-Phänomenbereich »sonstige Zuordnung« hat sich laut dem BKA um mehr als 33 Prozent auf 22 193 Delikte erhöht. Hierunter fallen unter anderem militante Corona-Leugner*innen, von denen viele auch als rechts gezählt werden könnten. 2022 war diese Zahl mit über 24 000 Fällen auf dem Höchststand.
Der vom BKA beobachtete »Linksextremismus« fällt mit 9971 Delikten quantitativ deutlich geringer aus – stieg aber um ein gutes Viertel an. Die Zahl der Gewalttaten ging dabei auf 762 Fälle deutlich zurück. Stark vertreten sind Linke bei Taten im Bereich Umweltaktivismus (1352 Fälle) – allerdings gibt es auch hier einen drastischen Rückgang um 59 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings warnte Dobrindt vor bemerkenswerten Einzelaktionen wie dem Brandanschlag auf einen Strommast am Tesla-Werk in Berlin-Grünheide: Solche Taten können »die gesamte Bevölkerung treffen«.
Neben den ingesamt fünf Phänomenbereichen gliedert sich die PMK-Statistik auch in »Schwerpunkte«. Hierzu gehört das Themenfeld »Hasskriminalität«, dazu verzeichnete Straftaten stiegen im Jahr 2024 um 28 Prozent auf 21 773 Fälle an – das ist über ein Viertel aller politisch motivierten Straftaten. Die zumeist im Bereich PMK/rechts begangenen Delikte richten sich gezielt gegen Menschen oder Gruppen aufgrund bestimmter Merkmale wie Nationalität, Religion, Hautfarbe oder Geschlecht.
Der BKA-Chef nannte neben dem Nahost-Konflikt auch das Superwahljahr 2024 – mit Europawahl, Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg _ sowie die nahende Bundestagswahl als Hauptgrund für den Anstieg der PMK-Zahlen. Sein Amt beobachtete eine Zunahme von Angriffen auf Amts- und Mandatstragende sowie Angehörige von Parteien um fast 19 Prozent.
Zudem warnte Münch vor hybriden Bedrohungen: Mehr als die Hälfte der Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft beträfen russische Geheimdienste, zudem häuften sich Sabotageakte und Überflüge mit Drohnen an militärischen Einrichtungen. »Die Verbindung zwischen innerer und äußerer Sicherheit wird immer enger«, sagte der BKA-Chef – und benutzte damit ein Narrativ, das sein Vorgänger Jörg Ziercke schon in den Nullerjahren gesetzt hatte.
Mehrfach beklagten Dobrindt und Münch bei der Vorstellung der PMK-Statistik eine zunehmende »gesellschaftliche Polarisierung«, die sich in den stark gestiegenen Fallzahlen widerspiegele. Das BKA sieht dies als Folge globaler Krisen – wie der Nahost-Konflikt oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – in Verbindung mit sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit, gesellschaftlichem Wandel und den Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Diese Entwicklungen hätten ein Klima der Verunsicherung geschaffen, das »Radikalisierungen« befeuert. Deshalb würden sich auch Proteste auf den Straßen heftiger entladen.
Die Politik müsse diesen Entwicklungen entschieden entgegentreten, forderte Dobrindt. Sein Rezept dürfte indes für eine weitere Spaltung sorgen, denn es geht am Ende auch um eine Normalisierung der AfD: Auf Nachfrage erklärte der Minister, »dauernde Debatten«, ob man die Partei verbieten müsse, seien »kontraproduktiv«. Stattdessen müsse geprüft werden, wie einer »Polarisierung« anders entgegengewirkt werden kann. Bei dieser Gelegenheit wies Dobrindt darauf hin, dass das vom Verfassungsschutz vorgelegte Gutachten für ein AfD-Verbotsverfahren nicht ausreichend sei.
Als Konsequenz der deutlich ansteigenden PMK-Zahlen kündigte der Innenminister eine »Sicherheitsoffensive« an. Dazu gehören schärfere Strafen: Messerangriffe sollen künftig als Verbrechen mit mindestens einem Jahr Haft, Angriffe auf Polizist*innen mit sechs statt drei Monaten Mindestfreiheitsstrafe geahndet werden. Zudem soll die Polizei mehr Befugnisse erhalten, etwa durch eine Speicherung von IP-Adressen durch Internetanbieter und mehr Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten. Münch und Dobrindt betonten überdies, dass die Sicherheitsbehörden besser ausgestattet werden müssten.
»Die größte Gefährdung für unsere Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus.«
Alexander Dobrindt CSU-Bundesinnenminister
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