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Preisexplosion für alle – Gehaltserhöhung für wenige: Politiker gönnen sich 606 Euro Diätenplus

Preisexplosion für alle – Gehaltserhöhung für wenige: Politiker gönnen sich 606 Euro Diätenplus

Da sitzt man nichts ahnend am Küchentisch, tippt die nächste Rechnung in den Taschenrechner, fragt sich, wie der kommende Monat finanziell über die Bühne gehen soll – und erfährt das: Die Bundestagsabgeordneten erhöhen ihre Diäten um satte 606 Euro pro Monat. Ohne Widerstand, in 20 Minuten durchgewunken. Mannomann. Sie tun’s immer wieder.

Im Bundestag versteckt sich derzeit – gut getarnt zwischen mehreren Tagesordnungspunkten – ein altbekannter Klassiker: der Antrag von Union und SPD zur „Anpassung der Abgeordnetenentschädigung“. Klingt trocken, ist aber saftig – es geht erneut um die Diätenerhöhung, die die Abgeordneten abnicken müssen, inklusive des Verfahrens, dass dies automatisch geschieht. Ein Daueraufreger, den man deshalb vorsichtshalber auf den Nachmittag gelegt hat. In der Hoffnung, dass möglichst wenige hinschauen. Spoiler: klappt nie.

Denn es geht nicht um ein paar symbolische Euro – es geht um Rekordwerte. Bereits im vergangenen Jahr durften sich die Abgeordneten über ein sattes Plus von sechs Prozent freuen: 11.227,20 Euro brutto im Monat, plus steuerfreie Pauschale, plus Bahncard, plus Ausstattungspauschale. Jetzt sollen noch einmal 5,4 Prozent dazukommen – also rund 606 Euro monatlich extra. Dann sind es fast 12.000 Euro.

Da wird einem schon schwindlig – nicht vor Begeisterung, sondern wegen des Tempos, mit dem hier das eigene Gehalt nach oben korrigiert wird. Während viele Menschen beim Einkaufen jeden Cent zweimal umdrehen, fällt im Parlament den Abgeordneten das Lohn-Plus in den Schoß.

Sattes Diäten-Plus: In welchem Paralleluniversum leben die da eigentlich?

Das alles nennt sich Diäten-Automatismus. Ein Mechanismus, der seit 2014 dafür sorgt, dass die Politikergehälter jährlich angepasst werden – orientiert an der Lohnentwicklung. Ein bisschen wie der Thermostat in der Fußbodenheizung, der sich allen Temperaturen angleicht, ohne Regulierung, einfach so.

Der Bund der Steuerzahler kritisiert dieses System seit Jahren als „nicht mehr vermittelbar“. Und er hat recht! Das Signal ist einfach verheerend. Während die Parlamentarier sich also dem Lohnindex folgend finanziell verbessern, fragt man sich draußen im Land: In welchem Paralleluniversum leben die eigentlich?

Viele Menschen kämpfen mit explodierenden Mieten, steigenden Preisen

Viele Menschen kämpfen derweil mit explodierenden Mieten, steigenden Lebensmittelpreisen. Mit Jobunsicherheit, Pflegenotstand, kaputten Schulen und einem ÖPNV, der das Wort „Verlässlichkeit“ nur aus Erzählungen kennt. 606 Euro monatlich mehr, davon können viele nur träumen. Sie entsprechen etwa dem monatlichen Wocheneinkauf für eine vierköpfige Familie, den Nebenkosten einer kleinen Wohnung oder einer größeren Arztrechnung.

Der aktuelle Aufschrei im Parlament, unter anderem von der Linkspartei, ist daher berechtigt, aber auch ein wenig scheinheilig. Co-Fraktionschefin Heidi Reichinnek zeigt sich „entsetzt“, sagt: „Wir lehnen diese Diätenerhöhung und den Automatismus entschieden ab.“ Und weiter: „Es kann nicht sein, dass die gleichen Parlamentarier, die sich weigern, den Mindestlohn auf ein armutsfestes Niveau von 15 Euro zu heben, gleichzeitig gar kein Problem damit haben, ihre eigenen Diäten um 606 Euro zu erhöhen.“ Recht hat sie – aber am Automatismus rütteln will sie anscheinend auch nicht. Stattdessen wird angekündigt, „mehr zu spenden“. Spenden statt stoppen? Klingt ja schön. Doch davon hat der Steuerzahler, der die ganze Zeche zahlt, auch nichts.

Nein! Es ist höchste Zeit, den Automatismus zu beenden. Nicht weil Abgeordnete nicht gut verdienen sollen – sondern weil Demokratie eine Debatte und Politik einen Realitätscheck braucht. Eine automatische Erhöhung schafft Distanz. Und sie verstärkt genau jenes Gefühl, das heute viele Menschen empfinden: „Die da oben machen eh, was sie wollen, und machen sich die Taschen voll.“ Wer am Rednerpult noch von „Vertrauen in die Politik“ spricht, sollte vorher erklären, warum sein Gehalt ohne gesellschaftliche Kontrolle steigt.

Diätenerhöhung ist ein denkbar falsches Signal in diesen Zeiten

Und mal ehrlich: Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn die Diäten einmal nicht steigen? Oder wenn sie nur nach einer öffentlichen Debatte erhöht würden, mit Kameras, Stimmzetteln und der Erklärung jedes Einzelnen? Ist das zu viel verlangt von denen, die sonst gern Transparenz predigen?

Denn während Politiker die Bürger mit mahnenden Worten zum Energiesparen und überhaupt zu haushaltspolitischer Vernunft anhalten – stets mit Verweis auf „harte Zeiten“ –, senden sie gleichzeitig ein denkbar falsches Signal: Sie greifen selbst großzügig zu. Und das auf fast schon ritualisierte Weise – leise, schnell, möglichst unauffällig. Als würde es niemand bemerken. Doch jedes Jahr geht diese Taktik nach hinten los. Warum? Weil Diätenerhöhungen nach wie vor ein Aufregerthema sind – gerade in Zeiten, in denen viele nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.

Berliner-zeitung

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