Rentner an die Front? Grabenkampf wäre nicht mein Ding!

Der Vorschlag, Senioren fit für den Kriegsdienst zu machen, löst bei unserem Autor widerständige Gefühle aus. Eine Kolumne.
Als Student kaufte ich viele Bücher. Einen Großteil habe ich nicht gelesen. Fellinis Filmszenarien. „Die Gebrüder Karamasow“. Erwähnte ich die Tonträger? Aus Regalmetern klagen vernachlässigte Kulturgüter mich an. Eure Zeit wird kommen, pflegte ich sie zu vertrösten. Wenn Rente, dann Ohrensessel. Ach. Niemand wird den vierbändigen Don Quichotte mehr berühren, bis das finale Entrümpelungskommando sich seiner annimmt.
Die Wirtschaftsministerin ventilierte gerade die Rente mit 70. Mein Stichtag ist derzeit noch der 1. März 2030, mit dann fast 67. Es gibt keine großen Pläne. Kraftsport. Alte Försterei. Erdnussflips. Perspektivisch Prostata. Weiter, sprach Oliver Kahn, immer weiter. Vielleicht schreibe ich noch. Dazwischen Begängnisbesuche, bis ich selbst Protagonist bin.
Ich brauche mir keine Gedanken zu machen. Erstens kommt es sowieso anders, und zweitens erledigen das Experten. Sie nennen meine Alterskohorte geburtenstarke Jahrgänge oder Boomer. Sie sagen mir, unter welchen Umständen ich meine Restlaufzeit totschlagen werde. Jetzt passiert, was jahrzehntelang niemand wissen wollte. Weil die Jüngeren mich Friedhofsgemüse nicht länger durchfüttern können, tendiert der Generationenvertrag zur Querfinanzierung.
Reichere sollen per „Boomer-Soli“ arme Alte unterstützen. Falls ich zur Empfängerseite gehöre, bin ich, haha, dafür. 1998 wurde ein Ärztefunktionär noch gekreuzigt, als er das „sozialverträgliche Frühableben“ beschwor. Heute heißt es, ich blockierte eine zu große Wohnung, die einer frischen Familie eher zustehe. Notfalls müsse man mich mietmäßig zum Auszug inspirieren.
Ich dürfte ohnehin selten zu Hause sein. Neulich noch gab es Debatten, ob es gemein wäre, junge, sozialleistungsempfängliche Männer aus fernen Ländern zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen. Nun klagen Auskenner, Rentner arbeiteten zu wenig. So wie Urlauber und Wellensittiche. Der Soziologe Hurrelmann verlangt zur „Stärkung der Verteidigungsfähigkeit“ einen Pflichtdienst für Senioren. Am Ende ihres Arbeitslebens seien „die Leute plötzlich nur noch Privat- und Urlaubsmenschen. Was ist denn das für ein Konzept?“ Es ist das einzige Konzept, das ich erlebt habe. Rentner machen, worauf Lust zu haben sie noch in der Lage sind. Das Konzept der besseren Zeiten.
Mit der Kalaschnikow gegen das SchweinesystemEs sei nicht gerecht, sagt Hurrelmann, „von den Jungen zu erwarten, dass sie im Ernstfall allein das Land verteidigen“. Pfff. Ich erhoffe von der Jugend allenfalls, dass sie die Entstehung des Ernstfalls nicht befördert. Außerdem beschützte ich den Traum von der gerechteren Welt bereits 18 Monate lang mit der Kalaschnikow vorm Schweinesystem. Als West-1968er sollte der Professor das zu schätzen wissen.Die Bild-Zeitung berichtet derweil unter der Überschrift „Wappnen für den Kriegsfall“ über den Vorschlag, ausgediente Lkw-Fahrer zu „reaktivieren“. Speditionsrentner sollten nicht ihre Bandscheiben bejammern, sondern sich bereithalten, Militärgerät und Proviant an die Front zu karren. Ergänzend biete ich an, einem Zirkel schreibender Schrapnell-Opfer bei der Anfertigung von Durchhalteparolen zu helfen, mit Genre-Preziosen wie: „Der Schlacht um Narwa folgte keine Flucht, sondern eine Frontbegradigung.“ Grabenkampf wäre nicht mein Ding. Ich würde, um auf Don Quichotte zurückzukommen, ungern vorführen, wie ein Ritter von der traurigen Gestalt wirklich aussieht.
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Berliner-zeitung