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Schweden senkte Asylzahlen drastisch: Diesen Rat hat der Migrationsminister Forssell für Merz

Schweden senkte Asylzahlen drastisch: Diesen Rat hat der Migrationsminister Forssell für Merz

Vom liberalsten zu einem der striktesten Einwanderungsländer Europas: Im Interview verrät der Schwede Johan Forssell, wie es dazu kam und was Deutschland daraus lernen kann.

Schwedischer Migrationsminister Johan Forssell im Interview: „Es geht nicht nur um die Zahlen, sondern darum, wer nach Schweden kommt.“Martin Bertrand/Imago

Mit seinem gestylten Haar und dem perfekt getrimmten Bart könnte Johan Forssell auch als Herrenmodel durchgehen. Trifft man ihn, ist jeder Blickkontakt präzise, wirkt jedes Lächeln überlegt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der 45-Jährige auf Instagram mehrere Zehntausend Follower gesammelt hat, die ihn im Wahlkampf oder auf Presseterminen begleiten.

Dabei spricht der Politiker der Moderaten Sammlungspartei von harten Themen, denn er ist als schwedischer Migrationsminister für eine der striktesten Einwanderungspolitiken in Europa verantwortlich. Im Gespräch in einem nüchternen Besprechungszimmer des schwer gesicherten Migrationsministeriums in Stockholm drückt er sich bedacht aus, spricht geschliffenes Englisch mit leichtem Akzent. Forssell erklärt, wie es zur seit 2015 vollzogenen Migrationsumkehr seines Landes kam, was seine Regierung vorhat und was er Friedrich Merz raten würde, der dem schwedischen Weg zu folgen scheint.

„In den vergangenen Jahren hatte Schweden eine Schießerei am Tag“

Herr Forssell, wie würden Sie Ihr Ziel als Migrationsminister beschreiben?

Wir wurden mit dem klaren Auftrag der schwedischen Bevölkerung gewählt, die Zuwanderung in den Griff zu bekommen. In den vorigen Jahrzehnten waren wir Einwanderung gegenüber sehr offen. In den 1970er-Jahren gab es eine Verlagerung bei der Zuwanderung: von hoch qualifizierten Arbeitsmigranten zu Asylbewerbern. Der Zustrom im Jahr 2015 war so groß wie nie zuvor. In nur einem Jahr haben wir 163.000 Asylbewerber aufgenommen. Man sollte bedenken, dass Schweden bloß zehn Millionen Einwohner hat – in dieser Zeit waren wir pro Kopf eines der größten Aufnahmeländer von Asylbewerbern. Ich war in dieser Zeit Abgeordneter im Parlament, und dort wurde Zuwanderung als das Beste überhaupt beschrieben. Es wurde behauptet, sie würde keine Herausforderungen und keine Probleme mit sich bringen. Das fand ich verstörend.

Weil es Herausforderungen und Probleme gab?

Ich will mich deutlich ausdrücken: Die meisten Leute, die nach Schweden kommen, sind sehr anständig; sie wollen einen Job finden, ein besseres Leben führen. Aber so einfach ist das nicht, denn Schwedens Arbeitsmarkt ist sehr spezialisiert. Und wenn man keine Schule besucht hat, kein einziges Wort Schwedisch spricht, kann man nicht einfach wohin gehen und sagen: „Hallo, gebt mir bitte einen Job!“ Das dauert. Als Beispiel: Ich war vor kurzem in Philipstad, ein kleiner Ort. Vor 30 Jahren hatte er 30.000 Einwohner, dann sank die Zahl auf 8000 Einwohner vor zehn Jahren, und während der Flüchtlingskrise kamen 3000 Menschen hinzu, die meisten davon aus Somalia. Heutzutage kämpft Philipstad mit der höchsten Arbeitslosenquote in Schweden. Es hat die höchsten Sozialversicherungskosten und die niedrigste Bildungsrate. Ab 2015 bekamen wir massive Probleme, was Integrationsschwierigkeiten angeht. Das offensichtlichste davon ist ein Mangel an Recht und Ordnung. In den vergangenen Jahren hatte Schweden im Grunde eine Schießerei am Tag.

Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Wir treiben einen Paradigmenwechsel voran, der darin besteht, die Zahl der Asylbewerber zu senken. Wir müssen zwischen Asylzuwanderung und hoch qualifizierter Arbeitsmigration differenzieren – denn wir wollen für letztere attraktiver werden. Schweden braucht Experten, sei es in der Tech-Branche, seien es Ingenieure, Krankenpfleger, Ärzte und so weiter.

Seit vielen Jahren sank im vergangenen Jahr die Nettomigration nach Schweden zum ersten Mal wieder. Ihre Vorgängerin feierte das. Warum werten Sie es als Erfolg?

Das ist nichts, was wir feiern, das wäre der falsche Ausdruck. Nichtsdestotrotz hatten wir im vergangenen Jahr die niedrigste Anzahl von Asylbewerbern seit 1996. Das ist eine historische Verschiebung. Wir müssen langfristig auf diesem Kurs bleiben, ansonsten wird Integration unmöglich. Es geht dabei nicht nur um die Zahlen, sondern darum, wer nach Schweden kommt. Im vergangenen Jahr waren 75 Prozent der Ankommenden keine Flüchtlinge. Sie beantragten Asyl, aber die Einwanderungsbehörde kam zu dem Schluss, dass sie die Kriterien nicht erfüllten. Mit begrenzten Ressourcen müssen wir uns auf diejenigen konzentrieren, die am dringendsten unsere Hilfe benötigen. Das ist nicht nur für unsere humanitären Anstrengungen wesentlich, sondern auch dafür, dass die Bevölkerung weiterhin die Asylpolitik befürwortet. Zugleich müssen Menschen, die keine Flüchtlinge sind, in ihre Heimat zurückkehren. Damit haben wir Schwierigkeiten, sowohl in Schweden als auch in ganz Europa.

Migrationsminister: „Meine Kollegen in Brüssel fragen mich: ‚Was ist das Geheimnis?‘“

Sie schlagen eine Gesetzesänderung vor, nach der Aufenthaltstitel bei Fehlverhalten widerrufen werden können. Warum halten Sie das für einen angemessenen Vorstoß?

Wenn die Öffentlichkeit das Einwanderungssystem weiter unterstützen soll, muss sie das Gefühl haben, dass es funktioniert. Wenn man herkommt, Schwedisch lernt, sich auf Jobs bewirbt, ein Leben aufbaut, dann kann man bleiben. Aber wenn man schwere Verbrechen begeht, muss man ausgewiesen werden. Es gibt jedoch Fälle, in denen Zuwanderer nicht gegen das Gesetz verstoßen, aber sich dennoch so verhalten, dass sich die Frage stellt: Sollte diese Person wirklich in Schweden sein? Beispielsweise wurden im vergangenen Jahr von Einzelpersonen Falschbehauptungen gestreut, die Behörden würden muslimische Kinder entführen. Das war komplett unwahr, aber es hat Schwedens Image beschädigt und zu gestiegenen Bedrohungen geführt. Wenn jemand hier ist, um Schweden und seinen Interessen zu schaden, dann sollte er nicht hier sein. Darum werden wir mit diesen Gesetzesänderungen fortfahren.

Wie Sie bereits erwähnt haben, war die Flüchtlingskrise von 2015 ein Wendepunkt für Ihr Land. Selbst die damalige Mitte-Links-Regierung entschied sich, die Migrationspolitik umzukrempeln. Was hat zu dieser Verschiebung geführt?

Es hat sehr lange gedauert, aber schlussendlich verstanden die Sozialdemokraten und die Grünen: Entweder ändern wir unsere Politik oder wir verlieren unser Amt. Ganz einfach. Dennoch räumten sie abgelehnten Asylbewerbern das Bleiberecht ein. Das war dann auch der Grund dafür, dass wir vor zwei Jahren gewählt wurden. Heutzutage wollen die Grünen und die Linken in die Zeit vor 2015 zurück. Darum glaube ich, dass die Migration bei der kommenden Wahl im nächsten Jahr eines der wichtigsten Themen sein wird.

Viele europäische Staaten bewegen sich bei der Migration in die Richtung des Weges, den Schweden eingeschlagen hat. Verstehen Sie sich als Pioniere?

Schweden hatte im Vergleich zu den anderen skandinavischen Ländern einen Sonderweg gewählt – und er ging nicht gut aus. Dennoch ist Schweden das beste Land der Welt. Aber es ist ein Fakt, dass wir nie wieder zur alten Migrationspolitik zurückkehren werden. Seit 2022 wurde die Zahl der Asylbewerber um mehr als 40 Prozent reduziert. Es ist faszinierend, dass wir vor zehn Jahren diese extreme Ausnahme waren. Heutzutage scheint Schweden den Weg zu weisen. Meine Kollegen in Brüssel sind mit ähnlichen Zahlen wie 2015 konfrontiert. Sie fragen mich immer: „Was macht ihr, das so gut funktioniert? Was ist das Geheimnis?“

Was antworten Sie ihnen?

Wir sind uns sehr klar darin, was wir erreichen wollen. Wir waren auch sehr erfolgreich darin, unsere Migrationspolitik der Bevölkerung zu erklären und warum sie notwendig ist. Und warum es nicht darum geht, Menschen aus anderen Teilen der Welt nicht zu mögen. Wir wollen das Recht auf Asyl in Schweden bewahren.

In Schweden eskaliert die Bandengewalt: Ein Polizist nach einem Anschlag.
In Schweden eskaliert die Bandengewalt: Ein Polizist nach einem Anschlag.Anders Wiklund/TT News Agency/AP
Wegen der Zuwanderung: „Die letzte Regierung wurde als realitätsfremd angesehen“

Auch wenn Sie die Zuwanderungszahlen gesenkt haben, hat Schweden nach wie vor ein massives Problem mit Gang-Kriminalität. Wie sind diese Themen miteinander verknüpft? Glauben Sie, dass die Verringerung von Migration das Kriminalitätsproblem lösen wird?

Ein Großteil von Schwedens Problemen mit innerer Sicherheit und Gang-Kriminalität steht im Zusammenhang mit Migration und Integrationsdefiziten – Entwicklungen, die sich in den vergangenen 20 Jahren verschärft haben. Migration ist nicht die einzige Ursache, aber eine wichtige. Als kleines Land kann Schweden nicht sehr viele Asylbewerber aufnehmen, ohne Wohnungsmangel und Arbeitslosigkeit hervorzurufen, was Kriminalität befördert. Wir setzen weitreichende Reformen der inneren Sicherheit und Strafverfolgung um, aber damit diese funktionieren, muss die Asylmigration auf einem niedrigen Stand bleiben – auch wenn sich unser Tun nicht darauf beschränkt.

Der Aufstieg der extremen Rechten und migrationsbedingte Probleme hängen eng zusammen. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten tolerieren die Minderheitsregierung, der auch Ihre Partei, die Moderaten, angehört. Ziel Ihrer Strategie ist es, die Populisten durch konsequente Politik zurückzudrängen. Geht dieser Plan auf?

Die Wahl ist im kommenden Jahr. Wir werden sehen, was dann geschieht. Ich glaube, es läuft gut. Einwanderung ist das wichtigste politische Thema – es ist wichtig für mich und die schwedische Öffentlichkeit. Mein Job besteht darin, Einwanderungs- und Integrationsprobleme zu beheben. Wenn wir die Asylmigration weiter verringern, bin ich zuversichtlich, dass die Menschen unserer Regierung vertrauen und uns möglicherweise für eine weitere Amtszeit unterstützen. Wir haben es noch nicht ganz geschafft, aber so weit scheinen die meisten Schweden zu glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Andernfalls würden wir große Demonstrationen sehen, und das tun wir nicht.

Bundeskanzler Friedrich Merz scheint davon überzeugt zu sein, dass Ihr Ansatz funktioniert. Er will die Zustimmungswerte der AfD durch gute Regierungsarbeit verkleinern. Was denken Sie: Kann gute Politik helfen, Wähler von den Rechtsparteien zurückzugewinnen?

Ich glaube schon. Es ist wichtig für die Menschen, das Gefühl zu haben, dass wir die Dinge unter Kontrolle haben. Deswegen wurden wir in der Wahl von 2022 so stark unterstützt. Die Vorgängerregierung wurde als realitätsfremd angesehen. Denn sie arbeitete als Minderheitenregierung mit Parteien zusammen, die einen ganz anderen Ansatz bei der Asylmigration verfolgen. Kluge Öffentlichkeitsarbeit kann zu kurzfristigem politischen Erfolg führen. Aber nachhaltiges Vertrauen entsteht nur, wenn man die Probleme löst, mit denen die Menschen tagtäglich zu tun haben.

Die Dinge unter Kontrolle bekommen – das hat Merz während des Wahlkampfs für die Migration gefordert. Zu Beginn seiner Amtszeit hat sein Innenminister nun Grenzkontrollen erhöht und Zurückweisungen verstärkt. Wie lautet Ihr Rat an Friedrich Merz für seine Kanzlerschaft?

Wir kooperieren seit Jahren sehr eng mit Deutschland. Da die CDU und die Moderaten Teil derselben Parteienfamilie sind, wollen wir Deutschland dabei helfen, erfolgreich zu sein. Mein wichtigster Ratschlag ist, dass keine einzelne Reform alles löst. Man muss Staatsbürgerschaft, Aufenthaltstitel, Verhaltensregeln, Abschiebungen bei schweren Verbrechen und anderes zusammendenken und adressieren. Eine wichtige Herausforderung sowohl für Deutschland als auch für Schweden ist das Fehlen eines funktionierenden Rückkehrsystems. Erfolg ist möglich, wenn all diese Bereiche in Angriff genommen werden. In unserem Koalitionsvertrag von 2022 befassen sich etwa ein Drittel aller Vorschläge mit der Migration. Und wenn man die innere Sicherheit hinzunimmt, waren es mehr als 60 Prozent. Wir treiben mehr Reformen voran als je zuvor – so etwas hat es in der Geschichte Schwedens noch nie gegeben. Manche mögen sagen, das sei nicht schnell genug, aber historisch gesehen ist dieses Tempo unübertroffen.

Berliner-zeitung

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