Solidarische Fakten: Die dpa schwenkt die Transgender-Flagge

Rund um Geschlecht kursieren seit geraumer Zeit verschiedene gefühlte Wahrheiten. Die wichtigsten verbreitet die Deutsche Presse-Agentur als Fakten. Ein Gastbeitrag.
Wird Geschlecht bei der Geburt „zugeschrieben“? Dem Faktencheck-Team der dpa zufolge ja. „Transmenschen identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde“, lautet eine Formulierung, die Deutschlands größte Nachrichtenagentur standardmäßig in die hiesige Medienlandschaft sendet.
Doch was bedeutet „zuschreiben“? Der Duden klärt auf: „glauben, der Meinung sein, dass einer Person, Sache etwas Bestimmtes zukommt, ihr eigentümlich ist“. Wird demnach das Geschlecht eines Neugeborenen „geglaubt“ oder „gemeint“, bedeutet das so viel wie: kann sein, muss aber nicht. Auf diese Weise entkoppelt die Faktencheck-Redaktion der dpa ohne Not Geschlecht von überprüfbarer Realität.
Dagegen verwahren sich unter anderen die Delegierten des 128. Deutschen Ärztetags und erläutern: „Aus medizinischer, sexualwissenschaftlicher wie auch aus biologischer Perspektive ist das Geschlecht eines Menschen eine am Körper feststellbare und in den allermeisten Fällen eindeutig zu bestimmende, keineswegs frei verfügbare, sondern unveränderbare Realität.“ Entbindet man den Vorgang also von gefühlter Wahrheit, wird Geschlecht bei der Geburt – oder per Ultraschall vor der Geburt – festgestellt.
Den eigenen Fakten verpflichtetUm zu dieser Erkenntnis zu kommen, hätte die Faktencheck-Redaktion der dpa nicht einmal Fachleute gebraucht. Denn Transmenschen wissen, welches Geschlecht sie haben: dasjenige, das sie nicht haben möchten. Eine Transfrau beispielsweise ist zwar biologisch männlich, fühlt sich jedoch dem weiblichen Geschlecht zugehörig – und nicht etwa einem Geschlecht, von dem „geglaubt“ oder „gemeint“ wird, dass es weiblich sei.
Folglich haben die dpa-Redakteure und -Redakteurinnen eine Sprachregelung, die eher im linken politischen Spektrum verbreitet ist, zum Fakt geadelt. Es wäre in erster Linie ein Verstoß gegen ihren eigenen Claim: „den Fakten verpflichtet“. Welche Gründe könnten dahinterstehen?
„Die Aussage, dass jemandem ‚bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeschrieben‘ wurde, ist die indirekte, höflichere Art zu kommunizieren, dass die Person biologisch weiblich ist. Die Terminologie kann auch dazu dienen, Solidarität mit trans und nichtbinären Menschen zu signalisieren“, schreiben der Philosoph Alex Byrne und die Evolutionsbiologin Carole Hooven in einem Gastbeitrag in der New York Times. Aber ist es Aufgabe einer Nachrichtenagentur, gleichsam alternative Fakten zu streuen, um Solidarität zu signalisieren?
Es gäbe durchaus Formulierungen, die „den Fakten verpflichtet“ und trotzdem nicht unhöflich sind. „Transmenschen identifizieren sich nicht mit ihrem Geschlecht“, wäre so eine Formulierung, oder „Transmenschen fühlen sich ihrem Geschlecht nicht zugehörig“.
Definitionssache:„Die dpa berichtet strikt überparteilich“Indes reicht die Transgender-Solidarität der Faktenchecker und -checkerinnen noch weiter. So heißt es in einer Meldung der Redaktion: „Transmänner sind Männer, die bei Geburt den Geschlechtseintrag ‚weiblich‘ erhalten haben.“ Für den Normalbürger ist eine solche Definition allemal missverständlich. Es gilt abzuwägen, ob Transmänner, also biologische Frauen, für die Zwecke einer Nachrichtenagentur wirklich Männer sind. Dabei kann man pragmatisch vorgehen und sich an Sachverhalten orientieren.
Zum Beispiel daran, dass der Begriff „Mann“ nach wie vor belegt ist durch jene, deren Fortpflanzungsapparat auf die Produktion von Spermien ausgerichtet ist. Das ist die breit getragene Definition von „Mann“ beziehungsweise das „ist Mann“ – selbst dann, wenn wir keine Sprache dafür hätten und wenn es Transmänner nicht geben würde. Somit handelt es sich bei „Transmänner sind Männer“ wie auch bei „Transfrauen sind Frauen“ de facto um Änderungswünsche einer Gruppe, um politische Forderungen, die entsprechend bei queeren Demonstrationen auf Plakaten stehen.
Wenn nun aber dpa-Redakteurinnen und -Redakteure aus politischen Forderungen fixe Definitionen machen, hat das mit „strikt überparteilich“ wenig zu tun; auch nicht damit, dass man „keiner politischen Richtung“ und keinen „Gruppierungen“ verpflichtet sei.
Deutsche Bärendienst-Agentur: Deutungshoheit ist nicht gleich LandgewinnFreilich könnte man bei der dpa auf „überparteiliche“ Definitionen zurückgreifen, die zudem für den Normalbürger verständlich sind, etwa „Transmänner sind weiblich geboren, aber identifizieren sich mit dem männlichen Geschlecht“.
Wie die Faktenchecker die Thematik derzeit handhaben, ist jedenfalls kontraproduktiv: Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Die dpa beliefert den gesamten deutschen Journalismus; ihre Meldungen können ohne weitere Nachprüfung übernommen werden. Doch „alternative Fakten“ und Medienvertrauen gehen nicht zusammen. Ebenso wenig dürfte das Faktencheck-Geschäft der dpa profitieren, wenn sie erkennbar als eine Art PR-Organ des Transaktivismus agiert. Medienkonsumierende möchten nicht hinters Licht geführt werden – oder durch eine Nachrichtenagentur vorgegeben bekommen, dass über Transmenschen rein losgelöst von Geschlecht zu denken sei.Dass hierdurch am Ende selbst Transmenschen ein Bärendienst erwiesen wird, ist wahrscheinlich. Deutungshoheit ist nicht gleich politischer Landgewinn; das sollte auch oder vor allem in Redaktionsstuben berücksichtigt werden. Toleranz und Akzeptanz für Transmenschen, einhergehend mit realen politischen Maßnahmen, erfordern wirksame Überzeugungsarbeit. Nicht zuletzt deshalb sollte das Faktencheck-Team der dpa im Zuge seiner Arbeit besser anfangen, die eigenen Grundsätze über gefühlte Wahrheiten zu stellen.
Inez Mischitz ist freiberufliche Diplom-Übersetzerin, Mitglied der Berliner Grünen und lebt in Prenzlauer Berg. Sie schreibt unter anderem über solche Frauenthemen, die eigentlich Männerthemen sind.
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