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Und dann berlinerte Merkel plötzlich: So war es inmitten der dramatischen Kanzlerwahl

Und dann berlinerte Merkel plötzlich: So war es inmitten der dramatischen Kanzlerwahl

Es beginnt mit einem Rascheln. Dann wird es still. Es ist gegen zehn Uhr, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ans Mikrofon tritt und das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet. Nun steht fest: Friedrich Merz ist durchgefallen. Er glaubte an einen Durchmarsch. Jetzt steht er da, wie festgefroren. Keine absolute Mehrheit. Gescheitert.

Ein Raunen geht durch den Saal. Merz, dem so oft Unverwundbarkeit nachgesagt wurde, verliert die Kontrolle über sein Gesicht. Der Hals läuft rot an. Er blinzelt. Noch einmal. Dann schaut er kurz zu Boden.

Auf der Ehrentribüne erhebt sich Angela Merkel, blassgelber Blazer, ernster Blick. „Det hat’s noch nie jejeben“, sagt sie halblaut in die Runde, eine Art Berliner Amen zum politischen Beben, das gerade durchs Land geht. Neben ihr die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die später nur sagt: „Da ist etwas zerbrochen.“

Der schlechteste Start einer Koalition ever

Im Plenarsaal: Chaos. Auf der CDU-Bank herrscht Schockstarre, bei der SPD ist nicht klar, ob man irritiert oder amüsiert ist. Olaf Scholz, noch immer Kanzler bis zur Amtsübergabe, schlägt sich die Hand vors Gesicht, als wolle er sagen: das jetzt auch noch. Bitte keinen zweiten Großen Zapfenstreich!

Der erste Wahlgang zur Kanzlerwahl: gescheitert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Und niemand scheint an diesem legendären Dienstag darauf vorbereitet zu sein.

Doch noch Kanzler: Olaf Scholz (SPD) schüttelt seinem Nachfolger Friedrich Merz (CDU) die Hand.
Doch noch Kanzler: Olaf Scholz (SPD) schüttelt seinem Nachfolger Friedrich Merz (CDU) die Hand.dpa

18 Stimmen. So viel haben gefehlt. Und plötzlich steht die Frage im Raum, die alles überschattet: Wer hat Merz die Gefolgschaft verweigert? War es ein Affront aus der eigenen Fraktion? Ein Frontalangriff aus den Reihen der CSU? Oder taktisches Störfeuer von irgendwo dazwischen?

Während draußen am Schloss Bellevue Bundespräsident Steinmeier auf die schwarze Limousinenkolonne wartet – vergeblich –, verschwinden drinnen Merz und seine Familie ohne ein Wort. Ehefrau Charlotte, die Töchter: weg.

SPD und Union beginnen hektisch Gespräche. Eine zweite Wahl soll her, möglichst schnell. Aber einfach ist das nicht. Ein neuer Wahlgang braucht zwei Drittel der Stimmen im Parlament. Ohne Grüne, Linke – eventuell unmöglich. Grüppchen bilden sich. Berater tuscheln. Britta Haßelmann von den Grünen erklärt mit verkniffenem Gesicht, man werde Merz zwar nicht wählen – aber man werde ihm die Bühne für einen zweiten Versuch nicht verweigern. Staatsräson, sagt man.

Abgeordnete schleichen an Kamerateams vorbei. Einige verstecken sich hinter Aktentaschen, andere plaudern auffallend gelassen. In den Gängen riecht es nach Unsicherheit. Nach einer Staatskrise, wie manche sagen. Nach dem schlechtesten Start einer Koalition ever. Während die Stimmung gereizt ist, zieht derweil über der Kuppel des Reichstags eine Schülergruppe vorbei – kichernd, Selfies machend, völlig ahnungslos, dass unten gerade eine Regierung wackelt.

Wer hat Friedrich Merz ins Stolpern gebracht?

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Ein Antrag wird vorbereitet, das Verfahren zur zweiten Wahl in Gang gesetzt. Ein taktischer Kraftakt. Lars Klingbeil tritt um 14.05 Uhr kurz vor die Presse, sagt: „Wir machen einen zweiten Wahlgang.“ Dann verschwindet er wieder. Fünf Minuten später kommt Jens Spahn, wiederholt Klingbeils Worte. Er blickt zuversichtlich. Ein riskantes Manöver, raunen sich die Journalisten zu. Was ist, wenn Merz wieder durchfällt? Neuwahlen?

Um 15.15 Uhr füllt sich der Plenarsaal. Die Abgeordneten kehren zurück. Merz betritt den Saal, schaut sich suchend um, als könne er irgendwo die Antwort auf das Desaster in den Gesichtern der anderen lesen. Seine Gegner sitzen dagegen locker auf ihren Plätzen: Alice Weidel räkelt sich, Alexander Gauland liest gelangweilt Zeitung.

Dann die Abstimmung. Wieder Spannung. Wieder Stille. Friedrich Merz wird gewählt. Kanzler der Bundesrepublik. Mit hauchdünner Mehrheit. Es folgt langanhaltender Applaus. Was allerdings nach diesem Tag im Reichstag bleibt, ist ein politischer Kater. Die Frage, wer Merz im ersten Wahlgang fast zu Fall gebracht hätte, steht weiter im Raum. Und die Gewissheit, dass diese Regierung schon vor ihrem Start erschüttert ist.

Was als Triumphzug geplant war, wurde zum Desaster mit historischem Beigeschmack. Ein Tag, der als symbolische Randnotiz gedacht war, brennt sich nun in das kollektive Gedächtnis ein. Friedrich Merz, der neue Kanzler, hat die Schlacht gewonnen – aber der Preis ist hoch. Und der Boden unter seinen Füßen: brüchig.

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Berliner-zeitung

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