Was tun gegen Messerangriffe? Die einen wollen abschieben, die anderen mehr Sozialarbeit. Die Parteien sind überfordert.

Der Bundestag debattierte zum Thema Migrantengewalt. Die AfD hatte dazu eine Aktuelle Stunde beantragt. Parteien sind überfordert - die meisten jedenfalls.
Sonntagmorgen in Bielefeld: Ein 35-jähriger Syrer sticht mit einem Messer wahllos auf Fußballfans ein und verletzt fünf von ihnen. Sonntagabend in Halle: Ein 46-jähriger Kosovare verletzte drei Menschen, darunter ein elfjähriges Mädchen, mit einem Messer. So geht das jeden Tag – im Schnitt 79-mal täglich. Oder anders gesagt: alle 18 Minuten wird mit einem Messer gedroht oder zugestochen. Über 29.000 solcher Messerangriffe zählte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr. Was also tun, um diese Zahl zu senken? In einer von der AfD beantragten aktuellen Stunde versuchte sich der neue Bundestag am Mittwoch dem Problem zu nähern. Das Thema hat – vornehm ausgedrückt – polarisiert.
Das Gefecht mit den Worten eröffnet Martin Hess von der AfD: „Deutschland hat offensichtlich die Kontrolle über die innere Sicherheit verloren. Was sich auf Straßen und Schulhöfen abspielt, ist ein Desaster, das es bisher in Deutschland in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.“
Moderate Worte kommen zunächst von der Union: „Das Kriminalitätsproblem mit Messern ist älter als Ihre Erzählung einer Grenzöffnung“, sagt Marc Henrichmann (CDU) zur AfD. Messer seien in dieser Gesellschaft leider unendlich verfügbar. „Wir haben beim Vollzug des Waffenrechts den Überblick verloren.“ Es brauche Messerverbote und robuste Kontrollmöglichkeiten, dass man diesen Tätern auf den Pelz rücken könne. Und: „Harte Strafen sind das beste Mittel gegen konzeptlose Populisten.“
Die Grünen sprechen lieber über RechtsextremismusDann wird es laut im Plenum: Grüne, SPD und Linke fordern statt Grenzschließungen und Abschiebungen Investitionen in die psychosoziale Betreuung, in Perspektiven und Bildung. Lukas Brenner (Grüne): spricht lieber über Rechtsextremismus: „Wir dürfen kein zweites Hanau zulassen!“ Menschenverachtende Hetze, Hass und Gewalt seien das Geschäft der Feinde der Demokratie.
Rasha Nasr (SPD) wirft der AfD geistige Brandstiftung vor: „Ihr geht es darum, Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten zu machen.“ Messertaten seien „ein vielschichtiges Problem“. Wer Messergewalt bekämpfen will, müsse soziale Faktoren wie Armut bekämpfen.
Und Clara Bünger von der Linkspartei schimpft: Es sei widerwärtig, wie die AfD das Verbrechen von Bielefeld ausschlachte, um auf dem Rücken von Migranten Politik zu machen. Migranten würden unter Generalverdacht gestellt. Nun wird sie persönlich: „Während Sie gerne über kriminelle Ausländer reden wollen, sitzen die Kriminellen doch in Ihren eigenen Reihen! Mehrere AfD-Abgeordnete wurden wegen Straftaten verurteilt, darunter Körperverletzung, Volksverhetzung, gefährliche Angriffe, Waffenbesitz, und ich könnte die Liste noch fortführen.“ – Zwischenrufe von der rechten Seite. „Wäre die Kriminalitätsrate bei der Gesamtbevölkerung so hoch wie bei der AfD hätten wir ein massives Sicherheitsproblem. Dass Sie die Chuzpe haben, hier von Recht und Ordnung zu reden ist doch komplett absurd. “
CDU: „Das Attentat von Bielefeld muss der letzte Weckruf sein“Tatsache ist allerdings auch, dass laut BKA-Statistik die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen mit Messern von 2023 auf 2024 um 10,8 Prozent gestiegen ist. Über die Hälfte der Straftäter, die ein Messer verwendeten, haben keine deutsche Staatsangehörigkeit. Darauf weist auch Stephan Mayer von der CSU hin und preist die „Migrationswende“, die der Innenminister ins Werk gesetzt habe. „Und die Migrationswende wirkt! Da werden Sie auch immer leiser werden“, sagt er mit Blick nach Rechtsaußen, von wo gerade Gelächter kam. Die Anzahl der Zurückweisungen nehme zu, man werde schneller abschieben, auch nach Afghanistan und Syrien. In den kommenden vier Jahren werde sich bei der inneren Sicherheit vieles verbessern, verkündet Mayer. „Das schreckliche Attentat in Bielefeld muss der allerletzte Weckruf sein, dass sich die Sicherheitspolitik in Deutschland signifikant verändert.“
Aktuelle Stunde im BT zu Messerkrim.: Martin Hess (AfD): "Alle 18 Minuten passiert ein Messerangriff. Was sich auf Straßen und Schulhöfen abspielt, ist ein Desaster." Marc Henrichmann (Union): "Problem ist älter als Ihre Erzählung vom Migrationsproblem." @berlinerzeitung
— Andreas Kopietz (@KopietzAndreas) May 21, 2025
Zu den Abgeordneten, die ihre erste Rede im Hohen Haus halten, gehört Sascha Lensing von der AfD. Und er legt los: Die Öffnung der Grenzen sei die Ursache für die gestiegene Kriminalität. „Die innenpolitischen Folgen des verhängnisvollen Satzes ‚Wir schaffen das‘, sind dramatisch: Islamistische Terroranschläge, Massenvergewaltigungen als neues importiertes Kriminalitätsphänomen, ausgelassene Feiern der ‚Party- und Eventszene‘ mit Tumulten und selbstgebauten Sprengmitteln in deutschen Innenstädten.“ Von der linken Seite des Parlaments ertönen immer wieder Schreie und Zwischenrufe.
Lensing redet weiter: „…eine Mocro-Mafia, die sich durch Nordrhein-Westfalen bombt, bundesweit ausufernde Messergewalt, Drogenkriminalität an nahezu allen Schulen und ein Anstieg der Gewalt und Tötungsdelikte, zudem steht die nächste Freibad-Saison erst noch ins Haus.“ Der innenpolitische Kontrollverlust sei polizeilich nicht mehr zu lösen.
Wieder Zwischenrufe.
„Was Sie geschafft haben, ist ein innenpolitisches Versagen“, macht Lensing weiter. „Der rosarote Elefant der importierten Terroristen und der Antisemiten steht nicht nur im Raum, sondern der trompetet laut!“
Der Thomas, der Michael und der MarcHier findet nicht wirklich eine Debatte statt, sondern vielmehr ein Verlesen der eigenen Statements. Ingo Vogel (SPD) fordert ein komplettes Messerverbot – als ob die Messer das Problem wären und nicht deren Träger. Lena Gummior (Grüne) sagt, dass Deutschland ein Kriminalitätsproblem in einem Ausmaß habe, das hier heute noch nicht angesprochen wurde: 938 Mädchen und Frauen seien im vergangenen Jahr zu Opfern von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten geworden. „Die Täter waren ihre Ehepartner oder Exfreunde. Aber vor allem waren es Männer!“ Wütend mache sie die Ignoranz der Union, die den Innenausschuss nach Solingen und Magdeburg zusammenrufen lassen, aber nicht nach vier Femiziden in zwei Wochen. „Warum verschließen Sie die Augen, wenn die Gewalt von Tätern ausgeht, die Thomas, Michael oder Marc heißen?“ Hat die Abgeordnete Gummior etwa Einblick in die Ermittlungsakten und kennt die Vornamen der Täter?
Das zweite große Kriminalitätsphänomen sieht sie im Rechtsextremismus: „Nazis sind zur größten Sicherheitsbedrohung in unserem Land geworden. Deshalb müsse man die Melde- und Beschwerdestellen ausbauen und die Zivilgesellschaft mit einem Demokratiefördergesetz stärken. „Dann wird dieses Land für uns alle sicherer werden.“
„Helmut Schmidt würde heute vom Verfassungsschutz beobachtet“Naturgemäß sieht das Christian Wirth vom anderen Ende des politischen Spektrums anders, der sich bei den Grünen und Linken ausdrücklich „für den Werbeblock“ bedankt, wenn diese die Kriminalität relativierten. „Das Problem ist, dass wir zu viele arabische und afrikanische Migranten illegal ins Land gelassen haben“, sagt der AfD-Mann. „Das hat Helmut Schmidt schon in den Zweitausendern vorhergesagt. Das will heute niemand zur Kenntnis nehmen, aber Helmut Schmidt würde heute auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“
Nun sagt auch Christina Stumpp (CDU), dass das Problem der Messergewalt nicht die Frage der Messerlänge sei und ob es ein Messerverbot geben solle. „Das Problem ist ein überproportional hoher Anteil gewaltbereiter Personen zum Beispiel aus dem arabischen Raum, die irregulär zu uns nach Deutschland gekommen sind.“
Ihr Parteifreund Josef Oster beschwört derweil die „entschlossene Sicherheitsoffensive“ seiner Regierung, der die Bremser von FDP und Grünen nicht mehr angehören würden. Es beginne „eine neue Sicherheitskultur“, sagt der Politiker. Es gebe einen neuen Bundesinnenminister, der andere Schwerpunkte setzen werde. „Was dieser Bundesinnenminister ganz gewiss nicht braucht, das sind aktuelle Stunden der AfD.“
Berliner-zeitung