Zwei Generationen DDR: Ost-Ost-Debatte zwischen Egon Krenz und Holger Friedrich

Diese beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein; in der DDR lagen sie über Kreuz – nicht persönlich, aber systemisch: Egon Krenz, Jahrgang 1937, und Holger Friedrich, Jahrgang 1966. Der eine stand an der Sitze eines Apparats, der gesprengt werden musste, damit der andere seinen ihm gemäßen Lebensweg gehen konnte. Der eine Politbüromitglied und ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, der andere ein junger, zorniger Mann bei den NVA-Raketentruppen im Wehrdienst, der mit den von Krenz mitverantworteten Zuständen haderte.
Doch haben beide bei aller offenkundigen Verschiedenheit und trotz gegensätzlicher Vorstellungen von, sagen wir es marxistisch, Produktionsverhältnissen und dem Eigentum an Produktionsmitteln mehr gemeinsam, als man zunächst annehmen könnte.
„Verlust und Erwartung“: Schicksalsjahr 1989Beide hatten Lust auf Karriere, auf Gestaltungsmacht, waren und sind willens- und durchsetzungsstark und unter den Umständen ihrer jeweiligen Zeit erfolgreich – der Anti-Kapitalist wie der Kapitalist. Jeder hat auf seine Art Vorstellungen davon, wie die Welt besser einzurichten sei. Einig sind sie sich offenkundig in einem: Ohne Frieden ist alles nichts.
Diese Ausgangslage spricht für eine anregende Diskussion, wenn am Montagabend, im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz, gleich um die Ecke vom Haus des Berliner Verlages, Egon Krenz, ehemals Generalsekretär der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR, und Holger Friedrich, Unternehmer und Verleger der Berliner Zeitung, auf der Bühne sitzen. Vorzustellen ist der dritte Band der Krenz’schen Memoiren mit dem Titel „Verlust und Erwartung. Erinnerungen“. Es geht um das Schicksalsjahr 1989 und die Folgen.
Egon Krenz selber sagt, es sei der schwierigste Teil der Trilogie gewesen. Der am Montag erscheinende Band beinhaltet die Auseinandersetzung mit den Umständen und Konsequenzen der Wende – das Wort geht übrigens auf ihn selbst zurück. Er hatte es im Herbst 1989 gewählt als Bezeichnung dessen, was später friedliche Revolution genannt werden sollte. Krenz’ Karriere endete abrupt mit seinem Rücktritt von den höchsten in der DDR zu besetzenden Ämtern am 3. Dezember, gefolgt von Gerichtsprozess und Haft.
Holger Friedrichs Karriere begann, als die von Krenz endete. Sie konnte starten auch dank Krenz, wie Silke und Holger Friedrich in ihrem „Berliner Manifest“, veröffentlicht in der Berliner Zeitung vom 8. November 2019, ausdrücklich schrieben: Er hatte die Größe, im Herbst 1989 „keinen Befehl zur Anwendung von Gewalt“ zu geben – „wohl wissend, dass er damit seine hohe soziale Stellung aufs Spiel setzte, auch einen möglichen Verlust des eigenen Lebens in der Entscheidung zu berücksichtigen hatte“.
Egon Krenz habe, so die damals neuen Verleger, die einzigen Ostdeutschen in der gesamtdeutschen Medienlandschaft, „mit dieser persönlichen Entscheidung Millionen Menschen selbstbestimmte, positive Lebenswege ermöglicht, die uns unter anderem diesen Text in dieser Zeitung veröffentlichen lassen. Dafür sind wir ihm dankbar.“ Was vor 30 Jahren gelungen sei, könnte man fortschreiben, „wenn wir uns auf Wesentliches verständigen“.
Vor fünf Jahren lösten diese freundlichen Worte einen Proteststurm aus. Krenz danken? Die Reaktionen klangen teilweise so, als sei das Tor zu Hölle aufgestoßen. Diese Aufregung hat sich gelegt. Krenz äußert sich zu Krieg und Frieden, zu Russland, zur AfD („Keine Demütigung rechtfertigt deren Wahl“), ohne dass er geteert und gefedert wird. Als er am 18. März 2025 in der Berliner einen Gastbeitrag veröffentlichte („Ja, Befreiung“) erreichten die Redaktion auffällig viele nachdenkliche Leserbriefe aus dem Westen. Die Männer und Frauen schrieben: Interessant, so etwas lesen wir in unseren Zeitungen nicht.
Der Westen hatte Krenz jahrelang als Kronprinzen Erich Honeckers gehandelt, und lange Zeit war er tatsächlich einer seiner engsten und loyalsten Genossen. Man kann das in den ersten beiden Teilen der Erinnerungen von Egon Krenz nachlesen, die mit dem Jahr 1988 enden. Nun also 1989. Dazu gehört Krenz’ Sicht auf die Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 und seine Rechtfertigung, als Wahlleiter am Abend ein surreales Wahlergebnis verkündet zu haben.
Aber dazu gehört auch sein Anteil daran, dass das Alte gewaltfrei endete. Wie das den Beteiligten im Herbst 1989 gelang, wird von aller Welt bewundert: Krenz hatte am 3. November den Befehl erteilt: „Die Anwendung der Schusswaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen ist verboten.“ Gemeinsam mit Fritz Streletz die sowjetischen „Freunde“ gebeten, angesichts der Montagsdemonstrationen, vor allem in Leipzig, auf das routinemäßige Herbstmanöver zu verzichten. Die Panzer blieben in den Kasernen.
Am Sonntag sitzen Krenz und Friedrich auf der Bühne des Kinos Babylon und reden miteinander – über ein Buch, ihre Leben, die neue Welt. Man darf davon ausgehen, dass es nicht gemütlich zugeht. Ja, selbstverständlich, man redet miteinander, mit Respekt voreinander, und benimmt sich dabei anständig.
Berliner-zeitung