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"Surreale Unterschiede": Warum der restliche Frauenfußball neidisch Richtung EM blickt

"Surreale Unterschiede": Warum der restliche Frauenfußball neidisch Richtung EM blickt

Die EM in der Schweiz ist ein voller Erfolg - aber für den globalen Frauenfußball nicht normal. Parallel kämpfen Teams bei den Kontinentalturnieren in Afrika und Südamerika um Ansehen, Geld und Zuschauer. Und treten unter teils unwürdigen Bedingungen an.

Volle Stadien sind bei der diesjährigen WAFCON eher die Ausnahme. IMAGO/Shengolpixs

Brasiliens Kapitänin Kerolin war auf Hundertachtzig. "Die ganze Welt entwickelt sich weiter und hier interessiert es niemanden. Das ist unmöglich", polterte die 25-Jährige, deren Nationalmannschaft gerade mit 6:0 über Bolivien triumphiert hatte. Bei der Copa America Femenina, dem südamerikanischen Pendant zur Frauen-EM, brachte der Sieg die Selecao einen großen Schritt näher in Richtung Halbfinale. Doch bei den Brasilianerinnen war im Anschluss wenig von gelöster Stimmung zu sehen. Stattdessen Wut, Frust, Enttäuschung.

Der Grund dafür hatte sich nicht auf, sondern neben dem Platz abgespielt. Und war genau das, was sich eigentlich auf jenem Platz hätte abspielen sollen. Dort, wo sich die brasilianischen und bolivianischen Spielerinnen gerne für die Partie aufgewärmt hätten - was der Ausrichterverband CONMEBOL aus Sorge vor einer Überlastung des Rasens nicht gestattete. Die Folge: Beide Teams mussten sich in einem gemeinsamen Innenraum auf wenigen Quadratmetern warm machen, wie in den sozialen Medien zirkulierende Videos zeigten. Eine Organisation, "die in jedem Amateurturnier besser läuft", echauffierte sich Brasiliens Mittelfeldspielerin Ary Borges.

Kerolin im Zweikampf

Kerolin (in gelb) rang mit der Selecao Bolivien nieder. Glücklich war sie nach dem 6:0-Sieg trotzdem nicht. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Es sind Entwicklungen wie diese, die bei der aktuellen Frauen-Europameisterschaft nahezu undenkbar erscheinen. So professionell aufgezogen, gut organisiert und von hohem Interesse begleitet wirkt die EM in der Schweiz, dass der Blick auf die weltweiten Probleme des Frauenfußballs nur allzu leicht in Vergessenheit gerät. Wie groß diese aber noch immer sind, zeigt sich in den zwei parallel zur EM stattfindenden Kontinentalturnieren: der südamerikanischen Copa America Femenina und dem Women's Africa Cup of Nations (WAFCON).

Turnierärger konterkariert den Fortschritt

Dabei ist es grundsätzlich unbestritten, dass der Frauenfußball in Afrika und Südamerika gewaltige Fortschritte gemacht hat. WAFCON-Ausrichter Marokko hatte sein Budget für ebendiesen zuletzt auf 65 Millionen US-Dollar verzehnfacht, Copa-Gastgeberland Ecuador präsentierte vor Kurzem sein erstes Hochleistungszentrum für den Frauenfußball. Mit Brasiliens Frauen-Team ist bei Weltmeisterschaften seit Jahrzehnten zu rechnen, auch Kolumbien und Argentinien erzielen in ihrer fußballerischen Entwicklung immer mehr Fortschritte. "Früher hatten wir Messi und Riquelme als Vorbilder. Heute haben die Mädchen uns, und das ist etwas Tolles", findet Argentiniens Mittelfeldspielerin Flor Bonsegundo.

Die ecuadorianischen Fans.

In Ecuador weckt der Frauenfußball immer mehr Interesse. IMAGO/Agencia Prensa-Independiente

Umso bitterer ist es, mit wie vielen Problemen der afrikanische und südamerikanische Frauenfußball noch immer zu kämpfen hat. Bei der diesjährigen WAFCON war bereits die Terminfindung ein einziges Chaos: Eigentlich sollte das Turnier im vergangenen Jahr ausgetragen werden, was durch die Olympia-Teilnahmen Sambias und Nigerias erschwert wurde. Erst wenige Wochen vor dem geplanten Start und nach massiven öffentlichen Protesten hatte der Ausrichterverband CAF den Wettbewerb um ein Jahr auf Juli 2025 verschoben - was dazu geführt hat, dass zahlreiche afrikanische Teams nun seit mehr als anderthalb Jahren in keinem kompetitiven Wettbewerb mehr aufgelaufen sind.

19 Monate nach Abschluss der Qualifikationsrunde ist das Turnier am 5. Juli dann doch noch gestartet. Ausgetragen wurden die Partien fast immer in nahezu leeren Stadien, einzig bei den Partien des Gastgeberlands Marokko waren die Arenen stets gut gefüllt. Dort sorgt die WAFCON nicht nur bei der breiten Masse für Interesse - dem Vernehmen nach erwartet das Königshaus nach seinen massiven Investitionen in den Frauenfußball nicht weniger als den Turniergewinn. Einen Sieg davon ist Marokko noch entfernt, im Finale am Samstag trifft die Ausrichternation auf Nigeria.

Schon bei der vergangenen WAFCON hatten es die Nordafrikanerinnen bis ins Endspiel geschafft, waren dort aber knapp an Südafrika gescheitert. Der Titelverteidiger hatte bei der diesjährigen Ausgabe derweil eher mit sich selbst zu kämpfen: Wegen ausstehender Zahlungen des eigenen Verbands hatten die südafrikanischen Spielerinnen vor dem Turnier das Training bestreikt, sportlich war für den ehemaligen Champion im Halbfinale Schluss.

Ein ähnliches Bild bietet sich aktuell bei der Copa America Femenina, deren Finale am 2. August steigt. Streikandrohungen gab es dort von uruguayischer Seite, erst kurz vor Turnierstart einigten sich die Spielerinnen mit ihrem Verband über verbesserte Trainingsbedingungen und vermieden damit einen Boykott. Auch bei der Copa füllen sich die Stadien nur bei Spielen des Gastgebers Ecuador oder des Nachbarlands Kolumbien halbwegs, waren bis dato aber noch kein einziges Mal ausverkauft.

Die uruguayische Auswahl

Die uruguayische Auswahl hatte kurz vor Turnierstart einen Trainingboykott angedroht. IMAGO/Agencia Prensa-Independiente

Als Ansporn wirken dürften bei dem südamerikanischen Turnier eher die 1,5 Millionen US-Dollar Preisgeld, die der Gewinner des Wettbewerbs erhält. Auch bei der WAFCON ist die Siegesprämie durchaus respektabel: Eine Million Dollar erhält der Turnier-Champion, das Gesamtbudget des afrikanischen Wettbewerbs wurde sogar um 45 Prozent auf 3,75 Millionen Dollar erhöht. Eine signifikante Steigerung - aber immer noch verschwindend gering im Vergleich zur Frauen-EM und ihrem Preistopf von über 40 Millionen Dollar.

Der Blick geht nach Europa

Entsprechend nachvollziehbar ist es, dass Spielerinnen und Coaches gerade mit einer Mischung aus Neid und Unglauben nach Europa schauen. "Ich habe mir heute die EM angesehen. Die Unterschiede bei Organisation, Zuschauern und Investitionen sind surreal", befand Brasiliens Kapitänin Kerolin nach dem Platz-Eklat des Bolivien-Spiels. Und der schwedische Trainer Kim Björkegren, der Ghana bei der WAFCON ins Halbfinale coachte, betont, es gebe in dem Land "so viel Talent. Wenn man nur fünf Prozent der schwedischen Organisation mit reinbringen könnte, hätten wir ein Team, das weltweit gut spielen könnte."

Dass es an fußballerischen Fertigkeiten nicht mangelt, haben die WAFCON und die Copa America Femenina in der Tat gezeigt - nicht nur durch die Leistungen der Stars um Barbra Banda (Sambia), Linda Caicedo (Kolumbien) oder der extra fürs Turnier zurückgeholten Brasilien-Legende Marta. Und immerhin erlaubt der südamerikanische Verband CONMEBOL nun wohl doch allen teilnehmenden Teams das Aufwärmen auf dem Platz, wie The Athletic aus einer Memo an die Mannschaften erfahren haben will.

Dass es dafür erst öffentliche Beschwerden gebraucht hat, bleibt für den Verband allerdings hochnotpeinlich. Bei all seiner Qualität hätte der Frauenfußball mittlerweile wahrlich Besseres verdient.

kicker

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