Glücksritter auf der Suche nach der letzten Chance – der neueste Rennfahrerfilm stellt Live-Races in den Schatten


Ein Fanshop mitten in Manhattan, eine Simulatorspielhalle in Boston, Rennen in Austin, Miami und Las Vegas – die Formel 1 scheint gerade überall zu sein in den USA. Und jetzt ist sie auch noch in Hollywood angekommen. Mit dem minimalistischen Titel «F1 – The Movie», aber mit einem maximalen Aufwand für einen Sportfilm.
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Bei den Szenen und dem Sound verblassen sogar die immer perfekter gewordenen Live-Übertragungen. Kein Wunder, denn der Produzent Jerry Bruckheimer und der Regisseur Joseph Kosinski haben den Streifen unter der Voraussetzung gedreht, ins Detail gehen zu können. Der bestmögliche Berater dafür wurde mit dem Rekordweltmeister Lewis Hamilton gefunden, der sich ursprünglich aus einem anderen Grund bei den Filmemachern angedient hatte. Er wollte eine Rolle in «Top Gun» spielen, leider passten die Dreharbeiten nicht in seinen Terminkalender.
Die Gedanken von Lewis HamiltonIm F1-Film, der nächste Woche in die Schweizer Kinos kommt, steht ein anderer Megastar im Mittelpunkt. Die Wangen zusammengepresst unter dem Helm, die Augen nur ein Schlitz hinter dem Visier, so wird auch optisch aus dem Superstar Brad Pitt der alternde, vagabundierende Rennfahrer Sonny Hayes. Ein Glücksritter, immer auf der Suche nach einer letzten Chance; er bekommt sie beim allerletzten Rennstall.
Die klassische Underdog-Story, aber pikant dadurch, dass Hayes dem schnöseligen Talent Joshua Pearce (gespielt von Damson Idris) zum Triumph verhelfen soll. Die Handlung lebt davon, dass sich eine technische Direktorin gegen alle ihre Grundsätze verliebt, und von der Besessenheit eines verzweifelten Teamchefs sowie einem schmierigen Investor. Leicht überzeichnet versammeln sich so alle Charakterfarben, die den Cocktail Formel 1 erst so bunt machen.
Die Handschrift des Co-Produzenten Hamilton ist unverkennbar, aber er selbst spielt keine grosse Rolle, ausser eben der, im Rennen mitzufahren. Sein Charakter manifestiert sich in Hayes und Pearce, denen er seine tatsächlichen Gedanken verleiht, wenn diese über die Faszination Motorsport philosophieren.
Die Feinheiten schaffen eine Realitätsnähe, die den F1-Film von vielen anderen Sportdramen und Heroengeschichten auf der Leinwand unterscheidet. Die Crew drehte mit gehörigem Aufwand über zwei Jahre hinweg immer wieder im realen Grand-Prix-Geschehen. Mit einer eigenen Box und eigenen Rennwagen für das fiktive APXGP-Team. Die Formel 1 spielte mit, denn der Chefmanager Stefano Domenicali weiss genau, dass es keine bessere Werbekampagne für die Königsklasse geben kann, als im Kino und beim Streamingdienst Apple TV+ präsent zu sein.
Bei aller Realitätsnähe ist der Aufschrei der puristischen Rennfans doch programmiert. Zwar sind manche Dialoge gespickt mit Fachbegriffen, die Handlung gibt einen Einblick in Strategiemeetings und Rennfabriken. Aber natürlich sind einige Szenen allein dem Kinoskript geschuldet. «Vergesst nicht, es ist Hollywood», hatte der Regisseur Kosinski den Rennfahrern bei einer exklusiven Vorpremiere gesagt. Vermutlich mussten aber auch einige der Profis über die Boxenanweisung «Plan C» schmunzeln, wobei der Buchstabe für Chaos steht. Allzu weit entfernt ist dieses jedoch nicht, denkt man an das Lamentieren zwischen Cockpit und Kommandostand bei den richtigen Rennen.
Die Zielgruppe ist jung und weiblichUnfälle und Tricksereien sind im Drehbuch wie in der Realität an der Tagesordnung. Weit stärker aber heben die Filmschöpfer die Bedeutung der Mannschaftsleistung hervor. Das mag auf den ersten Blick nicht spektakulär erscheinen, aber es entspricht dem Kern einer Sportart, in der eine Tausendschaft von Mitarbeitern hinter jedem Rennwagen steht.
Die Detailversessenheit der Filmcrew entspricht exakt jenem Anspruch. Darin liegt wohl auch ein Grund, warum sich das Formel-1-Management den Wünschen aus Hollywood so öffnete. Der andere ist natürlich die Breitenwirkung, die das Renn-Epos erzeugen wird – nicht die Hardcore-Fans sind die Zielgruppe, sondern neue Segmente, vermehrt weiblich und jung.
Für Unterhaltung eignet sich der Motorsport bestens, wie die lange Reihe von Rennfilmen unterstreicht. Die Szenen auf der Piste garantieren stets Dramen, die Vielschichtigkeit der handelnden Personen macht es jedem Storyteller leicht, starke Bilder liegen im Naturell einer Disziplin, die sich immer im Grenzbereich bewegt. Gelegentlich wird es schwierig, zu unterscheiden, was absurder erscheint – die Realität des Motorsports oder die Fiktion.
Die besten RennfahrerfilmeGrand PrixDass sich die Macher des F1-Films am Klassiker von 1966 orientiert haben, verwundert nicht. Dem Hollywood-Regisseur John Frankenheimer war bei seiner rasenden Lovestory mit James Garner und Yves Montand in den Hauptrollen eins besonders wichtig: das Renngeschehen mit all seiner Faszination und all seiner Gnadenlosigkeit möglichst realistisch einzufangen. Die Liebesgeschichte eines Rennfahrers, der sich in die Frau eines ehemaligen Teamkollegen verliebt, ist zu vernachlässigen. Aber die Fahrszenen sind spektakulär, live mit einer der ersten Autokameras bei den Rennen in Monza, Spa und Monaco gedreht. Für den dramatischen Schnitt und den Ton gab es sogar Oscars. Die damaligen Formel-1-Fahrer Phil Hill, Jim Clark oder Jochen Rindt dienten als glaubwürdige Statisten. Die Charaktere der Schauspieler waren John Surtees, Lorenzo Bandini, Jackie Stewart und Richie Ginther nachempfunden.
Es braucht ein bisschen Geduld, um sich im selbstproduzierten Sportwagen-Epos von Steve McQueen von der Begeisterung des Draufgängers anstecken zu lassen. «Ich wollte einen ehrlichen Film», sagte der Amerikaner. Für McQueen war der Streifen von 1971 über den Langstreckensport nicht nur ein Job, sondern vor allem Leidenschaft. Vorbild für seine Rolle war der Schweizer Jo Siffert, der die Veröffentlichung des Films allerdings nicht mehr miterlebte. Die Rennaufnahmen sind auch deshalb so realistisch, weil ein Porsche 908 im echten 24-Stunden-Rennen mit Kamera unterwegs war. McQueen wollte auch mitfahren, aber die Versicherung legte Einspruch ein. Deshalb zeigt die Geschichte der Rivalität zweier Rennfahrer und zweier Marken viele Rennszenen und hat wenig Dialoge. Darunter einen berühmten Spruch: «Rennen heisst für uns leben. Die Zeit, die zwischen den Rennen liegt, ist nur warten.»
Tatsächlich, Tom Cruise taugt auch zum Rennfahrerdarsteller, wie der Blockbuster von 1990 zeigt. Darin geht es um einen Rookie im anstrengenden und an Unfällen reichen nordamerikanischen Nascar-Rennzirkus. Die Geschichte erzählt von ungewöhnlichen Männerfreundschaften und Rivalitäten zwischen Mechanikern und Rennfahrern, Nicole Kidman spielt eine Neurochirurgin. Kidman und Cruise hatten eine Affäre am Set, später heirateten sie. Zuvor schon hatte es aus dem amerikanischen Motorsport Schmonzetten wie «Speedway» mit Elvis Presley gegeben. «Days of Thunder» gilt nicht ganz zu Unrecht als «Top Gun auf Rädern» und wurde von Jerry Bruckheimer produziert, der auch beim neuen F1-Film das Sagen hatte. Die Filmmusik stammte von Hans Zimmer, einer der prägenden Titel war «Knockin’ on Heaven’s Door» von Guns N’ Roses. Tom Cruise stellte im Rahmen der Dreharbeiten sogar einen Rundenrekord auf dem Phoenix Raceway auf.
Paramount Pictures via Imago
Ein gewaltiges Projekt, eine derart spektakuläre Formel-1-Saison wie die von 1976 für das Kino noch zu dramatisieren. Prägend war damals das Duell zwischen Niki Lauda und James Hunt und vor allem der Feuerunfall vom Nürburgring. Der Oscar-Preisträger John Howard hat sich dafür im Jahr 2013 tief in die Materie eingearbeitet, und er hat Niki Lauda stark in die Produktion einbezogen. Der Österreicher hat persönlich Daniel Brühl als seinen Darsteller ausgewählt. In eher sanften Bildern wird das Duell zweier höchst unterschiedlicher Rennfahrercharaktere plastisch. Hier Lauda, rücksichtslos und zielorientiert, dort der Brite Hunt, ein echter Lebemann. Über die Geschehnisse lernen die beiden, sich zu respektieren. Der deutsche Zusatztitel «Alles für den Sieg» trifft die erbitterte Konkurrenzsituation. Es hat ja nicht viel gefehlt, und Lauda hätte wirklich sein Leben verloren.
Sich an die Familiengeschichte der Marke Ferrari heranzuwagen, das allein braucht schon Mut. Michael Mann erzählt den Beziehungskrieg von Laura und Enzo Ferrari nach und verschweigt dabei auch nicht den unehelichen und erst viel später adoptierten Sohn Piero. Das düster erzählte Melodram lebt von einem Wechsel von künstlerischen Bildern und aggressiven Rennszenen. Die Hauptrollen wurden 2023 mit den Superstars Adam Driver und Penélope Cruz besetzt. Im Mittelpunkt steht das mörderische Strassenrennen Mille Miglia, die Produktion hält sich stark an die wahren Geschehnisse. 1957 geht es für Ferrari im Duell mit Maserati um die Existenz der Firma, deshalb muss ein Sieg bei dem Klassiker her. Der Film spart die Katastrophe kurz vor Schluss nicht aus, als am Auto des Spaniers Alfonso de Portago ein Reifen platzt, Fahrer, Beifahrer und neun Menschen sterben. Beim Kinobesucher bleibt das Entsetzen zurück.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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