Morddrohungen gegen Tennisspielerinnen sind für die Wettindustrie vernachlässigbare Kollateralschäden


Vor ein paar Tagen machte die britische Tennisspielerin Katie Boulter öffentlich, welche Botschaften sie in den sozialen Netzwerken empfängt. Die Morddrohungen, der Hass nach Niederlagen oder Siegen, die nicht deutlich genug waren. Oft sind die Absender vom Leben enttäuschte Männer, die gerade die Überbleibsel ihrer Ersparnisse mit einer Wette verloren haben. Und dann per Instagram jene Worte an die Protagonisten schreiben, die ihnen in den Sinn kommen: «Versager, bitte stirb an Krebs», solche Dinge.
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Das Phänomen ist nicht neu, Athletinnen und Athleten weisen seit vielen Jahren darauf hin. Wenn es um weibliche Sportlerinnen geht, scheint die Hemmschwelle besonders tief zu sein – oftmals wird der Misogynie ungehemmt freier Lauf gelassen.
Der Mechanismus ist immer gleich: ein kurzer Aufschrei der Empörung, warme Worte des Zuspruchs und dann kollektives Achselzucken. Der Meta-Konzern hat kurz nach der Machtübernahme des amerikanischen Präsidenten Donald Trump öffentlichkeitswirksam signalisiert, dass ihm «Hate Speech» egaler nicht sein könnte. Für die Wettanbieter gilt das erst recht. Bet365, einer der Marktführer, erzielte 2024 einen Gewinn von mehr als 4 Milliarden Franken. Ihre CEO, die Britin Denise Coates, hat inzwischen ein Vermögen von mehr als 10 Milliarden angehäuft.
Leidtragende der Industrie sind Sportlerinnen wie Boulter, die sagt, sie sorge sich zunehmend um ihre Sicherheit, weil unmöglich abzuwägen sei, wie ernst es diesen Menschen sei. Und jene armen Schlucker, die ihre letzten Cents mit einer Handicap-Wette auf viertklassige Turniere in Vietnam verloren haben. Allein in England werden pro Tag durchschnittlich 100 Millionen Pfund auf Tennisspiele gesetzt. Die Zahl der Selbstmorde, in denen Spielsucht eine Rolle spielt, bewegt sich zwischen 117 und 496 pro Jahr.
Besserung ist kaum in Sicht – Sportwetten sind in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Ländern legalisiert worden und entsprechend einfacher zugänglich, das gilt auch für die Schweiz. Ausländische Anbieter dürfen hierzulande eigentlich nicht operieren, ihre Seiten sind gesperrt. Aber sie foutieren sich um die gesetzlichen Verbote, die sich mit einem Mausklick aushebeln lassen. Das Muster und der Reflex sind altbekannt und bei weitem nicht auf die Wettindustrie reduziert: Finanzielle Interesse stellen moralische Fragen in den Hintergrund.
Längst gibt es Sportlerinnen, welche einen ebenso simplen wie radikalen Schritt gehen, weil sie sich den Drohungen nicht länger aussetzen wollen: Sie löschen ihre Social-Media-Profile. Englische Fussball-Nationalspielerinnen kündigten gegenüber CNN an, dass sie ihre Konten für die Zeit der am 2. Juli beginnenden EM in der Schweiz ruhen lassen werden. Die bei Chelsea engagierte Stürmerin Alessia Russo sagte, sie sei auch schon beleidigt und bedroht worden, weil jemand ein Computerspiel verloren habe und ihr virtueller Charakter dort das entscheidende Tor erzielt habe.
Verrückt, was in manchen Köpfen vor sich geht.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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