Mujinga Kambundji: «Ich habe den Schwangerschaftstest in China mit Google Translate übersetzt»


Peter Schneider / Keystone
Mujinga Kambundji, wie geht es Ihnen in der Schwangerschaft?
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Es ging von Beginn weg sehr gut, ich hatte Glück. Übel war mir nie. Am meisten spürte ich die Müdigkeit, aber die Trainings habe ich dennoch normal und mit guten Leistungen absolvieren können. Bis zur zehnten Woche hat sich körperlich nicht viel verändert, erst dann wurde es durch die Hormone anders. Dann spürte ich, dass die Leistung abfiel.
Woran spürten Sie diese hormonellen Veränderungen?
Sie kamen schleichend. Meine Physiotherapeutin dachte, eine Woche bevor ich ihr von der Schwangerschaft erzählte, dass meine Hüfte so beweglich sei wie noch nie. Die Bänder und Sehnen wurden weicher. Ich hatte weniger Tonus. Noch Anfang April in Belek im Trainingslager war mein Leistungsniveau hoch. Erst kurz vor dem Diamond-League-Meeting in China von Ende April merkte ich, dass das Stehvermögen geringer war. Mitte Mai vor dem Rennen in Doha merkte ich dann, dass nicht mehr alles gleich war. Der Bauch begann, sich zu verändern, ohne dass er grösser wurde. Ich hatte nicht mehr dieselbe Stabilität.
Die 33-Jährige ist die erfolgreichste Schweizer Leichtathletin. Sie stand zweimal im Olympiafinal über 100 m und gewann insgesamt elf internationale Medaillen. Als sie im März Hallenweltmeisterin über 60 m wurde, war sie bereits schwanger.
Gingen Sie bei diesen Diamond-League-Meetings noch mit derselben Einstellung wie sonst in den Wettkampf?
In China fühlte ich mich beim Aufwärmen und bei den Starts gut und explosiv. Ich merkte erst während des 200-Meter-Rennens, dass ich gegen Ende keine Energie mehr hatte. Nach dem Rennen war mir schwindlig, ich fand es wirklich sehr anstrengend. 100 Meter wären wohl gegangen.
Und vor Doha?
Im Training war es ein Auf und Ab, aber ich wollte nicht alles auf die Schwangerschaft zurückführen. Stattdessen habe ich versucht, Athletin zu bleiben. Beim Aufwärmen spürte ich, dass etwas fehlt. Das Hauptproblem war wohl, dass ich den Muskeltonus verloren hatte, was ich nicht sofort realisierte. Mit einer viel geringeren Explosivität zu rennen, ist ganz anders. In Doha war klar, dass das mein letzter Wettkampf war. Weil die Leistung nicht mehr stimmte, nicht, weil ich mich nicht mehr gut fühlte.
Sind Sie gerne schwanger?
Ich geniesse es. Aber ich habe auch Glück, dass es mir so gut geht – ich habe ganz andere Geschichten gehört. Im Training werde ich von Woche zu Woche etwas langsamer. Aber grundsätzlich bin ich froh, dass ich eine schöne Schwangerschaft erleben darf. Meine Mutter und meine Schwester hatten das auch so erlebt, sonst wäre ich wohl nicht das Risiko eingegangen, schon während der Hallensaison schwanger zu werden.
Sie sind also während der Hallensaison mit EM und WM schwanger geworden?
Ich habe es kurz vor den Hallen-WM herausgefunden. Die wurden in China ausgetragen, und ich hatte keinen Test dabei. Also habe ich eine Apotheke gesucht, einen chinesischen Test gemacht und die Gebrauchsanweisung mit Google Translate übersetzt. Es war lustig, das so zu erleben.
Wie früh haben Sie sich damit befasst, was Sie noch machen dürfen und was nicht?
Als klar war, dass eine Schwangerschaft ein Thema war, tauschte ich mich mit verschiedenen Fachpersonen aus: mit meiner Gynäkologin, einer Endokrinologin, mit einer Frau, die viel mit Sportlerinnen arbeitet und auch Rückbildungsgymnastik anbietet. Einfach um zu wissen, wie realistisch es ist, schwanger Wettkämpfe zu bestreiten. Ich wusste ja nicht, wann sich alles zu verändern beginnt. Was darf ich zum Beispiel an Nahrungsergänzung noch zu mir nehmen?
Sie haben die Schwangerschaft bewusst jetzt geplant, damit genügend Zeit bis zu den Olympischen Spielen 2028 bleibt?
Ja, die Idee war, diesen Zeitraum zwischen den Olympischen Spielen zu nutzen. Eigentlich je früher, desto besser, aber ich wusste nicht, ob ich vielleicht noch eine Saison bestreiten möchte. Irgendwann habe ich mich entschieden, dass ich noch die Hallensaison mache. Aber man weiss ja nie, wann es klappt mit dem Schwangerwerden, eine Planung ist schwierig.
Peter Schneider / Keystone
Sie haben sich also schon im Vorfeld intensiv damit auseinandergesetzt.
Ja, es hiess zum Beispiel immer, dass Frauen in den ersten Monaten der Schwangerschaft leistungsfähiger seien, aber wirklich etwas dazu gefunden habe ich nicht. Also wollte ich einfach wissen: Was machen die Hormone zu Beginn? Helfen sie oder nicht? Bis wann darf ich was machen? Sind der hohe Puls und der Stress des Wettkampfes okay oder nicht? Um zu wissen, ob es überhaupt sinnvoll ist, es schon während der Hallensaison zu versuchen.
Wie gross ist denn das Fachwissen dazu? Über Schwangerschaften im Ausdauerbereich weiss man heute relativ viel. Aber im Sprintbereich gibt es wenige Erfahrungswerte.
Ja, es heisst immer, man dürfe Sport machen – aber nicht, was möglich und realistisch ist. Es gibt allgemein nicht viele Studien zu Schwangeren, und zu schwangeren Spitzensportlerinnen noch viel weniger.
Sie haben sich früh informiert. Haben Sie gerne Gewissheit?
Ich mag es, wenn es abgeklärt ist. Dass ich mich nicht während des Trainings fragen muss: Ist das okay oder nicht? So wusste ich vorher schon, dass man die Müdigkeit nicht loswird, wenn man viel schläft. Oder dass sie einen nicht weniger leistungsfähig macht. Das war gut.
Mussten Sie konkret auf etwas verzichten, etwa hochintensive Trainings?
Eigentlich nicht. Ich habe von verschiedenen Seiten gehört, dass es nicht unbedingt problematisch ist, und stehe regelmässig im Austausch mit meinem medizinischen Team der Hirslanden-Gruppe. Bei vielen Dingen, von denen man nicht wusste, ob sie einen negativen Einfluss haben, findet man nun heraus, dass sie je nach individuellem Verlauf okay sind. Aber ich machte die extrem laktaziden Trainings ohnehin nicht mehr. Zu Beginn habe ich mir Gedanken gemacht, aber es war immer alles gut bei den Kontrollen. Und so gewöhnte ich mich schnell daran.
Sind Sie engmaschiger betreut als andere Schwangere?
Ja, ich denke schon. Meine erste Ansprechperson ist die Frauenärztin. Solange ich noch so viel trainiere, also vier Einheiten pro Woche, gehe ich alle drei Wochen zu ihr. Um sicher zu sein, dass alles gut ist und ich so weitermachen darf. Andere sagten mir, dass man plötzlich an einen Punkt gelange, an dem es zum Beispiel keine Schläge mehr geben dürfe. Diesen Moment will ich nicht verpassen und dann zu weit gehen.
Hatten Sie mit anderen Sprint-Mamis Kontakt? Shelly-Ann Fraser-Pryce ist Mutter, Allyson Felix . . .
Ich habe mich mit Nia Ali ausgetauscht. Sie inspiriert mich am meisten, sie war neun Monate nach dem ersten Kind Hallen-Weltmeisterin, nach dem zweiten fünfzehn Monate später Weltmeisterin und nach dem dritten ist sie persönliche Bestzeit gelaufen.
Sie planen also langfristig . . .
Ja, mindestens bis 2028, davor liegen ja nur zwei Saisons.
Hatten Sie Kontakt zu Sportlerinnen in der Schweiz?
Mit Belinda Bencic. Anfangs hatte ich nicht so viele Fragen, nun kommen immer mehr. Auch mit Joana Mäder war ich in Kontakt oder mit Sarah van Berkel. Vielleicht treffe ich auch an Wettkämpfen noch Athletinnen, mit denen ich reden kann.
Sie wollten schon immer eine Familie gründen. Gab es einen Moment, in dem Sie sich sagten: Ich muss damit nicht zwingend bis nach der Karriere warten?
Shelly-Ann Fraser-Pryce war für mich ein gutes Beispiel. Zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes wurde sie Weltmeisterin, sie wurde immer besser und lief deutlich schneller als vor der Mutterschaft. Zuvor hatte auch Allyson Felix nach der Geburt den Schritt zurück in den Spitzensport geschafft. Das hat mir gezeigt, dass es machbar ist. Schon bevor es zu einem konkreten Plan wurde, hatte ich diese Gewissheit im Hinterkopf.
Sie sprechen Felix an, die eine Wegbereiterin war. Die Amerikanerin protestierte, weil sie von ihrem Ausrüster Nike im Stich gelassen wurde. Das hat einiges verändert. Wie hat Nike bei Ihnen reagiert?
Heute ist es normal, dass eine Athletin während der Karriere ein Kind bekommt. Nike hat mir gratuliert und ein Päckli geschickt, mit spezieller Sportbekleidung für die Schwangerschaft. Allyson war eine Vorreiterin, die leider selbst nicht profitieren konnte. Ich bin ihr sehr dankbar für das, was sie für uns gemacht hat. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass ich damals einen Anhang zu meinem Vertrag bekam, in dem stand, dass wir nun einen Mutterschutz hätten.
Haben Sie einen Plan A und einen Plan B, wie es nach der Geburt weitergeht?
Hoffentlich kann ich so schnell wie möglich wieder trainieren. Was mir andere Mütter gesagt haben: Man könne am ersten Tag schon mit Atemübungen anfangen. Und dass ich selber spüren würde, was gehe und was nicht. Dabei werde ich sicher eng betreut, damit ich nicht zu früh zu viel mache. Jemand hat gesagt, man könne das sehen wie eine Reha: Du baust wieder auf, aber du darfst nicht zu früh zu viel wollen. Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie das sein wird. Vielleicht habe ich zuerst einmal gar keine Lust, mich zu bewegen.
Das sehen Sie entspannt und geben sich die Zeit?
Der Geburtstermin ist im November, das lässt mir genügend Zeit, um wieder ins Training einzusteigen und einen sauberen Aufbau zu machen. Wenn ich jetzt möglichst lange trainieren und mich fit halten kann, wird die Phase, in der ich nichts mache, hoffentlich sehr kurz.
2026 wollen Sie wieder Wettkämpfe bestreiten?
Ich bin sehr zuversichtlich, weil ich sehe, wie gut das bei anderen geklappt hat. Zudem bin ich wegen Verletzungen schon mehrfach schlecht in die Saison gestartet, und wir haben immer eine Lösung gefunden. Ich denke, nach der Geburt wird es ähnlich sein: Du merkst, was nicht geht, und versuchst, alternative Trainingsformen zu finden. Mein Trainer Florian Clivaz ist flexibel genug, um sich anzupassen.
Die EM im August in Birmingham sind ein Ziel?
Ich hoffe, dass ich dabei sein kann. Als Europameisterin über 200 Meter habe ich eine Wildcard, es wird also keinen Stress mit der Limite geben. Wenn ich fit bin, spielt es keine grosse Rolle, was ich vorher geleistet habe.
Florian Clivaz ist auch Ihr Lebenspartner. Ist es da einfach, den richtigen Weg im Training zu finden? Es könnte ja auch sein, dass er Sie ständig mahnt, aufzupassen.
Das A und O ist sowieso, Verletzungen zu vermeiden. Florian sagt immer, sein Ziel sei, so wenige Fehler wie möglich zu machen. Ich habe jetzt zum Beispiel schon aufgehört, Starts aus den Blöcken zu trainieren, weil das nicht nötig ist, wenn ich ohnehin keine Rennen bestreite. Sprünge lässt er auch weg – und alles, was ein gewisses Risiko mit sich bringt. Es muss ja nicht sein, dass ich jetzt noch mit dem Fuss umknicke.
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Ist der Austausch intensiver geworden, seit Sie schwanger sind?
Wir tauschen uns generell viel aus. Als ich im Frühling noch Rennen bestritt, haben wir sehr viel diskutiert. Jetzt habe ich einfach meinen Plan, und wir schauen jeden Tag, ob wir etwas anpassen sollen. Einmal sollte ich 100-Meter-Sprints absolvieren, aber ich fühlte mich müde, also lief ich bloss 80 Meter. Er lässt mich vieles selber entscheiden, weil es keine grosse Rolle spielt. Hauptsache, ich bewege mich – und ich mache nichts Gefährliches.
Ihr Partner ist auch in Trainingscamps immer dabei. Haben Sie schon einen Plan, wie Sie das mit dem Kind machen? Kommt jeweils eine Nanny mit?
Wir sind sehr gut aufgestellt. Mein Vater ist pensioniert und hat viel Zeit. Ich habe eine Masseurin, die inzwischen auch pensioniert ist, und sicher hin und wieder helfen kann. Florians Mutter arbeitet in einer Kita und ist sehr geübt mit kleinen Kindern. Meine Mutter arbeitet noch recht viel, aber sie hat oft morgens Zeit. Wir haben diverse Optionen, jemanden in ein Trainingslager mitzunehmen, aber ich weiss nicht, ob das im nächsten Jahr schon ein Thema sein wird.
2026 werden Sie die Saison wohl nicht mit Diamond-League-Meetings in China eröffnen, sondern eher mit Rennen in der Schweiz, oder?
Das haben wir noch gar nicht angeschaut. Aber wenn es darum geht, auf die Bahn zurückzukehren, ist es eigentlich egal, wo du den Wettkampf absolvierst. Wir haben in der Schweiz viele gute Meetings, man kann easy eine ganze Saison hier bestreiten. Aber vielleicht schaue ich nach den EM auch, ob mich noch ein, zwei Starts im Ausland reizen.
Sie waren kürzlich erstmals seit langem in den Sommerferien. Wie ist so ein Sommer ganz ohne Wettkämpfe?
Ich geniesse es sehr. Mein Alltag ist noch fast gleich, aber der Leistungsdruck ist weg. Wenn ein Training mal nicht so gut ist, dann ist es halt so. Weil ich nicht so viel Zeit in Regeneration oder ins Reisen investieren muss, kann ich auch mehr Anfragen annehmen. Dafür kann ich die vier Trainingseinheiten so verteilen, wie es gerade passt. Und ich habe Zeit für andere Dinge, war am Beachvolleyball-Turnier in Gstaad, an der Fussball-EM der Frauen – und ich habe in den Ferien einfach mal nichts gemacht.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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