Raubt uns Sport den Schlaf? Der Experte räumt mit falschen Mythen auf


Illustration Jasmin Hegetschweiler / NZZ
Guter Schlaf ist, neben körperlicher Aktivität, einer der zentralen Pfeiler für die Gesundheit und ein wichtiger Erholungsfaktor. Während des Schlafs laufen zahlreiche für Muskelwachstum und Regeneration entscheidende Prozesse ab. Kein Wunder also, dass Profisportler in Schlafhygiene und intelligentes Schlaf-Tracking investieren.
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Zwar könne Sport Menschen mit Schlafproblemen zu besserem Schlaf verhelfen, doch der Umkehrschluss gelte nicht uneingeschränkt, sagt der Sportwissenschafter und Psychologe Daniel Erlacher: «Oft entsteht der falsche Eindruck: Ich muss nur noch schlafen, um perfekte Leistungen abzurufen.» Wer Schlafprobleme in den Griff bekommt, kann seine sportliche Leistungsfähigkeit durchaus verbessern. Aber, so Erlacher: «Im Breitensport spielt die Komponente Schlaf keine zentrale Rolle.»
Weil es zum Thema Sport und Schlaf aber viele Unsicherheiten gibt, beantwortet er einige oft gestellte Fragen:
Ich trainiere für einen Halbmarathon. Soll ich Powernaps in meinen Tag einbauen?Diese Studienergebnisse tönen vielversprechend: Kurze Nickerchen beeinflussen die körperliche und die kognitive Leistung positiv und können sogar Schlafmangel auffangen. Ideal sei ein kurzer Tagesschlaf von bis zu neunzig Minuten am frühen Nachmittag – einzige Regel: genügend Zeit vor dem Training einplanen, um wach zu werden.
Daniel Erlacher gibt jedoch zu bedenken, dass Napping auch kontraproduktiv sein kann. «Ich könnte viele Anekdoten erzählen, wie der Tipp mit dem Mittagsschlaf schiefgelaufen ist», sagt er. Wer regelmässig kurze Tagesschlaf-Einheiten mache, könne diese auch gezielt als Erholungsphase in sein Training aufnehmen. «Ist man aber ein Monoschläfer und holt sich seine acht Stunden am Stück in der Nacht, dann funktioniert es nicht so einfach. Mit einem Nap nimmt man sich den Druck wieder weg vom Einschlafbedürfnis am Abend. Das kann unter Umständen nach hinten losgehen.»
Wie wirkt sich eine schlaflose Nacht auf meine sportliche Leistung aus?Wer kennt es nicht: Just in der Nacht vor der grossen Bergtour oder dem Halbmarathon machen die Nachbarn Party oder ist das Kind krank. Das Resultat: Man wacht nach einer kurzen Nacht unausgeschlafen aus. Daniel Erlacher gibt allerdings Entwarnung: Das muss sich nicht negativ auf die sportliche Leistung auswirken. Wer in der Vorwoche seinen normalen Schlafbedarf erfüllt habe, der könne eine kurze Nacht gut kompensieren.
Allerdings differenziert er: «Wenn es um die reine Ausdauer geht, ohne dass man sich gross konzentrieren muss, funktioniert das trotz Schlafdeprivation gut.» Will heissen: Eine bekannte Strecke joggen geht auch mit wenig Schlaf. Doch die kognitive Leistung nimmt bei Schlafmangel ab, und das äussert sich zum Beispiel bei der Konzentrationsfähigkeit – bei einer Bergtour kann das schwerwiegende Folgen haben. «Meistens schwindet die Aufmerksamkeit, wenn der schwierigste Teil überwunden ist. Dann wird man noch schläfrig. Und dann wird es gefährlich», sagt er. Sein Tipp: Wenn es die Witterung zulässt, beim Abstieg einen Powernap einlegen.
Hindert Schlafmangel meinen Körper daran, Fett ab- und Muskeln aufzubauen?Schlaf spielt eine grosse Rolle bei der sportlichen Regeneration. Im Tiefschlaf wird das Wachstumshormon HGH ausgeschüttet, das Muskelreparatur und Regeneration von Gewebe und Knochen fördert. Gleichzeitig wird im Schlaf die mentale Leistungsfähigkeit wiederhergestellt, und diese beeinflusst unsere Fähigkeit zur Koordination und Konzentration.
Der Einfluss auf den Fettstoffwechsel ist allerdings nicht signifikant. «Schlafen Sie sich schlank, das funktioniert leider nicht», sagt Daniel Erlacher. Grund ist die sogenannte Ruheenergie. «Wenn ich mich nicht bewege, brauche ich kaum Energie. Im Schlaf ist meine Ruheenergie immer gleich, unabhängig von der Schlafphase.»
Wie lange vor dem Schlafengehen soll ich trainieren?Vier Stunden vor dem Schlafengehen keinen Sport mehr, dies besagt eine Regel aus der Schlafforschung. Doch sie gilt vor allem für Menschen mit Schlafstörungen. «Es ist nichts Schlimmes dran, spätabends Sport zu treiben», sagt der Sportwissenschafter. «Bei normaler sportlicher Aktivität spätabends wirkt das nicht einschlafverlängernd, sondern tatsächlich ein Stückchen -verkürzend.»
Soll ich am Abend eher ruhige sportliche Aktivitäten wie Yoga oder Nordic Walking machen?Dass High-Impact-Sportarten den Körper zu fest aktivierten und deswegen nicht abends ausgeführt werden sollten, sei ein Irrglaube, sagt Erlacher. «Warum sollte der körperlich erschöpfte Körper ein Signal aussenden, das mich am Schlafen hindert?» Bei Personen, die regelmässig abends trainierten, könne Sport sogar schlaffördernd sein.
Erlacher vermutet eher einen anderen Grund für Einschlafprobleme nach spät ausgeführtem Sport: «Ich könnte mir vorstellen, dass Stress eine Rolle spielt: etwa, wenn man spätabends trainieren musste, weil man sonst keine Zeit fand im vollen Tag. Dann hält mich das Kopfkino vom Schlafen ab, nicht der Sport.»
Wie schlafe ich am besten, damit ich für meine wöchentliche Trainingslektion fit genug bin?Die einfache und kurze Antwort des Sportwissenschafters: «Schlafen Sie so wie immer.» Denn geht man extra früher ins Bett, ist die Gefahr da, nicht einschlafen zu können – und das führt zu Kopfkino und Grübeleien: «Warum schlafe ich jetzt nicht ein? Jetzt habe ich mich doch extra früh ins Bett gelegt, weil ich morgen Training habe, jetzt wollte ich doch ausgeruht sein.»
Kein Wunder, werde die Nacht dann tatsächlich schlecht, sagt Daniel Erlacher. «Verändert man seine Schlafgewohnheiten zu fest, schadet man sich eher, als dass man sich etwas Gutes tut.»
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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