Vorsicht, FC Bayern! Ich habe die wohl besten Fans der Welt erlebt

Was die Boca Juniors auf den Stadionrängen in Miami zelebrieren, alarmiert nicht nur die Apple Watch unseres FOCUS-online-Kolumnisten Pit Gottschalk. Fans aus Südamerika nehmen das XXL-Turnier des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino richtig ernst.
Der Mittvierziger aus Argentinien, wir nennen ihn Paolo, sah zuerst gar nicht nach Fußballfan aus. Kein Trikot, kein Schal und nicht mal einen versteckten Schlüsselanhänger mit Vereinslogo trug er, als er seinen Platz 10D im United-Flieger nach Newark einnahm.
Sein Sohn auf 10C dagegen, vielleicht zehn Jahre alt, war schon morgens um sieben von Kopf bis Fuß auf Boca Juniors eingestellt: Trikot, Hose, Strümpfe - alles in Blau und Gelb. Die vier Buchstaben des Vereins prangten unübersehbar: CABJ.
Am Abend vorher waren sie in Miami beim spektakulären Unentschieden zwischen Boca Juniors und Benfica Lissabon live im Stadion gewesen. Jetzt ging die Reise zu Fluminense gegen Borussia Dortmund in New Jersey, anschließend zum Juventus-Spiel bei Washington..
Lehrauftrag in Amerika: „Er soll die Atmosphäre in den Fußballstadien spüren“, erklärte der Vater die Früherziehung seines Sprößlings, „und sehen, was Boca Juniors bedeutet.“ Das hat wohl jeder Stadionbesucher kapiert, der das Chaos-Duell in Miami erlebt hat.
Die vielleicht besten Fans des Turniers verstehen halt keinen Spaß, wenn ihnen jemand ans Leder will. Da wird 90 Minuten lang gesungen, gepfiffen, geschrien, im kompletten Rund. Ich erinnere mich an meinen Verriss des Eröffnungsspiels kürzlich und muss wohl Abbitte leisten.
Die Liebe zu Boca Juniors treibt eine ganz andere Fankultur in die WM-Stadien, als wir das bisher beobachtet haben. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt: Die Klub-WM, zu oft zu orchestriert in den Stadien und klinisch steril wie eine Zahnarztpraxis, erlebte endlich ihre Erweckung.
Es spielt dabei gar keine Rolle, dass die Klub-WM in den USA noch nicht die Relevanz wie zum Beispiel die Champions League in Europa hat. Südamerikaner ticken da anders. Wenn’s was zu gewinnen und zu feiern gibt, sind sie mit Haut und Haaren dabei. Immer.

Aus allen Ecken des Bundesstaates drängten Blaugelbe mit argentinischen Wurzeln ins Stadion. Man sah sie - und nur sie - seit Tagen, wie sie sogar das edle Shopping-Center Aventura Mall nördlich von Miami Beach in ihren Vereinsfarben bevölkerten. Football is coming home.
Hier erkennt man das beste und vielleicht einzige Argument pro Fifa-Präsident Gianni Infantinos Idee, ein XXL-Turnier für Vereinsmannschaften zu veranstalten: Außerhalb von Europa wird sein kommerzieller Größenwahn keiner kritischen Prüfung unterzogen.
Wir haben das schon bei der WM 2022 in Katar erlebt. Während wir Deutschen zuerst uns in politischen Debatten über Spielführerbinden in Regenbogenfarben verloren und dann die Spiele, brannten die Argentinier mit Lionel Messi ihr Feuerwerk ab - bis zum WM-Sieg.
Die Klub-WM liegt jetzt quasi vor der Haustür (in Übersee akzeptiert man Entfernungen in anderen Dimensionen) und bietet Boca Juniors die schönste Gelegenheit zum Kräftevergleich: Wann spielt und singt man sonst gegen Benfica oder Bayern? Für Boca-Fans sind das Festtage.
Vom spanischen Liedgut, das die Mehrheit unter den 55.000 Zuschauern im Hard Rock Stadion in Miami anstimmte, habe ich zwar kein Wort verstanden. Aber ich weiß jetzt: Die Bayern, am Freitag nächster Gegner der Boca Juniors in Miami, sollten gewarnt sein. Die Geräuschkulisse ist brutal.
Beim 10:0 zum Auftakt gegen Auckland City mussten die Bayern noch leere Ränge ertragen. Das wird am Freitag (21.00 Uhr Ortszeit, 03:00 MEZ) nicht passieren. Ob der Papa Paolo mit seinem Sohn dabei ist, steht übrigens noch nicht fest. Seine Frau hat noch nicht ihr Okay gegeben. Aber er ahnt, wie das Urteil ausfällt.
FOCUS