Wie Luis Enrique aus dem PSG-Starensemble eine gesichtslose Siegermannschaft formte

Mit dem höchsten Finalsieg in der Geschichte der Champions League krönten Paris Saint-Germain und Cheftrainer Luis Enrique eine grandiose Saison. Nach über einem Jahrzehnt mit hochbezahlten Superstars gelingt PSG der große Triumph mit einer Reihe von relativ Unbekannten.
Als Nasser Al-Khelaifi und Qatar Sports Investments im Jahr 2011 Paris Saint-Germain übernahmen, gab es nur ein Ziel: der Thron Europas. Die zahllosen französischen Meisterschaften und Pokalsiege waren fast schon ein notwendiges Übel. Die Kataris hatten die Champions League ins Visier genommen. Bis gestern konnte nur eine französische Mannschaft die Königsklasse jemals gewinnen: Das war Paris' Erzrivale Olympique Marseille in der Saison 1992/93.
Infolge der Übernahme der Schwerreichen aus dem Emirat floss Geld in namhafte Trainer wie auch Starkicker. Plötzlich spielten illustre Gestalten wie Zlatan Ibrahimović und Thiago Silva für den Hauptstadtclub. Noch vor nicht allzu lange Zeit hatte man das offensive Triumvirat bestehend aus Neymar, Lionel Messi und Kylian Mbappé im Kader. Das erinnerte fast schon an Superteams aus der NBA.
Doch im Fußball reichen drei Top-Spieler bei weitem nicht für einen großen Titel aus. Zeitweilig wirkte PSG wie ein zweigeteiltes Team. Die Abwehr und auch Mittelfeldtrio waren vorrangig dazu da, hinter Mbappé und Co. aufzuräumen und defensive Absicherung zu gewährleisten.
Maximal einer der drei Mittelfeldspieler konnte sich in aller Regel entscheidend in die Offensive einbringen. Aufgrund des ausbleibenden Erfolgs in Champions League – PSG erreichte unter Thomas Tuchel einmal das Finale 2020 – verlor der Club etwas Glanz und die großen Stars das Interesse. Zudem kamen Messi und Neymar in ein Alter, in dem sie sich anderen Vorhaben widmen wollten.
So verließen die drei genannten Großköpfigen ebenso wie Ángel Di María nach und nach den Club. Der Letzte war Mbappé, welcher sich im Sommer 2024 Real Madrid anschloss.
Allerdings forderte Luis Enrique daraufhin nicht neue klangvolle Namen für seinen Kader, sondern wollte lieber Systemspieler verpflichten. In Zusammenarbeit mit Clubberater Luís Campos holte man João Neves, Willian Pacho und Désiré Doué vor der Saison sowie im Winter noch Khvicha Kvaratskhelia.
Billig war dieses Quartett selbstverständlich nicht, allein an Ablöse kosteten alle vier zusammen 220 Millionen Euro. Aber das mag im heutigen Fußball-Markt, wo selbst ein mittelguter Rechtsverteidiger erst für 15 Millionen über den imaginären Ladentisch geht, nicht überraschen.
Vitinha als Antreiber und Lückenfüller, Fabián Ruiz als Laufmaschine und João Neves als Gestalter zwangen Inter in die Knie. Zur Erinnerung: Vorm Finale hieß es noch, dass die Mailänder mit Hakan Çalhanoğlu, Henrikh Mkhitaryan und Nicolò Barella über ein überaus starkes Mittelfeld verfügen würden.
Aber Paris' geduldige Ballzirkulation bei eigenem Ballbesitz, das intelligente Vorstoßen von Fabián und João Neves über die Halbräume sowie die smarten Bewegungen eines Dembélé, der aus dem Sturmzentrum heraus immer wieder gegnerische Verteidiger ins Mittelfeld zog und so Lücken öffnete, war zu viel für eine taktisch hoch entwickelte, aber doch langsame Mannschaft aus Mailand. Luis Enrique erhielt damit Bestätigung für sein Vorgehen in dieser Saison.
Denn noch in der Hinrunde wurde er in Frankreich von so manchem dafür kritisiert, dass er dezidiert keine Stars nach Paris holen wollte. "Luis Enrique hat totalitaristische Ideale in dem, wie er seinen Fußball ohne Diskussion durchsetzt. Selbst sein Mentor Pep Guardiola musste zugeben, dass es hilfreich für ihn war, einen Star wie Erling Haaland zu holen", sagte der bekannte Journalist Daniel Riolo etwa.
Impliziert wurde, dass Luis Enrique keine Egos und damit auch keine Widerworte in der Kabine duldete. Kollektivismus statt Individualität. Zuweilen war sogar die Rede von "kommunistischem Fußball".
Allerdings ist PSG ein gebranntes Kind, wenn es um die Egos von Stars geht. Thomas Tuchel zum Beispiel war während seiner Amtszeit von 2018 bis 2020 vorrangig damit beschäftigt, Mbappé und Neymar dazu zu bringen, ein bisschen fürs Team zu arbeiten.
Luis Enrique war als Spieler meist eher der Wasserträger der Stars. In seiner fußballerischen Hochzeit beim FC Barcelona und im spanischen Nationalteam um die Jahrtausendwende war er vielleicht ein wichtiger Scorer und auch Kapitän, aber stets ein Stück weit im Schatten von Luís Figo, Ronaldo oder Raúl.
Nun hat er von der Seitenlinie aus den größten Triumph seiner Karriere eingefahren. Und das auch ein bisschen mit einer Spielweise, die an seine aktive Zeit erinnert: smart, kämpferisch und ohne Starallüren.
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