Zwei Nationalspielerinnen schliefen bei Ramona Bachmann im Zimmer, um sie zu schützen. Jetzt spricht sie über ihre Angststörungen


Als Pia Sundhage am Montagvormittag an der Zürcher Bahnhofstrasse das EM-Kader präsentierte, waren die 23 Spielerinnen bereits bekannt. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) hatte die Namen am Wochenende in einer Art Schnitzeljagd nach und nach enthüllt. Grosse Überraschungen blieben aus; am erstaunlichsten ist, dass die 19-jährige Leila Wandeler von Olympique Lyon den Sprung ins Kader geschafft hat, ohne je zuvor fürs A-Nationalteam gespielt zu haben.
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Ebenfalls dabei sind Coumba Sow und Alisha Lehmann, die zu Beginn des Jahres einige Male nicht aufgeboten wurden. Auf der anderen Seite hat es Seraina Piubel nicht ins Kader geschafft. Sie war an der WM 2023 noch eine der wenigen Torschützinnen.
Neun Tage vor dem Start in die Heim-EM aber ist eine Spielerin das grosse Thema, deren Abwesenheit eine Lücke aufreisst, die nicht so einfach zu schliessen ist: Ramona Bachmann. Der Kreuzbandriss vor zwei Wochen war ein bitterer Moment für die 34-Jährige, die das Nationalteam seit bald 20 Jahren mitprägt und zu den herausragendsten Spielerinnen der Schweizer Fussballgeschichte zählt.
Nun machte Bachmann am Wochenende öffentlich, dass sie noch vor kurzem ganz andere Abgründe durchlebt hat als ein verpasstes Turnier. Als Bachmann vor einem halben Jahr am Tiefpunkt ihres Lebens angelangte, war der Fussball weit weg. In einem viertelstündigen SRF-Beitrag erzählen Bachmann und ihr engstes Umfeld, wie das Leben der Spielerin von Angststörungen und Panikattacken bestimmt wurde und wie sie dank einem siebenwöchigen Klinikaufenthalt schliesslich aus der Krise fand.
Die Mutter sagt, Bachmann habe keine Lebensfreude mehr gezeigtMehr als ein Jahr lang lebte Bachmann mit Symptomen, ohne jemandem davon zu erzählen. Sie konnte sich nicht erklären, was mit ihr los war. «Das alles machte keinen Sinn für mich», sagt sie, die im Nationalteam nicht nur wegen ihrer Leistungen eine starke Figur ist, sondern auch wichtig durch ihr selbstbewusstes Auftreten, ihre Offenheit im Umgang mit ihrem Privatleben oder ihrer Sexualität.
Doch plötzlich schien Bachmann nicht mehr sich selbst zu sein. Gegenüber dem SRF sagen die Eltern sowie Meriame Terchoun, ihre engste Vertraute im Nationalteam, Bachmann habe keine Lebensfreude mehr gezeigt. Sie sei leer gewesen, in Gesprächen nicht wirklich präsent.
Besonders schlimm war es im vergangenen November während eines Zusammenzugs des Nationalteams. Als ein Staff-Mitglied Bachmann im Hotel die Zimmerkarte überreichte und sagte, ihr Raum sei im sechsten Stock, bekam die Spielerin Panik: «Ich hoffte, dass man das Fenster nicht öffnen kann.» Sie wollte sich zwar nichts antun, hatte aber Angst, dass sie die Kontrolle verliert. Sie weihte Terchoun ein. Diese und die Mitspielerin Coumba Sow blieben über Nacht in Bachmanns Zimmer und stellten eine Tasse auf die Türklinke – damit sie hören würden, wenn Bachmann den Raum doch verlassen würde. Zudem zogen sie den Sportpsychologen des Teams zu Rate. Noch wenige Monate zuvor wollte Bachmann nicht glauben, dass sie professionelle Hilfe benötigte – doch nun war das klar.
Wenn Sie selbst Suizidgedanken haben oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, wenden Sie sich bitte an die Berater der Dargebotenen Hand. Sie können diese vertraulich und rund um die Uhr telefonisch unter der Nummer 143 erreichen. Spezielle Hilfe für Kinder und Jugendliche gibt es unter der Nummer 147.
Die medizinische Abteilung des Nationalteams organisierte der Spielerin einen Platz in der Privatklinik Meiringen. Bachmann sagt: «Ich ging durch die Hölle. Ich dachte nicht, dass mein Zustand nochmals besser wird.» Zuerst weigerte sie sich, Medikamente zu nehmen, weil diese ihr Angst machten. Auch im normalen Leben zögert sie jede Einnahme von Tabletten hinaus, solange es geht. Das Ärzteteam erklärte ihr, dass eine Therapie nicht gelingen könne, wenn sie die Hilfe nicht annehme.
Bachmann lenkte ein, und die Medikamente halfen ihr zunächst, wieder normal schlafen zu können. Auch auf die Gesprächs- und Kunsttherapie sprach Bachmann gut an, vor allem das Malen sagte ihr zu. Im Durchschnitt verbringen Patientinnen und Patienten mit ihrer Diagnose fünf bis acht Wochen in der Klinik; Bachmann durfte nach sieben wieder heim. Die Nationalspielerinnen waren über Bachmanns Weg informiert.
Was bedeutet die Diagnose «generalisierte Angststörung und Panikstörung» genau? Sebastian Dittert, der leitende Arzt der Privatklinik Meiringen, sagt gegenüber SRF: «Zu einem Gefühl der permanenten Angst kommt eine Anspannung. Man denkt, es könnte etwas passieren, mit einem selber oder dem Umfeld.»
Bei der Geburt des Sohnes war Bachmann wieder gesundWas die Angststörung bei Bachmann auslöste, ist nicht klar; ein Trauma lag bei ihr nicht vor. Sie selber erklärt es sich so, dass sie zum ersten Mal Verlustängste hatte, als sie ihre heutige Frau Charlotte Baret kennenlernte. Diese sagt gegenüber SRF, sie sei positiv überrascht gewesen, wie rasch es Bachmann nach der langen dunklen Zeit wieder gut gegangen sei. Als Baret im Mai den gemeinsamen Sohn auf die Welt brachte, hatte Bachmann die Angststörung überwunden – der Klinikaufenthalt hat ihr dabei geholfen.
Heute sagt Bachmann, die bei Houston Dash noch bis Ende 2026 unter Vertrag steht: «Zu zeigen, dass es einem nicht gut geht, ist Stärke.» Vorgelebt hat dies bereits eine andere Leaderin des Nationalteams, Captain Lia Wälti. Diese nahm sich vor zwei Jahren wegen mentaler Gründe eine Auszeit und wollte im Nachhinein bewusst darüber sprechen – als sie realisierte, wie oft mentale Probleme im Fussball gegen aussen als Verletzung kommuniziert werden.
Damit haben zwei der besten Fussballerinnen der Schweiz offen über das einstige Tabuthema gesprochen: dass selbst eine leistungsorientierte Profisportlerin nicht in jeder Situation die Starke und Unantastbare sein muss, ja sein kann. Das ist kein Zufall. Den Protagonistinnen des Frauenfussballs liegt viel daran, dass Werte wie Offenheit, Akzeptanz oder Verständnis trotz dem rasanten Wachstum erhalten bleiben.
Das EM-Kader der Schweizer Frauen. Tor: Nadine Böhi, St. Gallen / Union Berlin (GER); Elvira Herzog, Leipzig (GER; 21 Länderspiele); Livia Peng, Bremen / Chelsea (ENG; 9). – Verteidigung: Luana Bühler, Tottenham (ENG; 60 Länderspiele / 3 Tore); Viola Calligaris, Juventus (ITA; 66/8); Noelle Maritz, Aston Villa (ENG; 128/2); Nadine Riesen, Frankfurt (GER; 29/1); Julia Stierli, Freiburg (GER; 48/1) – Mittelfeld: Iman Beney, Young Boys / Manchester City (ENG; 10/0), Noemi Ivelj, Grasshoppers / Eintracht Frankfurt (GER; 10/1); Sandrin Mauron, Servette Chênois (45/2); Géraldine Reuteler, Frankfurt (GER; 76/13); Coumba Sow, Basel (55/13); Meriame Terchoun, Dijon (FRA; 43/3); Smilla Vallotto, Hammarby (SWE; 22/2); Lia Wälti, Arsenal (ENG; 127/5); Riola Xhemaili, PSV Eindhoven (NED) / Wolfsburg (GER; 30/5). – Sturm: Ana-Maria Crnogorcevic, Seattle Reign (USA; 168/74); Svenja Fölmli, Freiburg (GER; 25/4); Alisha Lehmann, Juventus Turin (ITA; 59/8); Alayah Pilgrim, AS Roma (ITA; 13/3); Sydney Schertenleib, FC Barcelona (ESP; 12/2); Leila Wandeler, Olympique Lyon (FRA; 0/0).
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