Deutschland: Steiniger Weg aus der Rezession

Wenn sich die deutschen Wirtschaftsbosse alljährlich zum sogenannten TdI, dem "Tag der Industrie", in Berlin treffen, darf die Politik nicht fehlen. Ob Kanzleramt, Ministerien oder Parteizentralen - die Spitzen der Bundespolitik lassen sich nicht lange bitten, wenn der einflussreiche Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) einlädt. Es ist ein Termin, der viel darüber aussagt, wie es um die jeweilige Beziehung zwischen Regierung und Wirtschaft bestellt ist.
2023 und 2024 musste sich der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz beißende Kritik an seiner Regierung aus SPD, Grünen und FDP anhören. Der russische Überfall auf die Ukraine und seine Folgen, Energiekrise und Inflation, der anhaltend hohe Strompreis und einiges mehr hatten Deutschland in eine anhaltende Rezession gedrückt.

Von verlorenen Jahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland sprach der damalige BDI-Präsident Siegfried Russwurm, das Kanzleramt unterschätze offenbar den Ernst der Lage. Kanzler Scholz konterte, sprach von "Turnaround-Jahren" und warnte davor, den Standort schlechtzureden.
Globale Krisen sind schlecht für die Weltwirtschaft2025 liegt die deutsche Wirtschaft weiterhin am Boden. Im laufenden Jahr werde sich die Konjunktur noch nicht erholen können, prognostizierte der neue BDI-Präsident Peter Leibinger zu Beginn des Industrietags und verwies auf die zunehmenden globalen Krisen: Der Zollstreit mit den USA, der Krieg zwischen Israel und dem Iran, das Eingreifen der USA. Es gebe immer mehr Brandherde, die sich negativ auf die Weltwirtschaft und den Welthandel auswirkten.
Die Sorgen in der Wirtschaft seien groß. "Wir haben einen längeren und schwierigeren Weg aus der Rezession vor uns, als wir uns das gewünscht haben", sagte Leibinger.
Es regiert das Prinzip HoffnungTrotzdem ist die Stimmung in der Wirtschaft deutlich besser als im letzten Jahr. Das liegt an der neuen Bundesregierung und ihrer Ankündigung, die Unternehmen finanziell zu entlasten. "Das Vorzeichen stimmt jetzt wieder", sagte der BDI-Präsident und lobte die Koalition aus CDU/CSU und SPD: Dort sei ein Bewusstsein für Dringlichkeit zu spüren. "Das ist eine ganz andere Hausnummer als das, was wir vorher hatten."

Eines der ersten Gesetzesvorhaben, das bereits im Bundestag behandelt wird, ist ein sogenannter Wachstums-Booster, ein Bündel von steuerlichen Erleichterungen für die Unternehmen, um Investitionen anzureizen. "Wir haben seit 20 Jahren in Deutschland keine Steuersenkungen mehr gehabt, wir machen sie", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz auf dem TdI.
Damit werde der Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger, so der Kanzler, der sich sichtlich über das Wohlwollen freut, das ihm entgegenschlägt. "Ja, wir machen jetzt einen neuen Start, wir gehen mit einem neuen Geist in diese Arbeit hinein und wir wissen, was wir zu tun haben."
Die Rechnung ohne Länder und Kommunen gemachtGanz so glatt, wie Merz es darstellt, läuft es allerdings nicht. Wenn die Unternehmen weniger Steuern zahlen, dann reißt das ein gewaltiges Loch in die Staatskasse von Bund, Ländern und Gemeinden, die sich die Steuereinnahmen teilen. Rund 48 Milliarden Euro werden fehlen. Länder und Kommunen wollen das nicht hinnehmen und fordern, dass der Bund zahlen müsse, der habe sich das Gesetz schließlich ausgedacht.
Doch auch der Bundeshaushalt ist klamm. Zwar können in Zukunft für Verteidigungsausgaben hohe Schulden gemacht werden und für Investitionen in die marode Infrastruktur stehen in den nächsten zwölf Jahren insgesamt 500 Milliarden Euro Kredite bereit. In vielen anderen Bereichen muss hingegen gespart werden. Fast alle weiteren politischen Vorhaben im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD stehen unter Finanzierungsvorbehalt.
Investoren dringend gesuchtIn dieser Lage ist ein Wirtschaftsaufschwung umso dringlicher, denn je besser die Konjunktur läuft, umso höher sind die Steuereinnahmen für den Staat. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) setzt dabei auch auf ausländische Investoren. "Gerade in diesen Zeiten, wo es auf der anderen Seite des Atlantiks eine wachsende Ungewissheit gibt, senden wir das klare Signal an Investoren, dass es sich lohnt, in Deutschland zu investieren und dass wir der sichere Hafen sind. Mit Stabilität, einem funktionierenden Rechtsstaat und einer freiheitlichen Gesellschaft."

Und mit niedrigeren Energiepreisen. Klingbeil kündigte vor den Managern an, dass die Bundesregierung beschließen werde, die Strom- und Gaspreise zu senken. Attraktiver für Investoren soll Deutschland auch durch das geplante Investitionspaket in die Infrastruktur werden. "Ich will, dass die Bagger schnell rollen", so Klingbeil. Modernisiert und ausgebaut werden sollen Straßen, Schienen, Brücken, die digitale Infrastruktur, Energie- und Wärmenetze.
"Das ist zentral dafür, dass wir eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben, eine nachhaltige, eine sichere, eine pünktliche Mobilität, eine digitale Verwaltung, eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur, gut ausgebaute Netze, eine Infrastruktur, auf die wir wieder stolz sein können in unserem Land", so Klingbeil.
Kampf gegen die BürokratieImmer wieder klagt die Wirtschaft über hohe Verwaltungskosten. Das bürokratische "Dickicht an Regulierungen" sei entstanden, weil immer mehr auf Vorsorge gesetzt werde, analysierte Kanzler Friedrich Merz auf dem Industrietag. "Nichts darf passieren, jedes Risiko wird antizipiert und von vornherein ausgeschlossen - nur dass wir damit handlungsunfähig zu drohen werden."
In anderen Ländern werde vielmehr auf das Haftungsprinzip gesetzt. "Man darf vieles tun, vieles versuchen. Wenn es schiefgeht, haftet der Betroffene." Dieser Geist müsse auch in Deutschland wieder einziehen.
US-Zölle: Kritik an Europäischer UnionDoch es wird nicht an der neuen Regierung allein liegen, ob und wann es wirtschaftlich wieder bergauf geht. Für den BDI ist der Zollstreit mit den USA ein besonders hohes Risiko. Sollten die US-Zölle tatsächlich in Kraft treten, dürften sie die deutsche Wirtschaft etwa 0,3 Prozentpunkte Wachstum kosten, so Peter Leibinger.
In diesem Zusammenhang kommt Kritik vom deutschen Bundeskanzler an der Verhandlungsweise der EU. "Diese Europäische Union verhandelt viel zu kompliziert." Jetzt über hunderte Zollvorschriften gleichzeitig mit den USA zu verhandeln, sei falsch. "Die Amerikaner sind einfach darauf ausgerichtet, zu vier, fünf großen Industrien eine Verabredung mit uns zu treffen." Dem müsse man entsprechen.

"Wir wollen nicht das Beste vom Besten, sondern wollen das Wichtigste vom Notwendigen. Automobilindustrie, Chemie, Pharma, Maschinenbau. Diese Bereiche, die für uns existenziell wichtig sind - Stahl, Aluminium. Da brauchen wir jetzt ein schnelles Agreement mit den Amerikanern."
Darauf hofft auch die Wirtschaft und sie gibt der Politik eins mit auf den Weg: Den Ankündigungen müssten nun sehr schnell Taten folgen. Dass weiß auch der Kanzler, der die in seine Regierung gesetzten Hoffnung mit einem Aktienkurs vergleicht. Der steige ebenfalls, wenn es Erwartungen gebe. "Diese Erwartung dürfen wir nicht enttäuschen." Er hoffe, so Merz, dass man spätestens 2026, beim nächsten Tag der deutschen Industrie, "eine erste Zwischenbilanz" ziehen könne.
dw