Erntehelfer in Sachsen: Wer unser Obst pflückt

Dohna. Der Tag von Mădălina Lenuta begann wie immer früh. Halb sechs stand sie auf dem Feld und pflückte das Obst. Jetzt, nach zehn Stunden harter Arbeit, kann sie ihre Beine langmachen. Sie sitzt in ihrem kleinen Zimmer auf dem Obsthof Beck in Dohna und erzählt von ihrer Tochter.
Mehr als tausend Kilometer trennen die Erntehelferin Mădălina Lenuta von der 12-jährigen Denisa, die in Rumänien lebt. Sie vermisst ihre Tochter – und versucht doch, das Beste daraus zu machen: „Wir haben ja Videoanrufe“, sagt die Pflückerin. Normale Routine für die 28-Jährige in der Erntesaison – ein Job, für den Hunderttausende ausländische Arbeitskräfte jedes Jahr nach Deutschland kommen. Im Gespräch mit dieser Zeitung erzählen sie, wie ihr Alltag in Sachsen und Rumänien aussieht.
„Das hier ist ein sehr guter Ort, im Vergleich zu anderen Höfen in Deutschland“, findet Mădălina Lenuta, die das fünfte Jahr in Folge auf dem Hof bei Heidenau ist. „Sie haben viel Verständnis für uns“, sagt sie, während sie in ihrem Zimmer in der Containerunterkunft sitzt. Diese liegt direkt auf dem Hof von Beck.
Mitgebracht hat sie aus Rumänien nur Geschirr, Bettwäsche und ein Bild von der Tochter. Schrank, Ehebett, Fernseher sind schon im Zimmer, dass sie sich mit ihrem Partner teilt. Ihn hat sie auf dem Hof kennengelernt. Jetzt fahren sie jedes Jahr zusammen von Rumänien mit dem eigenen Auto nach Deutschland – an einem Tag.
Im Frühjahr kommt Mădălina Lenuta sechs Wochen zum Baumschnitt auf die Plantage, im Sommer sechs Wochen zum Pflücken. Welches Obst die 28-Jährige am liebsten mag? „Das kommt darauf an: zum Essen Kirschen, zum Ernten Äpfel – die Kiste ist schneller voll.“ 35 Eimer schafft sie an guten Tagen zu füllen. Mădălina Lenuta hat keine Ausbildung – und die Schule mit der 8. Klasse beendet. „In unserem Dorf gibt es keinen Bus und keine Haltestelle.“ Die weiterführende Schule sei zu weit weg gewesen.
Dass keine Deutschen auf den Feldern arbeiten wollen, sieht Mădălina Lenuta als Vorteil. „Glück für mich. Wir kommen hierher, weil es leichter ist, Geld zu verdienen.“ Bezahlt werde sie nach Mindestlohn pro Stunde abzüglich Unterbringungskosten. Das Geld vom Pflücken nutzen sie und ihr Partner, um selbst in den eigenen Hof in Rumänien zu investieren. Sie haben 50 Hühner und einen großen Gemüsegarten. Um Hof und Kind kümmern sich jetzt ihre Eltern.
Auch auf die Rumänin Maria Nicoleta wartet der Hof zu Hause. Sie ist mit 26 Jahren das erste Mal zum sächsischen Obstbauer Beck gekommen. Ihr Vater und seine Kumpels hatten sie aus dem rumänischen Dorf Buciumeni mitgenommen, um Äpfel, Pflaumen und Kirschen zu pflücken. Zwölf Jahre ist das her.
Seitdem hat sich Maria Nicoletta von einer normalen Pflückerin zur Arbeitsgruppenleiterin hochgearbeitet. „Hallo“ und „Dankeschön“ kann sie auf Deutsch sagen. Sonst redet sie auf Rumänisch, denn alle Pflücker auf dem Hof sind aus Rumänien. Auch ihre deutschen Chefs sprechen mit ihr Rumänisch.

Drei Monate am Stück ist sie jeden Sommer auf dem Betrieb in Dohna bei Heidenau. „Die drei Monate hier helfen uns, das ganze Jahr zu überleben“, sagt sie auf Rumänisch. In der Zeit verdient sie 8000 Euro. Das Geld zahlt sie auch in eine Renten- und Krankenversicherung in Rumänien ein. 250 Euro Miete pro Monat muss sie an den Obsthof für ihr Zimmer in der Containerunterkunft abgeben.
Diese teilt sie sich mit rund 50 anderen Pflückern und Pflückerinnen. Sie hat auch schon auf anderen Höfen in Deutschland gearbeitet. „Hier ist es besser. Wir sind wie eine Familie. Bei persönlichen Problemen bekommen wir auf dem Hof viel Unterstützung“, sagt sie. Frei hat sie je nach Wetterlage. Abends grillt sie öfter mal mit den anderen Rumänen. Rinderbauch oder Cevapcici gibt es dann.

Zu Hause in Rumänien hat sie ein Haus mit Hühnern, Schweinen und Gänsen. Darum kümmern sich gerade die Eltern. Wenn sie in Rumänien ist, arbeitet sie auf dem eigenen Hof oder macht Tagesarbeiten wie Fenstermontage. „In Rumänien ist es schwerer, Geld zu verdienen.“
Maria Nicoleta ist eine der Glücklichen, die auch im vergangenen Jahr in Sachsen sein durfte, als die Apfelernte durch die Spätfröste beinahe komplett ins Wasser fiel. Statt mit 120 Pflückern war sie mit 12 Arbeitern auf dem Feld unterwegs, um die wenigen Äpfel zu pflücken.
Mădălina Lenuta und Maria Nicoleta berichten von einer guten Atmosphäre auf dem Obstbetrieb Beck. Doch nicht alle Höfe sind solche Familienorte, sagt die Dolmetscherin Nicoletta Hofmann. Sie begleitet den Zoll auf Baustellen und Obsthöfen bei der Kontrolle von Schwarzarbeit, um zwischen Rumänisch und Deutsch zu vermitteln.
In diesem Jahr war das Hauptzollamt bereits in drei landwirtschaftlichen Betrieben in Sachsen, überprüfte 105 Personen. Anlass: Schwarzarbeit. Im vergangenen Jahr stellte es auf sechs sächsischen Höfen fest, dass der Lohn nicht wie gesetzlich vorgeschrieben gezahlt, die Sozialversicherung nicht geleistet und die Arbeitszeit nicht korrekt aufgezeichnet wurde. Dies hatte weitere Ermittlungen zur Folge, sagt Sprecherin Heike Wilsdorf.
Jörg Reinhardt
Versicherungsmakler und Berater für Obstbauern
„Manche hegen ihre Erntehelfer, aber es gibt natürlich schwarze Schafe“, gibt auch der Versicherungsmakler Jörg Reinhardt zu. Er berät sächsische Obstbauern beim Thema Versicherung der Saisonarbeitskräfte. Rund 1500 Erntehelfer, schätzt er, sind jedes Jahr in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt im Einsatz.
Ein Großteil der Erntehelfer ist kurzfristig und sozialversicherungsfrei eingestellt, so wie Mădălina Lenuta und Maria Nicoleta. Sie dürfen maximal 70 Tage im Jahr für den Obstbauer arbeiten. Gesetzlich krankenversichert sind sie nicht. Das wird über eine Gruppenkrankenversicherung vom Obstbauer geregelt.
Versicherungsmakler Jörg Reinhardt sieht bei vielen Obstbauern die Erhöhung des Mindestlohns als Belastung: „Man muss die Landwirtschaft entlasten. Sonst hat Deutschland bald keine Kleinbauern mehr.“
Eine weitere Folge der Mindestlohnerhöhung: Seitdem müssen die Pflücker mehr für die Unterkünfte zahlen, obwohl sich nichts verbessert habe, sagt die Initiative Faire Landarbeit. Sie setzt sich für die Rechte der Erntehelfer ein und nennt weitere Probleme: schäbige Unterkünfte, sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, intransparente Bezahlung.
Die Initiative spricht bundesweit jährlich mit Tausenden Pflückern, nicht aber in Sachsen. Es gebe in Sachsen kein Team, dass zu den Feldern fahre. Die Verantwortliche Kateryna Danilova meint aber: „Die Probleme sind vermutlich auch in Sachsen präsent.“ Der Obstbauverband sieht das nicht so. Es gebe zwar schwarze Schafe, diese seien aber schnell wieder verschwunden, heißt es. Ein anständiger Umgang mit den Mitarbeitern sei die Voraussetzung für das Überleben, so der Verband.
rnd