Eskalation in Iran: Das sind die wichtigsten Szenarien für die Weltwirtschaft


Majid Asgaripour / Wana News Agency via Reuters
Nach dem Militärschlag der Vereinigten Staaten ist die wirtschaftliche Eskalation bislang ausgeblieben. Die USA haben in der Nacht auf Sonntag zwar drei iranische Atomanlagen bombardiert. Trotzdem haben die Finanzmärkte am Montag verhalten reagiert.
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Am stärksten im Fokus steht der Ölpreis. Dieser ist seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und Iran um rund 18 Prozent gestiegen. Der Anstieg hat am Montag wieder etwas nachgelassen. Ein Fass Brent notierte am Nachmittag bei rund 77 Dollar. Mit seiner Entscheidung für den Kriegseintritt an der Seite Israels hat Donald Trump jedoch für zusätzliche Nervosität an den Finanzmärkten gesorgt.
Wie der Iran reagiert, ist noch unklar. Das Regime in Teheran hat Vergeltungsmassnahmen gegenüber dem amerikanischen Militär angekündigt. Wie sich der Ölpreis weiter verhalte, werde stark von der iranischen Reaktion abhängen, schreibt Allianz Global Investors in einer Einschätzung. Je nachdem wie sie ausfällt, könnte der Ölpreis kurzfristig auf 80 bis 100 Dollar pro Fass steigen. Am Montagabend hat der Iran eine US-Militärbasis in Katar mit Raketen beschossen und auch ballistische Raketen auf ein Ziel im Irak abgefeuert. Laut dem Aussenministerium in Doha wurden sämtliche Geschosse über Katar abgefangen.
Blockade der Strasse von Hormuz als Worst-Case-SzenarioBleibt es dabei, will der Iran die Situation nicht weiter eskalieren. Zu grossen militärischen Schlägen dürfte Teheran sowieso nicht mehr fähig sein. Doch wirtschaftlich könnte Iran dem Westen Schaden zufügen. Mit der Blockade der Strasse von Hormuz verfügt das Regime über ein mächtiges Druckmittel. Das iranische Parlament hat am Sonntag einer Schliessung zugestimmt. Nun müsste noch der Rat für nationale Sicherheit zustimmen.
Die Meerenge zwischen Iran und Oman ist eine wichtige Transportroute für Öl und Gas. 114 Schiffe haben im Juni 2024 durchschnittlich pro Tag die Meerenge durchfahren. Rund ein Fünftel der globalen Erdölproduktion passierte im vergangenen Jahr die Route. Das entspricht 20,3 Millionen Fass pro Tag.
Dass zwei Supertanker nach den amerikanischen Angriffen vor der Passage durch die Meerenge abgedreht hatten, zeigt, wie gross die Nervosität in der Region momentan ist. Erst am Montag setzten die beiden Tanker laut Bloomberg ihre Reise durch die Meerenge fort. Japanische Reedereien haben ihre Schiffe zudem angewiesen, ihre Zeit im Persischen Golf möglichst kurz zu halten.
Szenario 1: Vollständige Blockade«Eine vollständige Blockade der Strasse von Hormuz wäre sicher das schlimmste Szenario», sagt Patrick Saner, Leiter Makrostrategie bei Swiss Re. Das würde zu einem weiteren Anstieg des Ölpreises führen, was wiederum die Inflation in den USA antriebe. Laut Saner könnte ein um 10 Dollar höherer Ölpreis dazu führen, dass die Inflation in den USA übers Jahr gesehen um 20 Basispunkte steigt. Ende Mai betrug die Inflation 2,4 Prozent. Das träfe die USA zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da sich der Arbeitsmarkt ohnehin langsam abschwächt.
Je nachdem wie lange die Blockade dauert, wären die Auswirkungen auch in der Schweiz spürbar. «Am ehesten könnten die Konsumenten dies an der Zapfsäule merken», sagt Saner. Die Folgen wären zwar nicht vergleichbar mit dem Ölpreisschock der siebziger Jahre. Doch bereits am Freitag, vor dem Angriff der Amerikaner, seien die Margen für die Raffinerien, die Rohöl weiterverarbeiten, gestiegen.
Ein um 10 Dollar pro Fass höherer Rohölpreis verteuert laut dem Swiss-Re-Experten das Benzin um rund 3 Rappen pro Liter. In diesem Fall könnte die Inflation in der Schweiz wieder ansteigen. Allerdings würde der starke Franken laut Saner den Effekt der steigenden Benzinpreise grösstenteils wieder ausgleichen.
Szenario 2: Temporäre StörmanöverDass Iran die Meerenge von Hormuz vollständig blockiert, scheint aber eher unwahrscheinlich. «Es ist auch nicht im Interesse Teherans», sagt Saner. Ein solcher Entscheid hätte auch einen negativen Einfluss auf die iranischen Ölexporte.
84 Prozent des Rohöls, das 2024 durch die Meerenge transportiert wurde, gingen laut Schätzungen der amerikanischen Energieagentur nach Asien. Zu den grössten Abnehmern zählt China. Dass das iranische Regime Peking verärgern will, gilt als wenig wahrscheinlich. Das Kalkül könnte auch ein anderes sein: Indem Iran droht, die Meerenge zu schliessen, steigt der Ölpreis. Davon profitiere das Regime in Teheran eher als von einer tatsächlichen Schliessung der Strasse von Hormuz, schreibt der Energieexperte Javier Blas auf X.
📈 What benefits Iran: use low-ranking officials to talk about closing Hormuz(It pushes up oil prices and because it doesn’t happen, prompts no response)📉 What damages Iran: close Hormuz for real
(It hurts China, its biggest oil client, and will prompt the US to intervene)
— Javier Blas (@JavierBlas) June 14, 2025
Denkbar sind auch temporäre Störmanöver. Laut dem britischen Zentrum für Marinebeobachtung (UKMTO), das Sicherheitshinweise für Handelsschiffe in der Region erlässt, werden die Navigationssysteme der Schiffe bereits seit längerem gestört. Das UKMTO erhält vermehrt Berichte von Tankern, welche die gefährliche Route deswegen eher bei Tageslicht und nicht in der Nacht befahren. Trotzdem werde vor Ort bislang keine Bedrohung für die kommerzielle Schifffahrt festgestellt, hält das Zentrum fest.
Szenario 3: Angriffe auf FrachtschiffeAlternativen zur Meerenge von Hormuz gibt es kaum. Zwar existieren in der Region einige Pipelines, doch deren Kapazität reicht nicht aus, um die Route zu ersetzen. Wie realistisch andere Routen übers Meer sind, hängt auch davon ab, wie sich die iranischen Verbündeten verhalten. Die Huthi in Jemen haben am Sonntag bereits angekündigt, Frachtschiffe im Roten Meer anzugreifen. Eskaliert die Situation, müssen die Frachter weitere Wege in Kauf nehmen, was die Kosten und damit die globale Inflation in die Höhe treiben dürfte. Bis dies auch die Konsumenten zu spüren bekommen, wegen möglicher Unterbrüche bei den Lieferketten, würde es jedoch noch dauern.
Szenario 4: Ein glimpflicher AusgangEinschneidende wirtschaftliche Konsequenzen sind nicht zwingend. Samy Chaar, Chefökonom von Lombard Odier, rechnet mit begrenzten Auswirkungen durch die amerikanischen Angriffe. Die Rohölversorgung und die Transportwege müssten laut ihm massiv gestört werden, um eine dauerhafte Wirkung zu erzielen, schreibt er. Kommt es durch die israelischen Angriffe auf die iranische Ölinfrastruktur nicht zu Unterbrüchen bei der Ölförderung, so schätzt die Rating-Agentur S&P Global das Angebot auf dem globalen Ölmarkt für dieses Jahr und für das kommende als ausreichend ein.
Die Nachfrage für 2025 sei so tief wie seit 2001 nie mehr, abgesehen von der Wirtschaftskrise 2008/09 und der Pandemie. Die geringe Nachfrage plus die Entscheidung der Opec+, wieder mehr Öl zu produzieren, bedeutet laut S&P Global sogar, dass es ein Überangebot auf dem Markt gibt.
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