Gesund, grün, tierfreundlich: Der Bund hat eine klare Vorstellung davon, wie wir einzukaufen haben. Umsetzen sollen es Migros, Coop, Aldi und Lidl


Im Supermarkt nach Feierabend. Im Korb liegen Milch, Joghurts, eine Ananas und das Rindssteak aus Uruguay, das gerade im Angebot ist. Auf der Einkaufsliste stehen noch Paprika-Chips, Wassermelone und Avocado. Schnell bezahlen und ab nach Hause.
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Ein völlig unverdächtiger Einkauf, würde man meinen. Aber nicht, wenn es nach der Vorstellung des Bundes geht.
Früchte und Gemüse sollten nämlich möglichst saisonal und in der Schweiz angebaut werden. Zu viele Milch- und Fleischprodukte schaden dem Klima und sind ungesund. Von den Pommes-Chips ganz zu schweigen.
Einkaufen ist politisch geworden. Das wird klar, wenn man sich das «Zukunftsbild 2050: Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft» anschaut. Eine Vision, welche der Bund entworfen hat. Darin heisst es unter anderem: «Konsumenten kaufen nachhaltig und tierfreundlich hergestellte Lebensmittel.»
Weniger Fleisch, mehr SaisonalesSelber kann der Bund wenig Einfluss auf die Konsumentinnen und Konsumenten nehmen. Also hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) – es hat in diesem Dossier den Lead – im vergangenen Herbst sämtliche wichtigen Player im Schweizer Detailhandel an einen runden Tisch eingeladen. Auch Bauernvertreter und weitere Verbände waren dabei.
Die Absicht: Der Detailhandel soll sogenannte Zielvereinbarungen erarbeiten, an welche sich alle zu halten haben. Diese sollen auf ein nachhaltigeres Konsumverhalten hinwirken: weniger Fleisch, saisonal, regional und gesund.
Dominik Wunderli / CH Media
Zielvereinbarungen sind ein beliebtes Mittel der Behörden, wenn sie die Industrie zu einer Verhaltensänderung bewegen wollen. In der Landwirtschaft sind bereits mehrere in Kraft. Der Schweizerische Verband der Zuckerrübenpflanzer hat zum Beispiel einen «Absenkpfad Pflanzenschutzmittel» unterzeichnet.
Zu Ähnlichem sollen sich nun auch Migros, Coop, Aldi, Lidl, Volg und die weiteren Schweizer Detailhändler verpflichten. Zunächst freiwillig, wie betont wird. Ab 2030 besteht jedoch die «Möglichkeit für verpflichtende Massnahmen», wie aus der Präsentation vom letzten Herbst hervorgeht.
Insider berichten, dass die Bundesangestellten schon sehr konkrete Vorstellungen hätten, wie diese Zielvereinbarungen aussehen könnten. Die Vorschläge seien nicht nur sehr detailliert, sondern griffen auch stark in die wirtschaftliche Freiheit der Detailhändler ein.
Zum Beispiel, wie die Regale eingeräumt werden sollten. So heisst es in der Präsentation: «Produktplatzierung (Anteil nachhaltige Produkte auf Augenhöhe)». In einem anderen Abschnitt ist von einer «Erhöhung Labelanteile» die Rede. Sprich: davon, dass die Konsumenten mehr Bio- oder IP-Produkte kaufen sollten.
Fett angestrichen in der Präsentation ist der Imperativ: «Handel und Konsum müssen mitmachen!»
Lukas Barth ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Agrarpolitik beim BLW. Auf Anfrage sagt er: «Die Detailhändler sind das Scharnier zwischen den Produzenten und den Konsumenten. Sie haben eine wichtige Rolle, in welcher sie Verantwortung für ein nachhaltiges Ernährungssystem wahrnehmen können.»
Derzeit erarbeitet der Bund eine neue Landwirtschaftsstrategie, die sogenannte Agrarpolitik 2030. Erstmals wird dabei auch der Detailhandel in die Pflicht genommen. Deshalb kam es zum Treffen mit dem Bundesamt.
Lukas Barth rechtfertigt das Vorgehen seiner Behörde mit dem Auftrag des Parlaments, beim Ernährungssystem einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen. «Frühere Reformen der Agrarpolitik haben sich vor allem auf die Landwirtschaft konzentriert, aber für eine nachhaltige Entwicklung ist eben auch entscheidend, wie sich Verarbeitung, Handel und Konsum verhalten.»
Er betont allerdings, dass man noch in der Erarbeitungsphase sei und erst konkrete Vorschläge entwickle. Der Prozess sei freiwillig.
Insider berichten, dass das Bundesamt wieder losgekommen sei von seinen ursprünglichen Ideen und sich offen zeige gegenüber Vorschlägen der Händler.
So will Lukas Barth etwa nicht bestätigen, dass ausländisches Billigfleisch künftig einen schwereren Stand haben könnte. Er sagt einzig: «Das liegt in der Verantwortung des Detailhandels, aber könnte theoretisch ein Thema sein.»
Ein nächstes Treffen zwischen der Branche und den Beamten findet Ende August statt. Dann wird sich zeigen, ob sich die Branche, in der ein harter Konkurrenzkampf stattfindet, zusammenraufen kann.
Zerstrittene DetailhändlerZwar betonen alle angefragten Unternehmen höflich, sie begrüssten das Engagement des Bundes in Sachen Nachhaltigkeit.
Aber in den Details wird es dann kompliziert. So schreibt zum Beispiel der Discounter Aldi: «Für den Erfolg ist wichtig, dass alle Akteure Zugang zu relevanten Standards und Instrumenten haben – wie etwa zum Knospe-Label.»
Dazu muss man wissen: Aldi darf bis heute das Knospe-Label des Verbands Bio Suisse nicht benutzen, obwohl der Discounter das gerne würde und seine Produkte auch von durch Bio Suisse zertifizierten Höfen bezieht.
Aber im Hintergrund machte Coop, der wichtigste Partner von Bio Suisse, laut Berichten Druck. Der Verband habe deshalb die Bedingungen für das Knospe-Label so angepasst, dass sie für Aldi kaum zu erfüllen seien.
Der deutsche Discounter erhofft sich nun also, mithilfe des Bundes doch noch an das Knospe-Label zu kommen. Es ist kaum denkbar, dass Coop einer solchen Vereinbarung zustimmen wird.
Lidl wiederum ist sich nicht sicher, ob es Zielvereinbarungen, wie sie der Bund anstrebt, überhaupt braucht. «Wir sind der Meinung, dass in Themen, wo die Branche bereits wirksam handelt, eine weitere Verpflichtung durch den Bund nicht zwingend notwendig ist.»
Coop und Migros wollen auf Anfrage keine Stellung nehmen, sondern verweisen an die IG Detailhandel. In dieser Organisation bündeln die beiden Genossenschaften ihre politischen Interessen. Die IG teilt mit, dass man sich nicht äussern könne, solange die Gespräche nicht abgeschlossen seien.
Erst vergangene Woche wurde jedoch bekannt, dass die IG Detailhandel eine eigene Klimainitiative lanciert und damit Aldi und Lidl vor den Kopf gestossen hat.
Dagmar Jenni, Geschäftsführerin der Swiss Retail Federation, in der sich 1900 Detailhändler zusammengeschlossen haben, sagt: «Es kann nicht die Aufgabe des Detailhandels sein, die Konsumenten zu erziehen.» Es brauche Lösungen, die für alle umsetzbar seien, ob für kleine oder grosse Händler. «Wir können nicht alle Bio-Läden werden.»
Bis sich Handel und Bund auf irgendwelche Ziele einigen können, dürften also noch viele Avocados und Rindfleischsteaks verkauft werden.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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