Versicherung: Helvetia verkauft Deutschland-Geschäft
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Jahrzehntelang galt eine eiserne Regel: Wenn ein Schweizer Versicherer die Enge des Heimatmarktes überwinden und expandieren wollte, musste er nach Deutschland gehen. Zwar kamen auch Österreich und Italien infrage, aber der wichtigste Auslandsmarkt blieb der nördliche Nachbar. Baloise, Helvetia, Swiss Life, Swiss Re und Zurich sind seit vielen Jahren hierzulande aktiv.
Doch jetzt schwindet die Begeisterung für den deutschen Versicherungsmarkt. Die Helvetia, immerhin seit 1862 in Deutschland aktiv, verlässt das Land und sucht einen Käufer für die Einheiten in Frankfurt. Konkurrent Baloise steht ebenfalls unter Druck großer Aktionäre, sich zurückzuziehen.
Nach SZ-Informationen hat die Helvetia in den vergangenen Wochen von mehreren Bietern unverbindliche Angebote erhalten. Grundlage war eine Präsentation des Unternehmens und seiner Investmentbanker. Diese Phase ist nun abgeschlossen. In den kommenden Tagen wird der Versicherer den digitalen Datenraum für ausgewählte Interessenten öffnen. Dort erhalten sie Einblick in die internen Daten der Gruppe und können auf dieser Basis ein verbindliches Kaufangebot abgeben. Ein Helvetia-Sprecher sagte dazu, man kommentiere Gerüchte nicht.
Es geht um zwei Tochtergesellschaften und eine Niederlassung, 800 Mitarbeitende und Gesamt-Prämieneinnahmen von rund einer Milliarde Euro. Die Helvetia Versicherung, die Helvetia Lebensversicherung und der Bestand der Niederlassung sollen verkauft werden.
Auch der Versicherer Baloise, früher unter dem Namen Basler aktiv, denkt über den Rückzug aus Deutschland nach. Größter Aktionär der Gesellschaft ist der schwedische Investmentfonds Cevian, der 9,4 Prozent hält. Cevian ist bekannt dafür, sich aktiv in die Geschäftsleitung der Unternehmen einzumischen. Cevian-Chef Lars Förberg verlangt seit Monaten, dass Baloise das deutsche Geschäft aufgibt. Den Direktversicherer Friday haben die Schweizer bereits im Oktober 2024 an die Allianz verkauft. Das Geschäft in Deutschland sei einfach nicht erfolgreich und werde es wohl auch nie sein, sagte Förberg in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung.
Aus Sicht großer Investoren ist der deutsche Markt für Versicherungsgiganten wie Allianz und Munich Re zwar hochprofitabel, für mittelgroße und kleine Versicherer aber nicht sehr attraktiv. Das Geschäft mit der Lebensversicherung wird kleiner, außerdem erhalten Kunden hier einen vergleichsweise hohen Anteil an den erzielten Gewinnen. In der Schadenversicherung haben Naturkatastrophen wie das Ahr-Hochwasser sowie hohe Verluste in der Autoversicherung vielen Versicherern die Bilanz verhagelt. Hinzu kommen ein hoher Investitionsbedarf für die IT-Modernisierung und eine sehr aktive Aufsichtsbehörde.
Die deutsche Helvetia-Gruppe liefert tatsächlich nur magere Gewinne in der Schweiz ab und hat mit einer teuren IT-Umstellung zu kämpfen. Fabian Rupprecht, seit Ende 2023 Konzernchef, trimmt den Schweizer Konzern gerade auf höhere Gewinne und wachsende Dividenden. Dazu gehört der Abbau von 500 der rund 14 000 Stellen im Konzern. Auch Rupprecht steht unter Druck von Aktionären.
Für die Kunden ist die Helvetia vergleichsweise teuer. Die sogenannte Abschlusskostenquote der Helvetia Leben – das sind vor allem Provisionen für Vermittler – ist mit 5,6 Prozent deutlich höher als der Marktdurchschnitt mit 4,5 Prozent. Das bedeutet, Helvetia-Kunden müssen 5,6 Prozent aller Prämien, die sie in den kommenden 20 oder 30 Jahren zahlen sollen, für den Vertragsabschluss aufbringen. Dazu kommen laufende Verwaltungskosten von satten 4,7 Prozent. Der Marktschnitt ist mit 2,5 Prozent deutlich bescheidener.
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