Macht, Geld, Wille: Tech-Investoren treiben die US-Rüstungsindustrie in eine Revolution

Die amerikanische Rüstungsindustrie befindet sich in einer Revolution. Militär-Startups versprechen, das Beschaffungswesen effizienter und billiger zu machen, den Streitkräften durch Erfindungen einen Vorteil auf dem Gefechtsfeld zu verschaffen, Demokratien für die Kriege der Zukunft zu rüsten.
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Finanziert wird die Rüstungsrevolution durch Geldgeber aus dem Silicon Valley. In den vergangenen vier Jahren haben sie über 130 Milliarden Dollar in den Verteidigungs-Tech-Sektor investiert. Ihre Hoffnung: grosse Gewinne. Dafür wetten sie immense Summen auf die Militär-Startups.
Gleichzeitig geht es einigen Investoren um mehr als nur Geld. Sie sind getrieben von Überzeugungen und Patriotismus. Sie wollen, dass die Tech-Unternehmen und der Verteidigungssektor näher zusammenrücken. Die USA den Status als Technologiemacht Nummer eins verteidigen. Dass die USA sich im Grossmachtwettstreit mit China durchsetzen.
Die wichtigsten Geldgeber nutzen riesige Netzwerke, um diese Ziele zu erreichen. Sie verfügen über ebenso grosses politisches wie finanzielles Kapital. Aber so ähnlich die Ziele der Investoren auch sind, so verschieden sind ihre Motive. Mit jedem Engagement, jedem Investment machen sie deutlich, wie unterschiedlich sie sich die Aufrüstung des amerikanischen Militärs vorstellen.
Eric SchmidtMethode: mahnen
Eric Schmidt wusste es von Anfang an sowieso besser. Im Sommer 2016 besuchte er die Zentrale der US-Spezialeinheiten. Und sagte dem Kommandeur: «Ihr seid absolut scheisse.» Er meinte damit: den technologischen Rückstand in Sachen maschinelles Lernen. So beschrieb es einst die «New York Times». 9 Jahre später weiss es Schmidt noch immer besser.
Der US-Verteidigungsminister will, dass das Militär mehr von den Tech-Unternehmen im Silicon Valley profitiert. Während die Tech-Unternehmen neue Entwicklungen präsentieren, verharren die US-Streitkräfte technologisch im 20. Jahrhundert. Um das zu ändern, initiiert der Verteidigungsminister im Sommer 2016 das Defense Innovation Board (DIB). Und bittet Schmidt, dieses zu leiten. Damit beginnt Schmidts offizielles Engagement im Rüstungsbereich.
Das DIB soll das Verteidigungsministerium dazu beraten, wie das Militär modernisiert und für künftige Kriege vorbereitet werden kann.
Schmidt ist die perfekte Wahl. Von 2001 bis 2011 war er CEO von Google. Anschliessend bis August 2015 dessen Executive Chairman. Er kennt die wichtigsten Köpfe und Mechanismen des Silicon Valley und ist in Washington bestens vernetzt.
Ab Sommer 2016 erhält Schmidt Einblick in die Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse innerhalb der US-Streitkräfte. Er ist schockiert. Vieles basiert auf Software aus den 1980er Jahren. Dem Kommandeur der US-Spezialkräfte sagt Schmidt: «Ich könnte die meisten Probleme in einem Tag lösen.»
Für Schmidt wäre die Lösung für viele der Probleme: ein Software-Upgrade. Neue Tools und Apps statt Excel-Tabellen. Von der Aufklärung bis hin zum Einsatz von Waffensystemen.
Schmidt leitet das DIB vier Jahre lang. Von 2018 bis 2021 ist er zudem Vorsitzender der National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI). Die Kommission berät den Präsidenten und den Kongress dazu, wie Technologien wie KI im Sinne der «nationalen Interessen und Verteidigungsbedürfnisse» vorangetrieben werden können.
Spätestens im Abschlussbericht der Kommission ist Schmidts Ton nicht nur besserwisserisch. Jetzt ist er auch mahnend.
Schmidt mahnt, es brauche mehr Investitionen, damit die USA die Technologieführerschaft behielten. Er mahnt, die USA müssten den KI-Wettlauf gewinnen, der den Grossmächte-Wettbewerb mit China zusätzlich intensiviere. Und er mahnt: «Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist Amerikas technologische Vormachtstellung – das Rückgrat seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht – bedroht.»
Schmidt schreibt ein Buch zum «KI-Zeitalter» mit Henry Kissinger, Amerikas aussenpolitischer Überfigur des 20. Jahrhunderts. Mit Mark Milley, dem ehemaligen ranghöchsten US-Militär, verfasst er einen Beitrag in «Foreign Affairs» mit dem Titel: «Amerika ist nicht bereit für die Kriege der Zukunft».
Nach seinem Engagement in der NSCAI beteiligt sich Schmidt am Aufbau eines halbprivaten, nicht gewinnorientierten Investmentfonds, des America’s Frontier Fund. Neben ihm wirken bedeutende Personen aus dem Verteidigungsestablishment sowie der Tech-Investor Peter Thiel mit (mehr zu ihm später). Schmidt und Thiel beteiligen sich beide am Fonds und lobbyieren im US-Kongress, damit auch der Staat sich mit einer Milliarde Dollar beteiligt.
Schmidt ist mit seinen Rollen in Gremien und Kommissionen längst zum Schlüsselakteur geworden. Seine Mahnungen finden Gehör. Nach und nach lenkt er den Verteidigungssektor in Richtung Silicon Valley. Gleichzeitig hat er mit seinem Fonds Innovation Endeavors über die Jahre viele Millionen Dollar in zahlreiche Militär-Startups investiert. Das prominenteste Beispiel ist Rebellion Defense, eine Softwarefirma, gegründet von einem ehemaligen Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements.
Kritiker werfen Schmidt vor, mit seinen Mahnungen an die US-Regierung Geld zu verdienen. Für seine Befürworter ist Schmidt einer, der seinen Mahnungen auch Taten folgen lässt.
Marc AndreessenMethode: abschrecken
Marc Andreessen ist überzeugt: Wir befinden uns in einem Kampf, Gut gegen Böse, Demokratie gegen Autokratie. Und sagt: «Technologisch schwache Demokratien verlieren gegen autokratische Rivalen.»
Andreessen wurde reich als Internetpionier. 2009 gründet er zusammen mit Ben Horowitz den Risikokapitalfonds Andreessen Horowitz, auch «a16z» genannt. Der Fonds investiert beträchtliche Summen in Militär-Startups, seit sich das Silicon Valley wieder dem Verteidigungssektor zuwendet.
Experten räumen zwei Firmen die grössten Erfolgschancen ein: Shield AI und Anduril. Beide sind auf autonome Drohnen spezialisiert – a16z ist früh an beiden beteiligt.
Shield AI wird 2015 gegründet, a16z ist der Hauptinvestor in einer der ersten Finanzierungsrunden. Anduril wird 2017 gegründet, a16z investiert in der allerersten Finanzierungsrunde.
2020 startet a16z eine Initiative mit Fokus auf der Gründung und dem Wachstum von Tech-Startups, die Amerikas nationale Interessen unterstützen. Dazu gehören Militär-Startups und solche, die Dual-Use-Technologien vorantreiben.
a16z veranstaltet in Washington Konferenzen. Verkündet, allein über diese Initiative 500 Millionen Dollar in Startups zu investieren, und gibt schon bis Ende 2023 dreimal so viel Geld. Sucht die Nähe zu den Entscheidungsträgern. Gibt im Jahr 2023 eine Million Dollar für Lobbying in Washington aus, so viel wie kein anderer Risikokapitalfonds.
Zur gleichen Zeit äussert sich Andreessen immer deutlicher, was a16z und ihn als Investor antreibt. 2023 veröffentlicht er das «Techno-Optimist-Manifesto». Darin schreibt er: «Wir glauben, die USA und ihre Alliierten sollten stark sein und nicht schwach . . . Ein technologisch starkes Amerika ist eine treibende Kraft für das Gute in einer gefährlichen Welt. Technologisch starke Demokratien sichern Freiheit und Frieden.»
Ein Beitrag auf der a16z-Website stellt Militär-Startups vor mit dem Claim «Firmen, die den Krieg der Zukunft gestalten». Zum Einstieg skizziert der Text das Szenario eines Krieges um Taiwan im Jahr 2027; ein solcher wäre quasi gleichbedeutend mit einem Krieg zwischen den USA und China. Doch es gebe einen Weg, dieses Szenario zu verhindern. Dann werden fünfzig Firmen vorgestellt.
Neben Shield AI und Anduril befinden sich darunter andere Shootingstars der Militär-Tech-Szene wie Skydio, ebenfalls ein Drohnen-Startup, oder Epirus, dessen Fokus auf Drohnenabwehr liegt.
Andreessen will mit seinen Investitionen die amerikanischen Streitkräfte hochrüsten, um Krieg zu verhindern. Frieden durch Stärke.
Peter ThielMethode: dominieren
Peter Thiels Gegner sagen, er und seine Unternehmungen seien böse. Er selbst sagt: «Ich gelte lieber als böse denn als inkompetent.»
Fest steht: Thiel ist seit je einen Schritt weiter. Nachdem er mit dem Bezahlservice Paypal reich geworden war, gründete er 2003 zusammen mit Alexander Karp Palantir. Das Unternehmen analysiert grosse Datenmengen, zieht daraus Schlussfolgerungen und macht Vorhersagen. Für das US-Militär generiert Palantir etwa Einschätzungen, wo auf einer Strasse Sprengladungen versteckt sein könnten.
Lange bevor Tech-Unternehmer begannen, sich an das Pentagon anzubiedern, war die US-Regierung bereits Palantirs wichtigster Kunde. Die amerikanischen Streitkräfte nutzen Technologie von Palantir in mindestens zwei Konflikten im Mittleren Osten.
Palantir ist allen Militär-Startups einen grossen Schritt voraus: Es ist seit September 2020 börsenkotiert.
Thiel mahnt nicht. Und sein Unternehmen will die Gegner der USA nicht abschrecken. Palantir setzt darauf, sie zu dominieren.
Der Palantir-Chairman Thiel hält sich mit Äusserungen zurück. Doch der CEO Alexander Karp macht die Absichten dafür umso deutlicher. Er sagt, man sei stolz, Amerika tödlicher zu machen. Oder er richtet sich in einem Werbeinserat an Studenten und schreibt: «In der Fabrikhalle, im Operationssaal, auf dem Schlachtfeld – wir bauen, um zu dominieren.»
Die Militär-Startups, in die Thiel über seinen Founders Fund investiert, sollen die Dominanz durch Hardware ermöglichen. Beispiel: der Drohnenhersteller Anduril.
Thiel ist als Investor im Silicon Valley so einflussreich wie Schmidt als Berater in Washington. Einer der Anduril-Mitgründer ist Partner bei Thiels eigenem Fonds. Der Fonds gehört wie a16z zu den ersten Unterstützern des Startups. Als Anduril im Februar eine neue Finanzierungsrunde durchführt, beteiligt sich Thiels Fonds abermals. Eine Milliarde Dollar. Noch nie zuvor hat der Fonds in einer einzelnen Finanzierungsrunde so viel investiert.
Schon im Dezember haben Palantir und Anduril eine Zusammenarbeit angekündigt. Anduril sammelt mit seinen Drohnen Daten, beispielsweise im Ukraine-Krieg. Diese Daten gibt es weiter an Palantir. Und Palantir bereitet sie auf, um damit KI zu trainieren und zu entwickeln.
Auch abseits der Geschäftsbeziehungen bemühen sich Thiel und seine Gefolgsleute darum, ihre Überzeugungen zu verbreiten. Vizepräsident J. D. Vance war einst bei einem von Thiels Fonds angestellt und beschreibt Thiel als Mentor, schwärmt noch heute von ihm. Einmal mehr scheint Thiel seiner Konkurrenz einen Schritt voraus.
Schmidt, Andreessen und Thiel haben dasselbe Ziel: Sie wollen mit Technologie das US-Militär, ja Amerikas Stellung in der Welt retten. Doch sie haben verschiedene Herangehensweisen: Schmidt mahnt, damit die USA technologisch aufrüsten und vor ihren Widersachern bleiben. Andreessen will, dass die USA ihre Widersacher abschrecken. Und Thiel will, dass die USA dominieren.
Schmidt, Andreessen und Thiel erwecken den Anschein, das Wohl des Landes sei ihnen ebenso wichtig wie die Rendite ihrer Investments. Doch es ist unmöglich zu sagen, wo bei ihnen der Patriotismus aufhört und das Marketing beginnt. Durch ihren Einfluss, ihr Geld, ihre Unternehmen profitieren alle drei von der Annäherung zwischen dem Silicon Valley und dem Verteidigungssektor.
Am Ende bleiben sie Investoren. Sie wetten Milliardensummen auf Militär-Startups und hoffen auf grosse Gewinne.
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