Neue Suche, Shopping-Helfer und eine smarte Brille: Google zelebriert die KI-Festspiele


Entwicklerkonferenzen sind alljährlich der Moment, an dem die sonst so geheimniskrämerischen Big Tech-Konzerne ihre Türen öffnen und der Welt präsentieren, an welchen Innovationen sie die vergangenen Monate geforscht haben. Die Veranstaltungen sind von vorne bis hinten orchestriert, von Pre-Briefings für Journalisten bis zu den Stimmungsmachern im Publikum, die jede Aussage der Keynote-Redner euphorisch beklatschen.
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Auch Google präsentierte sich diese Woche von seiner Sonnenseite, buchstäblich: Bei 22 Grad und strahlend blauem Himmel über Mountain View im US-Gliedstaat Kalifornien trat der CEO Sundar Pichai auf die Bühne des Shoreline Amphitheaters – und begrüsste die mehreren Tausend Besucher mit einer selbstironischen Beobachtung.
Früher habe Google seine besten Computermodelle und Durchbrüche eines Jahres für die Entwicklerkonferenz aufgespart, sagte Pichai, aber im Zeitalter von künstlicher Intelligenz sei das zu langsam. Heutzutage präsentiere Google seine neuen Modelle postwendend an einem beliebigen Wochentag – auch weil der Konkurrenzdruck enorm ist, auch wenn der CEO das nicht so sagte.
«Die Welt nimmt KI in einer atemberaubenden Geschwindigkeit an», fasste es Pichai zusammen – und tatsächlich dreht sich im Hause Google nun wirklich alles um künstliche Intelligenz, im Grossen wie im Kleinen. Das wurde in den folgenden zwei Stunden klar, in denen Pichai und andere Topmanager den App-Entwicklern, Firmenkunden, Journalisten und Regierungsvertretern im Publikum ihre Innovationen präsentierten.
Die klassische Suche bekommt nun einen Chatbot zur SeiteDie wichtigste Ankündigung: Google verändert sein Kernprodukt und ergänzt seine Suchmaschine um einen «KI-Modus». Es ist ein Schritt, den die Firma bisher gezögert hatte zu ergreifen; schliesslich ist das 200 Milliarden Dollar schwere Geschäft mit Suchanfragen die tragende Säule des Konzernumsatzes. Statt ausschliesslich Listen mit Links zu präsentieren, bietet Google künftig eine neue Chatfunktion an, in der die Nutzer komplexere Fragen stellen können und sich mit einer KI austauschen - vergleichbar mit den Chatbots der Konkurrenz. «Es ist eine komplette Überarbeitung der Suche», sagte Pichai. «Wir beginnen jetzt eine neue Phase der KI-Plattformen, in der jahrzehntelange Forschung Realität wird.»
Mit der neuen Funktion geht Google einen Schritt weiter als mit den «AI Overviews», also jenen KI-generierten Kurzzusammenfassungen, die der Konzern vor einem Jahre an der Entwicklerkonferenz präsentierte und die es seit März auch in der Schweiz gibt. Der «KI-Modus» suche tiefer im Netz nach Antworten als die bisherigen Suchalgorithmen, sagte die für die Suche zuständige Managerin Liz Reid. Statt Links durchzuklicken, interagiert der Nutzer nun mit einem Chatbot.
Mit dem neuen Angebot versucht Google sein Suchmaschinen-Monopol zu verteidigen: Die Firma hält zwar nach wie vor einen Anteil von rund 90 Prozent am Markt für Suchanfragen, doch ChatGPT und Chatbots von Anthropic, Perplexity und anderen Konkurrenten nagen an diesem Markt. Der «KI-Modus » erscheint Nutzern in den USA ab sofort in der Standardsuchmaske von Google und soll bald auch in andere Länder kommen.
Eine weitere Neuerung: Google bietet künftig einen künstlich intelligenten Agenten als Teil seiner Gemini-App. Zahlreiche Firmen tüfteln derzeit an solchen virtuellen persönlichen Assistenten, die für den Nutzer Aufgaben erledigen. Ein Beispiel: Man kann dem Agenten erzählen, wenn man eine neue Wohnung sucht, und dieser durchstöbert das Internet nach Angeboten, fasst diese in Tabellen zusammen und vereinbart auf Wunsch Besichtigungstermine.
Auf Wunsch kann der Agent auch auf die Emails, Kontakte und andere persönliche Daten des Nutzers zugreifen.
Der CEO Pichai betonte mehrmals, dass der Nutzer bei all dem immer die Kontrolle habe. Offenbar wollte er Bedenken ausräumen, dass solche virtuellen Helfer eigenständig agieren könnten. «Es ist eine neue Ära und wir freuen uns zu erforschen, wie man die Agenten in die reale Welt bringen kann.»
Auch andere Funktionen von Google sollen künstliche Intelligenz künftig verändern:
Die Videoplattform Google Meet wird künftig Simultanübersetzungen anbieten, zunächst für Englisch und Spanisch. Das Videogenerierungswerkzeug Veo baut künftig automatisch Stimmen und Geräuscheffekte in die Videos ein. Und auf der Einkaufsplattform Google Shopping kann man bald Kleidung virtuell anprobieren und den Einkauf von einem Agenten abwickeln lassen.
Vor allem aber soll KI bei Google ein Produkt wiederbeleben, das viele schon totgesagt haben: die Google Glasses. Bereits 2013 stellte Google seine erste Version einer smarten Brille vor, diese schaffte aber nie den Durchbruch, den sich der Konzern erhofft hatte.
Das soll sich nun ändern dank dem neuen Betriebssystem «Android XR» für Headsets und Brillen: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden dem Nutzer Zusatzinformationen ins Sichtfeld projiziert und Live-Übersetzungen ins Ohr gespielt. Bei einer Live-Demo auf der Bühne zeigten Google-Mitarbeiter, wie die neuen Google Glasses auch Fragen zu etwas beantworten konnte, was bereits wieder aus dem Sichtfeld verschwunden war. Offenbar merkt sich die Brille alles, worauf man einmal einen Blick geworfen hat
Das Produkt erinnert stark an die «Meta KI Brille», die der Facebook-Konzern in Kooperation mit der Modefirma Ray Ban auf dem Markt hat – nur dass die Meta-Brille keine Informationen ins Sichtfeld projiziert. Auch Google will mit zwei Designerfirmen zusammenarbeiten, sagte der zuständige Manager Sharam Izadi. «Wir wissen, dass es stilvolle Gläser sein müssen, die man den ganzen Tag tragen kann und will.» Es dürfte eine Lektion sein, die man aus dem Flop der alten Google Glasses gezogen hatte - diese sahen sehr nach Science-Fiction-Film aus.
Bis zu 250 Dollar kosten Googles KI-Funktionen – im MonatEinige der neuen Funktionen wie der «AI Mode» öffnet Google ab sofort für alle Nutzer in den USA, andere stehen zunächst nur ausgewählten Testern zur Verfügung, deren Feedback man dann einbauen wollen. Der Konzern hat offenbar aus früheren Fehlern gelernt, etwa als er vergangenes Jahr einen neuen Bildgenerator sofort allen Nutzern bereitstellte; dieser erwies sich dann aber als zu woke und machte den Konzern zum Gespött.
Ähnlich zweigleisig fährt Google auch bei der Preissetzung: Der «KI-Modus» etwa steht Nutzern gratis zur Verfügung. Doch wer die neuesten KI-Werkzeuge und die schnellsten Modelle aus dem Hause Google als Erstes testen will, muss tief in die Tasche greifen: 250 Dollar kostet der sogenannte Ultra-Plan, er ist nochmal teurer als das Pro-Abo der Konkurrenz von Open AI.
Zwischenschritte auf der Reise zu allgemeiner künstlicher IntelligenzWohin die Reise bei Googles künstlicher Intelligenz gehen soll, skizzierte Demis Hassabis bei einem kurzen Auftritt; der Nobelpreisträger zählt zu den führenden Köpfen in der KI-Forschung und verantwortet bei Google die KI-Einheit Deepmind. Er stellte in Grundzügen zwei neue KI-Modelle vor, an denen der Konzern derzeit tüftelt. Auch werde KI nun besser darin werden, die physikalischen Gesetze zu berücksichtigen – «das wird auch wichtig sein für Anwendungen von Robotern», sagte er.
Am Ende seien all dies Zwischenschritte auf der Reise zu Googles ultimativem Ziel: allgemeiner künstlicher Intelligenz, also der Zustand, in dem Computer so denken, tun und fühlen, dass sie nicht mehr von Menschen zu unterscheiden sind.
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