Edle Alphabete. Sizilien von A bis Z durch Pirandello, Sciascia und Camilleri


Renato Guttuso, „Zolfara“, Öl auf Leinwand, 1953 (Foto Ansa)
Wenn sich im Schwefel die drei Alphabete der drei Schriftsteller treffen, trennen sie sich bei Frauen. Persönliche Schmerzen werden zu universellen Allegorien. Das Wort als instabile Oberfläche, die niemals mit der Wahrheit übereinstimmt.
Siehe Schwefel. Der beißende Geruch, der erstickende Staub, die Mühen, die sich unter der Erde abarbeiten. Es ist der Faden, der Pirandello, Sciascia und Camilleri verbindet: Er kehrt immer wieder zurück, wie ein in den Boden gebrannter Buchstabe. Wäre Italien aus Worten, Sizilien wäre ein rückwärts gerichtetes Alphabet. Beginnend in den Tiefen der Minen mit dem Z für Schwefel und endend mit dem A für Amerika, dem gelobten Land, das Horizonte und Träume von gesellschaftlicher Erlösung eröffnet. Das passiert, wenn Dinge zu komplex sind, um sie zu erklären: Um sie zu entziffern, muss man sie auf das Wesentliche reduzieren, sie in Lemmata verwandeln. Vereinfachen, ja, aber nur scheinbar. Denn in dieser minimalen Ordnung ist jeder Buchstabe eine Zündschnur: Man muss ihn nur benennen, und alles explodiert. Von dieser Intuition leitete sich die Repubblica Palermo anlässlich des 100. Geburtstags von Andrea Camilleri, als sie „Le parole di Camilleri“ veröffentlichte: ein sentimentales Wörterbuch, das versucht, ein Universum in 24 Einträgen zusammenzufassen, von A wie Arancini bis Z wie Zolfo. Nicht um es auf einen Rahmen zu beschränken, sondern um Nebenpassagen zu öffnen und Geschichten, Erinnerungen und Obsessionen an die Oberfläche zu bringen. Ein sehr ernstes Spiel, das in einer kleinen sizilianischen Tradition verwurzelt ist, die von Leonardo Sciascia mit Pirandellos Alphabet eingeführt und später von Matteo Collura mit dem Heretic Alphabet, später umbenannt in Sciascia Alphabet, in eine Methode umgewandelt wurde.
Schwefel bleibt der Schnittpunkt. Für Pirandello ist er eine Familienangelegenheit und eine persönliche Wunde. Sein Vater, Don Stefano, setzt alles auf die Schwefelmine von Aragona: ein Wagnis, das auch die Mitgift von Antonietta Portulano, genannt Nietta, verschlingt – siebzigtausend Lire, die unter Tage verbrannt wurden. Dieser Misserfolg ist nicht nur finanzieller Natur: Er zerstört Hoffnungen, weckt Groll, hinterlässt Narben in Niettas fragilem Geist und verwandelt einen Traum vom Aufstieg in einen Ruin. Es ist genau das Material, das Sizilien ernährt: gelbes Gold, das Reichtum verspricht und Elend bringt, ein Symbol eines Fortschritts, der gerade dann zerbricht, wenn er zum Greifen nah scheint. Die einstürzende Mine spiegelt das Schicksal einer fragilen Bourgeoisie wider, die bereit ist zu träumen, aber nicht in der Lage ist, der Wucht standzuhalten. Pirandello lernt früh: Das Leben kann plötzlich zusammenbrechen, wie ein Tunnel, der nachgibt. Und alles dringt in seine Vorstellungskraft ein – der Staub der Eingeweide, der Schweiß der von der Dunkelheit gebeugten Männer, das dumpfe Dröhnen der Einstürze – und verwandelt sich in eine Allegorie der menschlichen Existenz. Dort, wo Sizilien zusammenbricht, findet sein Theater seine authentischsten Wurzeln.
Schwefel, das gelbe Gold, das Reichtum verspricht und Elend bringt. Die einstürzende Mine spiegelt das Schicksal eines fragilen Bürgertums wider.
Für Sciascia ist Schwefel ein familiäres und kollektives Schicksal. Sein Großvater war ein Carusu, später Vorarbeiter und Angestellter. Sein Vater arbeitete in derselben Mine, ebenso wie sein Bruder Giuseppe, der mit 25 Jahren während eines Streiks der Schwefelbergarbeiter in der Gegend von Assoro in der Provinz Enna Selbstmord beging, indem er einen Kopfschuss abgab. „Vielleicht ist genau dieser Tod die Wurzel seiner moralischen Unruhe“, schreibt Collura. Es ist nicht nur ein biografisches Detail: Es ist der Hintergrund eines ganzen Werks. Denn, so Sciascia, „ohne das Abenteuer der Schwefelmine hätte es kein Abenteuer des Schreibens, des Erzählens gegeben.“ Die Mine ist die Linse, durch die er Ungleichheit, ausgebeutete Arbeit und die Verzweiflung eines Volkes, das gezwungen ist, unter der Erde zu leben, verstehen kann. Collura verknüpft in seinem Alphabet die beiden Schicksale mit den Worten von Sciascias Tochter Anna Maria: „Beide sind Kinder des Schwefels, mit einem Unterschied: Die Pirandellos verwalteten die Minen, die Sciascias arbeiteten darin. Zwei Tragödien spielen sich in den beiden Familien im Schatten des Schwefels ab: Antoniettas Wahnsinn, Giuseppes Selbstmord.“ An diesem Bruch messen sich zwei unterschiedliche Formen der Literatur: Pirandello verwandelt den Ruin in eine Metapher für die Zerbrechlichkeit des Selbst, Sciascia verwandelt Trauer in kritisches Bewusstsein. Für beide bleibt die Mine jedoch ein Symbol der Vernichtung, eine dunkle Matrix, aus der das Bedürfnis zu schreiben erwächst.
Bei Camilleri hingegen ist Schwefel eine genealogische Wurzel, die zum kollektiven Gedächtnis wird. Die Verbindung geht auf seinen Großvater Giuseppe zurück, der Carmelina Fragapane in einer „Surfaro-Ehe“ heiratete: einer Verbindung zwischen Familien kleiner Unternehmer, die mit den Minen verbunden waren. Sie sollte ein Sprungbrett zum Wohlstand sein, erwies sich jedoch als Illusion, die durch die Dominanz großer ausländischer Unternehmen, der Anglo-Sicilian Sulphur Company der Inghams und der Florios, schnell zerstört wurde. Von da an folgte eine schleichende Verarmung: Die Familie Camilleri glitt in das ab, was Andrea „würdige Armut“ nennt, das Kennzeichen einer Bourgeoisie, die den Fortschritt gestreift hatte, ohne ihn jemals wirklich zu begreifen. In seinen Romanen erscheint Schwefel nicht als private Wunde oder bürgerliches Schicksal, sondern als gemeinsame Erinnerung: als Geruch, als Staub, der die Worte der Figuren durchdringt, als Narbe aus einer Vergangenheit, die noch immer auf der Gegenwart lastet. Es ist die Chorstimme eines Landes, das nicht vergisst. Gaetano Savatteri, der das Vorwort zu Camilleris Alphabet schrieb, erklärt es unverblümt: „Das Z von Sulfur ist für Camilleri, Sciascia und Pirandello von zentraler Bedeutung. Die Schwefelbergleute erhielten jede Woche den richtigen Betrag. Samstags kaufte er neue Kleidung, spielte Zecchinetta und trank in der Taverne. Dann ging er wieder unter Tage, voller Angst, nie wieder hochzukommen. Die Schwefelbergleute lebten in absoluter Verzweiflung.“
Während sich im Schwefel die drei Alphabete begegnen, trennen sie sich bei den Frauen. Bei Pirandello ist das N von Nietta die intime Wunde, die ein ganzes Drama prägt. Sciascia stellt es in den Mittelpunkt seines Alphabets: „Nietta, die Ehefrau, ist der Wahnsinn, der gräbt, aber auch die Treue eines Mannes, der niemals aufgibt.“ Pirandello bleibt bis zum Ende an ihrer Seite. Die in seinen Werken wiederkehrenden Frauenfiguren weisen dieselben Risse auf: von der zerbrechlichen und verletzten Protagonistin in „Dressing the Naked“ bis zu Signora Ponza in „Così è (se vi pare)“, die die Unmöglichkeit verkörpert, eine einzige Wahrheit zu begreifen. In Nietta liegt der Keim von all dem: kein abstraktes Symbol, sondern ein persönlicher Schmerz, der zu einer universellen Allegorie wird.
Für Sciascia sind Frauen jedoch weder Wunden noch Obsessionen, sondern moralische Genealogie. All das kommt von seinen Tanten, „starken Frauen, mit wenig Zärtlichkeit und viel Festigkeit: Von ihnen lernte Sciascia, keine Nachsicht zu gewähren“, schreibt Collura. Abgeschiedene, strenge Figuren, Hüterinnen von Disziplin und kritischem Denken, „lebten sie in einer Welt der Nüchternheit und Stille, die tiefere Spuren hinterlassen konnte als viele Worte.“ Sie werden nicht zu fiktiven Figuren, sondern bleiben private Wurzeln, die ein öffentliches Gewissen nähren. Bei Camilleri ändert sich das Szenario. In seinen Romanen sind Frauen Nebenfiguren. Elvira Seminara, am vierten Buchstaben des Alphabets, zerlegt sie und setzt sie neu zusammen: „Keine Protagonisten, sondern Nebenfiguren, mal Stereotypen, mal Ausbrüche von Vitalität.“ Livia bleibt Distanz statt Handlung. Die anderen erscheinen und verschwinden. Es gibt keine Nachsicht, noch den Wunsch, sie zu Heldinnen zu erheben: Sie sind schräge Spiegel, Fragmente, die aufleuchten und erlöschen. Camilleri lässt sich hier nicht lumpen: Er liefert eher glaubwürdige als erlösende Charaktere, Beziehungen, die mit der Zeit zerbrechen, wie die von Livia, oder in schnellen, sinnlichen Begegnungen verpuffen und spurlos verschwinden. Wenn eine Frau auftaucht, tut sie dies, um das Gefühl eines Alltags aus Körpern, Begierden und Eifersucht zu vermitteln. Tuschepinselstriche, die die Seiten kurz erhellen, bevor sie in den Schatten verschwinden und den Leser dazu zwingen, anderswo nach dem Mittelpunkt zu suchen.
Sprache ist das andere entscheidende Terrain. Pirandello untergräbt sie von innen: Für ihn sind Worte Täuschung, eine instabile Oberfläche, die nie mit der Wahrheit übereinstimmt. Sie beschreiben nicht, sondern verraten; sie sind ein ständiger Kurzschluss zwischen dem Gesagten und dem Gesagten. „Die menschliche Sprache haftet nie am Denken“, bemerkt Sciascia beim Lesen von Pirandello, und dieser Bruch wird zur treibenden Kraft seiner Dramaturgie: Identitäten, die zerbröckeln, Dialoge, die sich widersprechen, Worte, die Abgründe öffnen, anstatt sie zu schließen. Bei Pirandello scheinen Worte immer kurz vor dem Zerbrechen zu stehen. In seinen Texten „ist jedes Wort eine Maske, und hinter der Maske verbirgt sich eine weitere Maske.“ Sprache wird zum Spiegel des Relativismus: Sie vermittelt nie eine einzige Wahrheit, sondern zwingt den Leser, sich im Paradoxon zurechtzufinden.
Das Wort als instabile Oberfläche, die nie mit der Wahrheit übereinstimmt. Pirandello zerschmettert, Sciascia poliert, Camilleri erfindet.
Sciascia geht den entgegengesetzten Weg. Wenn Pirandello zerschmettert, poliert er. Seine Sprache scheint transparent, doch hinter dieser Klarheit verbirgt sich eine Klinge. Collura betont diesen Punkt: „Seine Prosa ist schnörkellos, trocken, fast reduziert.“ Jedes Wort ist gewählt, um zu treffen, nicht um zu unterhalten. Es ist die Sprache der Anklage, der Wahrheit, die nicht tröstet, der Nachrichten, die zu Literatur werden, ohne ihre Präzision zu verlieren. Der Rhythmus ist der einer Aussage, die Wirkung die einer Verurteilung. Sprache wird zu einem zivilen Akt. Jedes Wort ist gewählt, jeder Satz ein scharfer Schlag. Es gibt keine Selbstgefälligkeit oder Barockität: Das Vorbild ist die Prosa der Aufklärung, die Mehrdeutigkeiten minimiert, um Schattenseiten zu beleuchten. Sciascia selbst betont sein Bedürfnis nach Klarheit: „Ich schreibe, um zu verstehen und verstanden zu werden.“ Doch hinter der Klarheit verbirgt sich ein kritischer Hieb. In Romanen wie „Der Tag der Eule“ oder „Jedem das Seine“ offenbart sich die Doppelzüngigkeit der Macht in der Sprache: in den Halbsätzen der Politiker, im Schweigen der Richter, in den Worten, die der Bequemlichkeit dienen. Sciascia begegnet dieser korrupten Sprache mit seinem klaren, fast mathematischen Schreibstil.
Und dann ist da noch Camilleri, der die Perspektive erneut umkehrt. Seine Sprache ist weder Korrosion noch Gravur, sondern Erfindung. Vigatese – diese Mischung aus sizilianischem und italienischem Dialekt – ist der entscheidende Schritt: kein Lokalkolorit, sondern ein nationaler Erzählcode. Kein Glossar, keine Übersetzung, und doch versteht es jeder. Denn diese Mischung klingt natürlich, stellt Rhythmus und Konkretheit wieder her und bringt die Sprache einer ganzen Gemeinschaft aufs Papier. Nicht zufällig findet sich unter den Wörtern seines Alphabets „Cabbasisi“, der Lieblingsausdruck von Dr. Pasquano, dem mürrischen Gerichtsmediziner, der mit Montalbano zusammenarbeitet: Aus einem Volksausbruch wird ein gemeinsames Erbe. Und dann ist da noch „Koinè“, das erklärt, warum seine Sprache „ein lebendiger Körper ist, eine Mischung, die sich überall verständlich machen kann“. Der Vergleich ist krass. Pirandello demonstriert den Bruch zwischen Wort und Wirklichkeit, Sciascia nutzt Sprache als Instrument bürgerlicher Wahrheit, Camilleri erfindet sie als demokratisches Labor neu. Drei Linien, die sich nicht überschneiden, sondern kreuzen, weil sie alle von derselben Prämisse ausgehen: Worte sind nie unschuldig. Im Vigatese-Dialekt, der zwischen den Seiten explodiert, in der trockenen Prosa, die die Mächtigen anprangert, in den Dialogen, die Lügen entlarven, ist Sprache kein Ornament, sondern Substanz. Und vielleicht auch eine politische Geste: Sie zeigt, dass Italien kein Monolith, sondern eine Pluralität ist. Hier werden Alphabete zu mehr als literarischen Spielen: Sie sind Röntgenaufnahmen der Beziehung zwischen Autor und Sprache, Landkarten eines Territoriums, in dem das Wort immer eine Frage des Lebens, der Macht, der Identität ist.
Die Bedeutung der drei Alphabete: keine Autorenkompendien, sondern kritische Karten, keine Stilübungen, sondern Möglichkeiten, Sizilien und Italien als Ganzes zu lesen.
Aber warum ein Alphabet? Weil Sizilien, um gelesen zu werden, Wörter braucht, die sowohl Blitze als auch Risse sind. Collura erklärt: „Es ist eine Feinabstimmung, eine Lupe für die Gedankenfalten, ein Schlüssel zum Lesen der Realität. Natürlich ist es auch ein Spiel, aber eines, das uns hilft, die Welt besser zu verstehen.“ Ein Spiel, das jedoch keine Frivolität duldet: Um ein Alphabet zu erstellen, muss man auswählen, verwerfen. Es ist eine akribische Forschungsarbeit: das Meer der Wörter durchforsten und diejenigen auswählen, die ein ganzes Universum erhellen können. Es geht nicht um Vereinfachung, sondern um Tiefe. Mit einem Vorteil. „Die Gedanken und die Biografie eines Schriftstellers ordnen, mit dem Anspruch auf Vollständigkeit: versuchen, das schwer Fassbare zu erfassen, ein Universum zu verdichten, das in sich unerschöpflich ist“, erklärt Savatteri. Das Alphabet funktioniert, weil es Parteilichkeit akzeptiert: Es sagt nicht alles, aber es öffnet Türen. Jeder Eintrag ist ein Eingang, jeder Buchstabe ein Dietrich. Und diese Türen, eine nach der anderen geöffnet, führen immer wieder zu einer grundlegenden Tatsache zurück: drei Schriftsteller, drei Städte, zwanzig Kilometer voneinander entfernt. „Pirandello stammte aus Agrigent, Sciascia aus Racalmuto und Camilleri aus Porto Empedocle“, erinnert sich Savatteri. „Zufall? Camilleri hatte die Antwort: Nein, denn Schreiben kostet nichts. Armut ist ein dramatisches und privilegiertes Beobachtungsobjekt.“
In dieser engen Nähe verstehen wir die Bedeutung der drei Alphabete: keine Kompendien oder Autorenhandbücher, sondern kritische Karten, keine Stilübungen, sondern Möglichkeiten, Sizilien und dadurch Italien als Ganzes zu lesen. Für Pirandello bedeutet Benennen, das zerbrochene Selbst freizulegen; für Sciascia, Macht zu demaskieren; für Camilleri, einer Gemeinschaft wieder eine Stimme zu geben. Drei verschiedene Alphabete, aber angetrieben von derselben Überzeugung: dass Worte niemals neutral sind. Pirandello wusste es, Sciascia wusste es, Camilleri wusste es. Und so bleibt nur eines: weiter zu benennen. Jeder Buchstabe ist ein Funke, jede Stimme eine Wunde, die sich wieder öffnet, jedes Wort eine Möglichkeit, die Gegenwart zu betrachten. Wenn Italien aus Worten besteht, bleibt Sizilien sein rastlosestes und notwendigstes Alphabet.
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