Margiela Couture hat einen in der Zeit verlorenen Moment wiederbelebt

Die Margiela-Kunsthandwerksschau begann im Dunkeln. Sie bot eine leere Tafel – oder ein schwarzes Loch – für das Potenzial, das vor ihr lag. Und Glenn Martens' Debüt nutzte dieses Potenzial zweifellos. Der belgische Designer ist der dritte Kreativdirektor in der Geschichte des Hauses, und seine Kollektion ist die erste Kunsthandwerkskollektion seit der sofort kanonisierten Frühjahrsvorstellung 2024 – keine leichte Aufgabe für ein heißgeliebtes und geschütztes Erbe.
Während die Lichter an den Wänden in Pappmaché-Optik aufleuchteten, kamen mehrschichtige Tapetendrucke und Bilder von Stuckarbeiten zum Vorschein, die sich von einem weit entfernten, imaginären Verfall ablösten. Wer sich zu stark anlehnt oder zu genau hinschaut, könnte die Illusion zu Staub zerfallen lassen. Unter den Trümmern? Ein potenzieller Fundus an Design – ein Hinweis darauf, dass die Einladung in Form eines Vintage-Löffels, der auf dem Instagram-Account des Hauses aus Blumenpapier ausgegraben wurde, einen Hinweis lieferte.

Die Kulisse und die Kollektion vermittelten ein Gefühl von Antike, lose verbunden mit ihren Anfängen und zerbrechlich durch den Lauf der Zeit. Die umhüllenden Masken, die jedes Gesicht der Models schmückten und direkt an die erste Show des Hauses im Frühjahr 1989 erinnerten, erweckten Margielas Ursprünge wieder zum Leben. Einige bestanden aus gelöteten Metallen, andere aus Tüll oder dick mit Juwelen besetzt. Sie mögen den Träger verhüllt und Martin Margielas fortwährendes Streben nach Anonymität angedeutet haben, doch für einen Betrachter verdienten sie eine genauere Betrachtung, schon allein, um die künstlerische Absurdität zu würdigen, die Models in einen Mann mit der eisernen Maske zu verwandeln. in der Pariser Sommerhitze.
Der erste Look war ein mutiges, plastisches Statement – ein transparentes Kleid mit überschüssigem Stoff im Rock und in den Taschen verstauten Händen, was einen durchsichtigen Muff-Effekt erzeugte und eine Anspielung auf die Herbstkollektion 1998 darstellte. Das plastische Motiv setzte sich fort, sowohl über ansonsten nackten Körpern als auch direkt über den Schultern der steif bemalten, wunderschönen Kreationen. Sie ähnelten auf krasser Weise einer Couture-Reinigungstasche oder, eleganter, einer vakuumversiegelten Hülle, die das Darunterliegende schützte.


Die Balance fand sich in den Extremen. Von voller, fast schon erschütternder Transparenz ging die Kollektion gekonnt in geraffte, flüssig-metallische Kleider über, die schwungvolle, umhüllende und fremdartig anmutende Formen schufen. Obwohl dies Martens' erstes „offizielles“ Couture-Debüt ist, erinnerten die Materialien sofort an seine Laufsteg-Kooperation mit Jean Paul Gaultier – eine Zusammenarbeit, die nie wirklich die Aufmerksamkeit erhielt, die sie verdiente, als die Welt die Pandemie hinter sich ließ. Zum Glück war sie nun wieder in ihrer vollen, atemberaubenden Pracht zu sehen.
Manche Stücke waren übertrieben mit Verzierungen überladen und so reich mit Juwelen besetzt, dass man den Eindruck hatte, direkt in eine Schatztruhe zu blicken. Auch die schiere Schwere der Kunstfertigkeit war deutlich zu erkennen; die Models schwankten beim Gehen. Zwei vollständig verhüllte Looks erzeugten eine unheimliche Illusion von Nacktheit, die sich irgendwie ebenso einengend anfühlte wie der schwere Schmuck. Auf der anderen Seite umspielten hauchzarte Tüllgewänder den Körper und malten einen Heiligenschein aus illusionären Bildern, von denen viele auf die malerische Handschrift von Gustave Moreau verweisen. Die Überlagerung erinnerte zudem an John Gallianos kunstvolle Frühjahrskollektion 2017, bei der windgepeitschte Tüllgesichter, modelliert von Benjamin Shine, über den Laufsteg schwebten.


Auf dieser Reise durch die Gegensätze fand sich jedoch im Zerbröckeln dazwischen eine wahrhaft atemberaubende Schönheit. Schwere, abblätternde Lederjacken schleppten sich über den Laufsteg – erneut eine Hommage an Martins handwerkliche Zerstörungskunst. Unter dem Couture-Überrest verbarg sich eine so subtile Geste, dass sie die Kleider unmissverständlich zum Leben erweckte: In rote Farbe getauchte Finger steckten durch einen Schlitz, um die Jacken geschlossen zu halten, als wären sie nur für einen Spaziergang an einem kühlen Tag.
Es gab weitere plötzliche Brüche in den komplexen Designs. Es gab eine bemalte „Light Wash Jeans“ mit Cowboystiefeln und freiem Oberkörper unter einer Anzugweste. Alles war nach Couture-Standards gefertigt, und das Pendel hörte nie auf zu schwingen.
Die Kollektion schloss mit einem chartreusefarbenen Kleid ab, dessen Rüschenoberteil und gartenartige Maske ein ausdrucksstarkes Ausrufezeichen für ein atemberaubendes Debüt bildeten, das geradezu vor Ideen übersprudelte. Sollte es Zweifel daran gegeben haben, dass Martens auf einer solchen Bühne erfolgreich sein könnte, so waren diese sofort ausgeräumt. Der Designer blühte im Rampenlicht auf und brachte den lang ersehnten Wow-Effekt zurück auf die Bühne.
Alexandra Hildreth ist Moderedakteurin bei ELLE. Sie ist fasziniert von Modetrends, Branchenneuigkeiten, Umbrüchen und der Serie „The Real Housewives“ . Zuvor besuchte sie die University of St Andrews in Schottland. Nach ihrem Abschluss zog sie zurück nach New York City und arbeitete dort als freie Journalistin und Produzentin.
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