Fünf Streitpunkte des nächsten 1,2-Billionen-Euro-EU-Haushalts

Der langfristige Haushalt der EU, der 2028 in Kraft treten soll, muss umfassend überarbeitet werden – und stößt auf entsprechende Gegenwehr.
Der aktuelle mehrjährige Finanzrahmen (MFR) wurde für Zeiten ohne große Veränderungen entworfen. Diese Zeiten sind jedoch vorbei, und mit ihnen auch der EU-Haushalt, wie wir ihn kennen. Die Herausforderungen sind jetzt größer denn je: Einerseits ist Europa mit einer Investitionslücke von mindestens 750 Milliarden Euro pro Jahr konfrontiert, andererseits baut es seine Verteidigungsfähigkeiten mit einem neuen Aufrüstungsplan in Höhe von 800 Milliarden Euro aus.
Die Kommission wird den Großteil ihres neuen Haushaltsvorschlags am 16. Juli vorlegen und damit mehr als zwei Jahre schwieriger Verhandlungen einläuten. Das Ergebnis dürfte sowohl die Ausgabenprioritäten der EU als auch ihr Verständnis davon, was wichtig ist, radikal neu definieren.
Im Folgenden sind die fünf wichtigsten Debatten aufgeführt, die den nächsten EU-Haushalt prägen werden.
Umfang: Wie viel Geld?Ab 2028 werden die EU-Staaten mit der Rückzahlung des 650 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU beginnen. Sie werden dazu jährlich rund 30 Milliarden Euro aufbringen müssen, was etwa einem Fünftel ihres Jahresbudgets entspricht.
Dies könnte die Ambitionen der EU untergraben – insbesondere für Länder, die bereits jetzt Schwierigkeiten haben, ihre Haushalte auszugleichen. Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn weisen Defizite auf, die so hoch sind, dass sie EU-Sanktionen nach sich ziehen könnten.
Frankreich und Spanien haben eine Verdopplung des MFR gefordert und selbst das traditionell sparsame Dänemark ist einer Erhöhung gegenüber aufgeschlossen.
Technisch gesehen wäre es am einfachsten, nicht die EU-Länder um mehr Geld zu bitten, sondern der EU eigene Einnahmequellen zu verschaffen, beispielsweise in Form einer EU-weiten CO2-Steuer. In der Praxis ist jedoch ein entsprechender Vorschlag zur Besteuerung von Emissionen und Unternehmensgewinnen auf Grundlage der EU-Einnahmen seit 2023 im Rat blockiert.
Neue Einnahmen bedeuten nicht automatisch, dass die EU insgesamt mehr ausgeben wird. So sieht Deutschland beispielsweise „keine Grundlage” für eine Aufstockung des MFR, ist aber offen für neue Vorschläge zur Mittelbeschaffung.
In jedem Fall werden die Diskussionen über die Höhe „blutig” werden, sagte der dänische EU-Botschafter Carsten Grønbech-Jensen kurz vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft im Juli. Wenn sich die EU-Länder nicht auf eine Aufstockung durch neue EU-Mittel einigen können, könnte der Kampf um die bestehenden Mittel noch härter werden.
Auch wenn die Verhandlungen über die Gesamtgröße des nächsten EU-Haushalts unter dänischer Ratspräsidentschaft möglicherweise nicht abgeschlossen werden, wird laut Grønbech-Jensen der Schwerpunkt vor allem auf der Struktur liegen.
Kohäsion: Reformen gegen Geld und Verteidigung als SchwerpunktDie Kohäsionsfonds, die fast ein Drittel des aktuellen EU-Langzeitbudgets ausmachen, sollen ärmeren Regionen Europas dabei helfen, wirtschaftlich aufzuholen.
Nun will die Kommission jedoch sowohl die Verteilung der Gelder als auch deren Verwendung grundlegend ändern.
Die erste Änderung ist politischer Natur. Die Regionen sollen Geld erhalten, wenn sie von Brüssel genehmigte Reformen umsetzen. Diese Reformen sollen durch neue regionale und nationale „Partnerschaften“ koordiniert werden.
Im Oktober wurde ein internes Dokument enthüllt, aus dem der Plan der Kommission hervorging, das Modell des COVID-19-Wiederaufbaufonds zu kopieren und die Agrarfonds, die GAP und die Kohäsionsgelder zu 27 nationalen, reformorientierten Geldtöpfen zusammenzufassen. Dies hätte die Regionen drastisch entmachtet und den Einfluss Brüssels auf ärmere Länder erhöht.
Obwohl diese Idee auf massiven Widerstand stieß, lebt sie zumindest teilweise durch die neuen regional-nationalen Partnerschaften weiter. Die entscheidende Frage ist, ob die Regionen zugunsten von Top-down-Verhandlungen zwischen Brüssel und den nationalen Hauptstädten an den Rand gedrängt werden.
Der zweite Wandel ist strategischer Natur. Die EU-Kommission möchte die Kohäsionsfonds in die Bereiche Verteidigung sowie strategische Technologien wie KI und Biotechnologie umleiten.
Dies würde einen Bruch mit dem derzeitigen Ansatz der „intelligenten Spezialisierung” bedeuten. Dieser ermutigt jede Region, in Bereiche zu investieren, die auf ihre Stärken zugeschnitten sind.
Die Umschichtung der Kohäsionsfonds in EU-weite Prioritäten „ohne Einschränkungen hinsichtlich der geografischen Lage oder der Größe der Unternehmen”, wie die Kommission es beschreibt, dürfte die Kernaufgabe der Fonds verwässern: den Abbau regionaler Ungleichheiten.
GAP: Reformieren und kürzen?Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die mit fast einem Drittel den größten Posten im EU-Haushalt ausmacht, ist die Beihilfe der EU für Landwirte. Sie ist derzeit in Direktzahlungen (79 Prozent) und Beihilfen für ländliche Gebiete (21 Prozent) aufgeteilt.
Einflussreiche Agrarlobbys in ganz Europa lehnen eine Zusammenlegung dieser beiden Säulen, die Integration der GAP in umfassendere Kohäsionsfonds oder eine Kürzung der Gesamtbeihilfen entschieden ab.
Doch genau das scheint die Kommission anzustreben. Der Anteil des Agrarfonds am EU-Haushalt ist stetig zurückgegangen und laut Euractiv rechnen Insider mit einer Kürzung der Subventionen um 15 bis 20 Prozent im nächsten Zyklus.
Dies würde heftigen Widerstand von Ländern wie Frankreich auslösen, wo die GAP politisch unantastbar ist. Unterdessen haben deutsche Landwirte kürzlich Erfolge in ihren nationalen Haushalten erzielt und richten nun ihre Aufmerksamkeit auf Brüssel.
Angesichts der nationalen Kontroversen dürfte jede Reform Zeile für Zeile umstritten sein.
Wettbewerbsfonds: Die Draghi-ReformDer Europäische Wettbewerbsfonds (ECF) ist Ursula von der Leyens neues Vorzeigeprojekt zur Förderung der gesamten Innovationskette – von der angewandten Forschung bis hin zu Start-ups. Durch diesen Schritt würden dreistellige Milliardenbeträge aus mehr als zehn zweckgebundenen Haushaltslinien in einem flexiblen Topf zusammenfließen.
Die Kommissionspräsidentin erklärte, das derzeitige Forschungsprogramm „Horizont“ mit einem Volumen von 94 Milliarden Euro werde eigenständig bleiben, aber mit dem ECF „eng verknüpft“ sein.
Diese Zusicherung ist ein Teilerfolg für die Wissenschaft, die befürchtet, dass die langfristige, basisorientierte und fachwissenbasierte Förderung unter der strategischen Führung von der Leyens kurzfristigen, von oben vorgegebenen politischen Prioritäten weichen könnte. Die EU-Kommission hat jedoch bereits einen Vorschlag vorgelegt, um „Horizont” für verteidigungsbezogene Forschung zu öffnen.
Was den Umfang angeht, forderten Draghi und die Expertenbewertung von „Horizont“ eine mehr als doppelt so hohe Mittelausstattung für „Horizont“, aber Forschungskommissarin Zaharieva sagte, dies sei nicht realistisch.
Gesundheits- und Klimaprogramme, die derzeit von vorhersehbaren, zweckgebundenen Mitteln profitieren, könnten im Rahmen der umfassenderen Wettbewerbsfähigkeit ihre Budgets gekürzt oder umgeschichtet sehen.
Die Länder sind zwar bestrebt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken, sie werden jedoch auch daran gemessen, ob sie bereit sind, Geld zu investieren, alte Programme und Prioritäten aufzugeben und der Kommission mehr Entscheidungsfreiheit einzuräumen.
Flexibilität: Wie viel Macht für Brüssel?Von der Leyen strebt insgesamt weniger Haushaltslinien mit mehr Flexibilität innerhalb und zwischen den einzelnen Posten sowie möglicherweise einen fünfjährigen statt des derzeitigen siebenjährigen Haushaltszyklus an.
Nicht vorab zugewiesene Mittel gelten jedoch oft als politisch unzuverlässig, insbesondere für langfristige Prioritäten wie die Grundlagenforschung.
Gleichzeitig könnten die EU-Länder die vorgeschlagene Reform als Machtübernahme betrachten und die Abgeordneten werden sich für eine vollständige Kontrolle über künftige Ausgabenentscheidungen einsetzen.
Es besteht breiter Konsens darüber, dass die EU einen schlankeren, agileren Haushalt braucht, um neue Prioritäten wie Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit anzugehen. Doch die EU ist eine schwerfällige Maschine und immer in Gefahr, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen.
(mm)
euractiv