Paracetamol in der Schwangerschaft: Steigert die Einnahme das Autismusrisiko?

Das Schmerzmittel Tylenol gerät ins Visier der US-Regierung von Donald Trump. Wie die „Washington Post“ berichtet, will die Regierung am Montag eine Erklärung veröffentlichen, in der die Einnahme des Medikaments durch Schwangere mit einem erhöhten Autismusrisiko für deren ungeborene Kinder verknüpft wird. Eine Warnung, die sämtlichen medizinischen Leitlinien widerspricht.
In Deutschland ist Tylenol besser bekannt als Paracetamol. Es gilt als „bewährtes und gut verträgliches“ fiebersenkendes und schmerzstillendes Arzneimittel, so schreibt es die Datenbank Embryotox, die vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin entwickelt wurde. Seit Ende der 1950er-Jahre ist das Medikament rezeptfrei in den Apotheken erhältlich. Bei Schmerzen und hohem Fieber sei es für Schwangere und werdende Mütter das Mittel der Wahl, so Embryotox.

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Die Debatte darüber, ob Tylenol (beziehungsweise Paracetamol) das Autismusrisiko erhöht, ist nicht neu. Auch in der Wissenschaft gibt es immer wieder Diskussionen über die genauen Zusammenhänge. Bis heute ist die Studienlage jedoch widersprüchlich.
Im vergangenen Jahr erschien etwa eine Studie, bei der fast 2,5 Millionen Kinder in Schweden untersucht wurden. Bei etwa 7,5 Prozent der Kinder hatten die Mütter während der Schwangerschaft Paracetamol geschluckt. Die Forschenden konnten jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol und neurologischen Entwicklungsstörungen wie Autismus oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) erkennen.
Untersucht wurden explizit auch Geschwisterpaare. Es zeigte sich, dass es bei ihnen keine Unterschiede gab, wie häufig Autismus vorkam – unabhängig davon, ob die Mutter Paracetamol eingenommen hatte oder nicht.
Als Autismus beziehungsweise Autismus-Spektrum-Störungen werden neurologische Entwicklungsstörungen bezeichnet, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Menschen mit Autismus fällt es schwer, normale soziale Beziehungen aufzubauen, Gefühle und Bedürfnisse von anderen zu verstehen oder ihre eigenen auszudrücken. Auch Kommunikationsprobleme können auftreten: Menschen mit Autismus lernen später sprechen oder sprechen gar nicht mit anderen, wiederholen bestimmte Wörter oder Sätze, oder haben eine monotonere Sprachmelodie. Hinzukommen können noch andere Beeinträchtigungen wie Schlaf-, Ess- oder Zwangsstörungen, Depressionen oder ADHS. Autismus ist angeboren – wie es entsteht, ist aber bis heute nicht genau verstanden. Etwa einer von 100 Menschen in Deutschland hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Bei Jungen und Männern wird Autismus doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Mädchen und Frauen.
Zu einem anderen Ergebnis kam jüngst ein Forscherteam um den Molekularepidemiologen Diddier Prada von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York. Die Forschenden werteten 46 Studien aus, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus beschäftigt hatten. 27 davon berichteten über ein erhöhtes Autismusrisiko, neun zeigten keine Zusammenhänge und vier kamen sogar zu dem Schluss, dass Paracetamol eine schützende Wirkung hat. Dass das Medikament neurologische Entwicklungsstörungen wie Autismus direkt verursacht, konnte keine der Studien nachweisen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass qualitativ hochwertigere Studien eher einen Zusammenhang zwischen pränataler Paracetamol-Exposition und einem erhöhten Risiko für Autismus und ADHS nachweisen“, wird Prada in einer Pressemitteilung zitiert. „Angesichts der weitverbreiteten Verwendung dieses Medikaments könnte selbst eine geringe Risikoerhöhung erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben.“ Er und sein Team fordern deshalb „eine vorsichtige, zeitlich begrenzte Anwendung von Paracetamol während der Schwangerschaft unter ärztlicher Aufsicht“.

Die Autismus-Spektrum-Störung gehört zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Weltweit sind circa 1 bis 1,5 Prozent der Menschen aus dem autistischen Spektrum. Aber wie zeichnet sich Autismus aus, wie wird die Störung diagnostiziert und wie entsteht sie?
Studien, die einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus sehen, müssten kritisch bewertet werden, meinen die Fachleute von Embryotox. Und zwar aus mehreren Gründen: So würden andere Ursachen wie genetische Faktoren oder mütterliche Vorerkrankungen oft „nur unvollständig erfasst“; die Dosis oder auch die Dauer der Paracetamol-Einnahme variierten in den Studien; und die statistische Signifikanz der beobachteten Zusammenhänge sei in vielen Untersuchungen „grenzwertig“. Einige Arbeiten würden zudem nahelegen, dass sich das Autismusrisiko bei Kindern ähnlich erhöht, wenn der Vater vor der Schwangerschaft Paracetamol einnimmt.
Wie es zu neurologischen Entwicklungsstörungen wie Autismus kommt, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Auch die USA wollen in dieses Forschungsfeld investieren – denn die Zahl der Betroffenen steigt. US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. hatte in der Vergangenheit von einer „Autismus-Epidemie“ in den USA gesprochen, die durch „Umweltschadstoffe“ ausgelöst werde. Daten des Autism and Developmental Disabilities Monitoring Network zeigen unter anderem, dass die Zahl der Autismus-Fälle unter Achtjährigen kontinuierlich steigt:
Kennedy hat wegen dieser Entwicklung ein neues Projekt in die Wege geleitet: die Autism Data Science Initiative. Rund 50 Millionen US-Dollar will er für die Erforschung von Autismus bereitstellen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters haben sich schon mehr als 100 Forschungsprojekte für diese Förderung beworben. Bis Ende September sollen davon 25 ausgesucht werden.
Ihre Hoffnung setzen die USA auch in das Medikament Leucovorin. Einzelne kleinere Studien hatten bei Kindern mit Autismus Verbesserungen im Sprach- und Kommunikationsvermögen gezeigt – allerdings gelten diese Ergebnisse als vorläufig. Leucovorin wird etwa bei Chemotherapien eingesetzt, um deren Nebenwirkungen zu vermindern.
rnd