Giftige Clowns im Geheimdienst – Dreamteam Emma Thompson und Ruth Wilson gerät gemeinsam in Teufels Küche

Mick Herron ist offenbar von tiefen Zweifeln an britischen Geheimdiensten erfüllt. Davon zeugt seine „Slough House“-Romanreihe, in der berufliche Totalausfälle des MI-5 in einer Außenstelle geparkt werden und sich aufs Chaotischste bewähren, während erfolgreichere Versager in der Zentrale am Regent’s Park unbehelligt Unheil stiften können.
Aus den Büchern, das neunte, „Clown Town“, kam im September heraus, hat der Comedian Will Smith (nicht der US-Schauspieler) eine zwischen Thrill und Britkomik bestens ausbalancierte Spionageserie gemacht. Gary Oldman spielt seit 2022 den sarkastischen „Slough House“-Leiter Jackson Lamb, Kristin Scott Thomas die Nummer 2 des MI-5, Diana Taverner. Und Mick Jagger singt den Titelsong. „Slow Horses“ ist eins der Kronjuwelen des Streamingdienstes Apple TV+.
Der heute 62-jährige, vielfach ausgezeichnete Herron, der weitgehend rummelfrei in Oxford lebt, schreibt, wie er dem „Guardian“ verriet, vorzugsweise „über Misserfolge (…) über Leute, deren Ambitionen vereitelt werden“. Außerdem erschafft er äußerst glaubwürdige weibliche Charaktere. Sein erstes Buch „Down Cemetery Road“ (2003), das erst am 22. Oktober bei Diogenes in deutscher Übersetzung erschien, hat gleich zwei Heldinnen.
Jetzt ist auch daraus eine Serie geworden. Die Restauratorin Sarah Trafford (im Buch die Hausfrau Sarah Tucker) und die Detektivin Zoë Boehm gehen dem Verschwinden der fünfjährigen Dinah nach. Und stechen in ein Geheimdienstnest. Die Agency ist gerade dabei, etwas mittels Sprengstoff und Patronen aus der Welt zu bomben und zu ballern.

Sarah und ihr Mann Mark geben eine Dinnerparty bei sich zu Hause, als das Nachbarhaus in die Luft fliegt. Fälschlich hält Sarah ein überlebendes Kind für das Mädchen, das am selben Tag einen Schmetterling vor ihrem Fahrrad gerettet hat. Sie will es im Krankenhaus besuchen, stößt dort und auch bei der Polizei auf Ignoranz, Leugnen, Geheimniskrämerei.
Ihr privates Umfeld hält ihre Geschichte für Hirngespinste einer überreizten Frau. Aber als Restauratorin hat sie bemerkt, dass Dinah aus einem Foto mit Feuerwehrkräften herausgepixelt wurde. Etwas ist oberfaul.
Mick Herron im September in der britischen Tageszeitung "The Guardian"
Sarah heuert einen Detektiv an (exzellent schrullig: Adam Godley), der später in seiner Detektei mit aufgeschlitzten Handgelenken gefunden wird. Das Messer lag neben der falschen Hand. „Er schien mir ein Mann zu sein, der nicht plante, sich die Handgelenke aufzuschlitzen“, versichert seine Ehefrau, die Detektivin Zoë Boehm. Aus Trauer und Schuldgefühlen (sie pflegt eine Affäre) heraus will sie Joes Mörder finden, zudem das kleine Mädchen, und so bringt sie eine professionelle Note in Sarahs Suche.
Ein Dreamteam: Ruth Wilson, die man aus Serien wie „Luther“, „The Affair“ und „His Dark Materials“ kennt, ist überaus sehenswert als Ottilie Normalverbraucherin, die damit klarkommen muss, in eine möglicherweise unüberlebbare Situation hineingeraten zu sein. Und die 66-jährige Emma Thompson hat mit Kurzhaarfrisur und im langen schwarzen Ledermantel einen Sex-Appeal wie nie, dazu ein scharfzüngiges Mundwerk, wie es Herrons Fans lieben.
Zoë Boehm, Privatdetektivin, über das Ableben ihres Ehemannes
Stückchen um Stückchen kommen die beiden Dinah und der Wahrheit näher. Menschen sterben, andere kehren von den Toten zurück. Die Gesuchte, so stellt sich bald heraus, ist ein Lockvogel, um das Geheimnis eines schrecklichen Menschenexperiments der Regierung endlich unter den Teppich kehren zu können. Sterben soll am Ende auch Dinah. Überhaupt: Alle sollen sterben.
Im Grunde ist das Muster ähnlich wie bei „Slow Horses“. Die Lage ist todernst, aber es werden immer wieder Dialogwitz, vergnügliche Sidekicks und humoristische Szenen eingebaut. Über weite Strecken funktioniert das auch hier. Vielleicht, weil einige der Verantwortlichen von „Slow Horses“ mitmischen.
Die britische Verteidigungsministerin über Geheimdienstchef C
Nicht aber Will Smith, der auch bei Staffel 6 und 7 seines Serienhits fehlen wird. Vielleicht erklärt das Fehlen des Emmy-Gewinners die Eindimensionalität zweier wichtiger Figuren.
Der MI-5-Obere, der Bond-mäßig „C“ genannt wird (Darren Boyd), ist ein Superschurke und Kriegsverbrecher, ein Herrenmensch ohne jeden Skrupel, über den selbst die neue Verteidigungsministerin sagt: „Gott, gibt der mir schwere Voldemort-Vibes.“
Der aber aus unerfindlichen Gründen an einem Volltrottel „im Feld“ festhält: Hamza Malik (Adeel Akhtar) ist eine dauervermasselnde Nullnummer, eine derartige Spionagekarikatur, dass ihm Lamb glatt den Zutritt zu seinem „Slough House“ der Nulpen versagen würde. Diese beiden Figuren tapern als Duo giftiger, aber Gott sei Dank höchst ineffizienter Clowns durch die acht Episoden.
Hat Herron, diesmal nicht als Berater, sondern als Produzent tätig, deren Leere nicht bemerkt?
Der Showdown „unten an der Friedhofstraße“ wirkt dann mit seinen höchst verkrampften Wendungen unfreiwillig komisch. Wenn die Bösen sich verquatschen und verquatschen, statt endlich mal zum mörderischen Punkt zu kommen, verliert man als Zuschauer irgendwann das Bangen um das Leben der Verfolgten.
Was tödlich ist für einen Thriller.
„Down Cemetery Road”, erste Staffel, acht Episoden, nach dem gleichnamigen Roman von Mike Herron, Drehbuch: Morwenna Banks; Regie: Natalie Bailey, mit Emma Thompson, Ruth Wilson, Adeel Akhtar, Nathan Stewart-Jarrett, Fehinti Balogun, Ken Nwosu, Darren Boyd, Sinead Matthews, Tom Goodman-Hill, Gary Lewis, Steven Cree, Adam Godley (ab 29. Oktober bei Apple TV+)
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