Im Theater von Robert Wilson sagten die Menschen, so etwas hätten sie noch nie gesehen


Und schon wieder muss das Theater Trauer tragen. Nur wenige Tage nach Claus Peymann verstarb am Donnerstag Robert Wilson im Alter von 83 Jahren in New York. Der eine mochte und schätzte den anderen, sie nannten sich Freunde oder «wohlwollende Begleiter». Als Intendant im Haus am Schiffbauerdamm bot Peymann dem Amerikaner immer wieder Gelegenheit, seine Inszenierungen zu verwirklichen. Davon profitierten der Regisseur ebenso wie das Berliner Theater. Denn Wilson hatte bald eine riesige Fangemeinde, und so war das Haus stets voll.
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Zum 70. Geburtstag von Robert Wilson äusserte sich Peymann in einem Interview überschwänglich. «Das ist ein ganz grossartiger, universeller Künstler, für mich immer das bessere Amerika. Immer wenn ich mich gerade über Amerika furchtbar geärgert habe, denke ich an Bob, und dann weiss ich, dass dort Träumer und grossartige Theatermenschen leben wie auch bei uns. Ein Amerikaner, der eigentlich ein Europäer ist, ein ganz grossartiger Mann.»
Entrückt in PhantasieweltenTatsächlich feierte Robert Wilson auf deutschen Bühnen seine grössten Erfolge. Die Bilder- und Zeit-Sprache, dieses unverkennbar Verspielte und in ferne Phantasiewelten Entrückte zog das Publikum an. Es wusste, dass Wilson für einen extravaganten Stil garantierte, der nicht von dieser Welt war. Ob mit der fast fünfstündigen Oper «Einstein on the Beach» (1976) zu der minimalistischen Musik von Philip Glass oder mit der «Freischütz»-Adaption «The Black Rider» (1990), einem Crossover-Coup mit Musik von Tom Waits und dem Text von William S. Burroughs – unter Wilsons Regie wurde fast jeder Stoff zum klug durchdachten Wechselspiel von Kontemplation und heller Aufregung.
Die Marke Wilson war unverwechselbar. Doch seltsamerweise machte das Gefühl, das vermeintlich Neue doch schon vor langer oder kurzer Zeit einmal gesehen zu haben, dieses geradezu kultische Theatererlebnis aus. So wie man sich an den Geschmack einer Zigarette oder den Anblick des Meeres gewöhnen kann, so lechzten die Zuschauer nach den zuverlässig wiederkehrenden, abenteuerlich gekleideten Figuren, nach den statischen Bewegungen und ganz besonders nach den Wiederholungen, die sich als Endlosschleife des Schönen und Gediegenen einprägten. Diese erhabene Ästhetik gab es nicht in der Wirklichkeit. Und deshalb war die Sehnsucht nach ihr so gross.
Eine seiner letzten Arbeiten war vor drei Jahren im Hamburger Thalia-Theater zu sehen. Hier packte Robert Wilson seine Kostümkiste aus und versuchte allen Ernstes, in 120 Minuten hinter das Rätsel des Universums zu kommen. Schlicht «H» hiess sein Stück, in dem er ungewohnt wortgewaltig und bilderarm den Gedankenkosmos von Stephen Hawking durchforstete. Am Schluss aber, als er Kinder durch die Bühnenwelt tanzen liess, musste er eingestehen, dass auch ihm, dem Grossmeister der Entschlüsselung, der Einsichten in andere Sphären ermöglichte, die Welträtsel wie aufgetürmtes Geröll im Weg stehen.
Amerikaner in EuropaMan hatte da das Gefühl, dass Robert Wilson an einem Ende angekommen war. Vergrübelt und introvertiert wirkte das Spiel, wie Lemuren aus einem vergessenen Reich bewegten sich die Spieler. Er, der so wunderbar mit der Zeit jonglieren konnte, vertat sie nun. Als ob er den Drang aufgegeben hätte, die Welt mit ihren Fallstricken und Lügen, mit ihrer Gewalt und Unmenschlichkeit verstehen zu wollen und auf schönste Weise ad absurdum zu führen.
Geboren wurde Robert Wilson am 4. Oktober 1941 in Waco, Texas. Seine Theaterkunst aber, in der er das Träumen über das bloss Machbare stellte, entfaltete er vor allem in Europa. Zunächst hatte er Architektur studiert, er nahm Unterricht unter anderem bei dem grossen Fotografen László Moholy-Nagy. Später wechselte er zur Malerei und knüpfte erste Kontakte mit Bühnenkünstlern wie etwa dem Choreografen George Balanchine.
Dieses Crossover in jungen Jahren, diese Suche nach ganz eigenen verschiedenen Ausdrucksform war es, was sich Wilson sein langes künstlerisches Leben hindurch bewahrte. Er tat sich als Kind mit der Sprache schwer, er war homosexuell, er fühlte sich als Aussenseiter. Aus dieser Position heraus schöpfte er trotzig die Ideen, die Wunschgebilde, die Bilder eines Theateruniversums, von dem er wollte, dass die Menschen sagten, sie hätten so etwas noch nie zuvor gesehen.
Und so war es denn auch. An der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin, wo er «Death, Destruction & Detroit» (1979) realisierte im Bühnenbild von Moidele Bickel, feierte er erste Erfolge. Er arbeitete mit Heiner Müller, brachte sich mit Mozart zusammen in einer Ausstellung im Geburtshaus in Salzburg, ging in allen grossen Häusern, von Mailand bis Paris, ein und aus, wechselte die Genres kühn, inszenierte Opern oder bebilderte das Werk des estnischen Komponisten Arvo Pärt, widmete sich Anton Tschechow in München, machte Tankred Dorsts «Parzival» in Hamburg (1987), den «Lohengrin» in Zürich (1991), fühlte sich in die Musik von Arnold Schönberg ebenso ein wie in die von Lou Reed.
In seinen zahllosen Inszenierungen und Projekten beschäftigte Wilson einen ganzen Apparat von Künstlern und Technikern, die seine oft genialen Ideen zuverlässig ins richtige Licht oder den dazugehörenden Schatten rückten. Vielleicht hatte man irgendwann etwas zu viel Robert Wilson gesehen, wie bei einem Zauberer, der seine Tricks so oft zeigt, glaubte man ihm allmählich auf die Schliche zu kommen.
Ein WunderAber Robert Wilson blieb einzigartig. Und alle Kopien – allein der «Black Rider» wurde von jeder grossen und jeder Provinzbühne nachgespielt – erwiesen sich als Abklatsch: Es fehlte die Seele, die versteckte, die einsame, die jede seiner Inszenierungen zum Solitär machte.
Der französische Schriftsteller Louis Aragon hat einmal über Robert Wilson gesagt, er sei «das Wunder, auf das wir gewartet haben». Solche Wunder sind einmalig.
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