Wenn die Bienen Trauer tragen – In Yorgos Lanthimos‘ „Bugonia“ gefährden Aliens nicht nur die Honigversorgung

Ungewöhnlich idyllisch beginnt Yorgos Lanthimos‘ neuer Film „Bugonia“ mit einer sonnendurchfluteten Blumenwiese, auf der summende Bienen fleißig ihren Nektar sammeln. Nicht mehr lange, wie Teddy (Jesse Plemons) weiß, dessen Stimme aus dem Off über das Bienensterben und ein Phänomen referiert, das „Collective Colony Disorder” genannt wird. Hierbei verlassen alle flugfähigen Arbeiterbienen den Stock. Die Königin bleibt mit der Brut allein zurück, was zum Aussterben des Stammes führt.
Teddy ist Imker. Er kennt sich aus mit der Materie und darüber hinaus hat er eigene Nachforschungen angestellt: im Internet, in Podcasts, in den Echokammern der sozialen Medien. Und er ist sich sicher, dass das Bienensterben nur der Anfang eines Prozesses ist, der auf das Ende der Menschheit hinausläuft.
Aber es sind seiner Ansicht nach nicht die Menschen, die die Bienen, die Natur und damit die Grundlage ihrer eigenen Existenz zerstören. Nein, es sind Aliens aus der benachbarten Andromeda-Galaxie, die unbemerkt und systematisch die Ausrottung der Menschheit vorantreiben. Außerirdische Saboteure in Menschengestalt leben schon unter uns.
Und Teddy glaubt, einen von ihnen gefunden zu haben: Michelle (Emma Stone), CEO eines nahe gelegenen Pharmaunternehmens, deren Gesicht auf den Titelseiten der Wirtschaftsmagazine omnipräsent ist.

Tatsächlich scheint sich diese Frau übernatürliche Führungsqualitäten angeeignet zu haben. Ihr Tag beginnt morgens um halb fünf mit morgendlichem Lauf- und Kampfsporttraining. Danach braust sie mit dem dicken SUV zum Hauptquartier des Konzerns, wo sie die Angestellten auf eine Firmenphilosophie eingeschworen hat, die mit Teambuilding- und Diversitätsprogrammen die maximale Ausbeutung der Belegschaft wirkungsvoll kaschiert. Michelle ist eine mit allen Wassern gewaschene Karrierefrau, die für den Profit des Unternehmens über Leichen geht und die PR- Strategie dafür gleich mitliefert.
Teddys Mutter (Alicia Silverstone) gehört zu ihren Opfern. Als Probandin für ein Medikament, das sie von ihrer Opiat-Sucht befreien sollte, hat sie sich zur Verfügung gestellt und liegt seitdem im Dauerkoma. Gemeinsam mit seinem autistischen Cousin Don (Aidan Delbis) will Teddy die vermeintliche Außerirdische entführen. Nicht aus persönlicher Rache, wie er betont, sondern um mit dem Andromeda-Herrscher in Verhandlung zu treten und die Menschheit vor dem sicheren Untergang zu bewahren.
Imker Teddy hat einen Plan gegen die Aliens
Um nicht durch fleischliches Verlangen von ihrer Mission abgelenkt zu werden, haben die beiden sich sogar mit einem chemischen Cocktail selbst sterilisiert. Natürlich wehrt sich Michelle gegen die unbeholfenen Tölpel mit Händen und Füßen. Ihre Gefangennahme zeigen Lanthimos und sein Kameramann Robbie Ryan aus distanzierter Perspektive als groteske Slapstick-Einlage.

Schließlich gelingt es den Amateur-Entführern, ihre Geisel zu narkotisieren. Die Haare, über die die Außerirdische mit dem Mutterschiff kommunizieren könnte, werden abrasiert. Gesicht und Körper werden mit einer Antihistamin-Creme einbalsamiert, um die übernatürlichen Fähigkeiten des Aliens herunter zu dimmen. Und so wacht Michelle an Armen und Beinen gefesselt im Keller der Geiselnehmer auf.
Keine Sekunde zweifelt sie an ihrer Überlegenheit und beginnt sofort mit den Geschäftsverhandlungen über ihre Freilassung.
Mit dem ihm eigenen schillernden Zynismus inszeniert Lanthimos die rhetorischen Wortgefechte zwischen der beinharten Geschäftsfrau und dem durchgeknallten Verschwörungstheoretiker, um das Szenario zunehmend zu verdüstern (wozu auch eine verzichtbare Foltersequenz gehört).
Michelle am Frühstückstisch ihrer Geiselnehmer
Dabei sind Sympathie und Abneigung gegenüber den Figuren gleichmäßig verteilt. Emma Stone ist einfach furios als eiskalte Firmenchefin, für die Aufgeben überhaupt keine Option ist. Plemons wiederum zeichnet seine Figur nicht als einfältigen Nerd, sondern als sensiblen Untergangspropheten, der sich in sein für ihn stimmiges Gedankengebäude eingemauert hat.
„Bugonia“ ist ein Remake des koreanischen Films „Save the Green Planet”) von Jang Joon-hwan aus dem Jahr 2003. Die Story wurde von Drehbuchautor Will Tracy („The Menu“, „Succession“) grundlegend neu überarbeitet. Der Film hat nicht jenen überbordenden, kreativen Drive, den Lanthinos‘ Meisterwerk „Poor Things“ (2023) auszeichnete, und entwickelt als Kammerspiel im Keller der Geiselnehmer durchaus einige Längen.
Aber mit seiner Gegenüberstellung von Verschwörungstheorien und geschmeidigem Kapitalismus bewegt sich der Film durchaus am Puls der Zeit - um dann wieder alle Gewissheiten aus den Angeln zu heben. Denn ein Regisseur wie Lanthimos hat immer noch ein As im Ärmel. Hier wartet er zum einen mit einem überraschenden Finale auf, in dem er sich auf der ganzen Klaviatur seines grotesken Gestaltungswillens austobt, zum anderen mit einer morbiden, poesievollen Koda, die sich nachhaltig ins filmische Gedächtnis einarbeitet.
„Bugonia“ Regie: Yorgos Lanthimos, mit Emma Stone, Jesse Plemons, Aidan Delbis, 120 Minuten, FSK 16 (Kinostart am 30. Oktober)
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