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Iraner Jafar Panahi gewinnt Goldene Palme in Cannes

Iraner Jafar Panahi gewinnt Goldene Palme in Cannes

Jafar Panahi wollte nie ein politischer Filmemacher sein. "Nach meiner Definition verteidigt ein politischer Filmemacher eine Ideologie, der die Guten folgen und die Bösen sich widersetzen", sagt der iranische Regisseur. "In meinen Filmen aber werden selbst diejenigen, die sich schlecht verhalten, durch das System geformt und nicht durch persönliche Entscheidungen", so Panahi gegenüber der Deutschen Welle.

Doch seit mehr als einem Jahrzehnt bleibt Panahi kaum eine Wahl. Weil er 2009 die Proteste der oppositionellen Grünen Bewegung im Iran gegen den damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadineschād unterstützte, wurde der Regisseur von "Der weiße Ballon" und "Der Kreis" mit einem 20-jährige Drehverbot bestraft und durfte nicht mehr ins Ausland reisen. Aufgehalten hat ihn das nicht.

Mit der Zeit fand er immer neue Wege, seine Filme zu drehen, zu schneiden und außer Landes zu schmuggeln. Mal verwandelte er sein Wohnzimmer in eine Filmkulisse ("This Is Not a Film"), mal machte er ein Auto zum mobilen Studio (in dem Film"Taxi Teheran", der 2015 den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann).

Eine Frau sitzt bei offener Tür im Taxi. Eine zweite reicht ihr ein großes Glas mit einem Goldfisch
Filmszene aus Panahis früherem Film "Taxi Teheran", für den er das Taxi als Filmstudio nutzte Bild: Weltkino Filmverleih/dpa/picture alliance

Diese Woche trat Panahi wieder ins Rampenlicht - nicht durch geschmuggeltes Filmmaterial oder Videoanrufe, sondern persönlich. Nach über 20 Jahren meldete sich der heute 64-Jährige bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes zurück, um seinen neuesten Film vorzustellen. Für "It Was Just an Accident" gab es bei den Filmfestspielen acht Minuten lang Standing Ovations.

Vom Gefängnis zum Palais

Doch der Weg ins schillernde Zentrum der Filmwelt verlief alles andere als reibungslos. Panahi wurde zuletzt im Juli 2022 erneut verhaftet und in Teherans berüchtigtem Evin-Gefängnis inhaftiert. Nach fast sieben Monaten und einem Hungerstreik ließ man ihn im Februar 2023 frei. Der Oberste Gerichtshof des Iran hob sein ursprüngliches Urteil von 2010 auf, für Panahi ein überwältigender juristischer Sieg. Nun war er zwar rechtlich frei, aber künstlerisch immer noch einem System ausgesetzt, dem er sich nicht unterwerfen wollte. "Um einen Film im Iran ganz offiziell drehen zu können, muss man sein Drehbuch dem Ministerium für Islamische Führung zur Genehmigung vorlegen", sagte er der DW. "Für mich geht das nicht. Also habe ich wieder einen heimlichen Film gemacht."

Ein Mann hält eine Fotokamera in der Hand
Jafar Panahi Bild: Janus Films/Everett Collection/IMAGO

In "It Was Just An Accident" nimmt Panahi sehr direkt staatliche Gewalt und Unterdrückung aufs Korn. Der heimlich gedrehte Film zeigt unverschleierte Frauen, die damit dem iranischen Hidschab-Gesetz trotzen. Er erzählt die Geschichte einer Gruppe ehemaliger Häftlinge, die glauben, den Mann gefunden zu haben, der sie gefoltert hat. Nun müssen sie entscheiden, ob sie sich an ihm rächen. Das straffe Drama entfaltet sich wie ein psychologischer Thriller.

Stilistisch bricht "It Was Just An Accident" deutlich mit den eher zurückhaltenden und größtenteils selbstreflexiven Werken, die Panahi während seines offiziellen Verbots drehte. Doch in der Handlung bleibt er stark autobiografisch.

Ein Thriller mit Tiefgang

Der Film beginnt mit einem scheinbar banalen Vorfall. Ein Mann überfährt mit seinem Auto versehentlich einen Hund. Der Mechaniker Vahid (Valid Mobasseri), der das beschädigte Auto reparieren soll, glaubt in dem Besitzer Eghbal, alias Peg-Leg, seinen ehemaligen Peiniger wiederzuerkennen. Er entführt ihn, um ihn lebendig in der Wüste zu begraben. Aber er kann sich nicht sicher sein, ob er den richtigen Mann erwischt hat, denn während seiner Internierung waren ihm die Augen verbunden. "Während des Verhörs oder wenn wir unsere Zellen verließen, ließen sie unsere Augen verbunden", erinnert sich Panahi an seine Zeit im Gefängnis. "Nur auf der Toilette konnte man die Augenbinde abnehmen."

Ein Mann im weißen Anzug posiert für die Fotografen
Gestylt für den Fototermin bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes: Jafar PanahiBild: Simone Comi/ipa-agency/picture alliance

Auf der Suche nach Gewissheit wendet sich der Mechaniker an ehemalige Mitgefangene. Schon bald füllt sich Vahids Lieferwagen mit Opfern, die sich an dem Mann rächen wollen, von dem sie missbraucht wurden, weil sie sich gegen die Behörden auflehnten. Da ist eine Braut (Hadis Pakbaten), die ihre eigene Hochzeit verlässt, gemeinsam mit ihrer Hochzeitsfotografin Shiva (Maryam Afshari), einer ehemaligen Gefängnisinsassin, um den Mann zu stellen, der sie vergewaltigt und gefoltert hat. Oder Hamid (Mohamad Ali Elyasmehr), ein Mann, der durch seine Erfahrungen so traumatisiert und wütend ist, dass es ihm egal ist, ob der richtige Mann gefasst wurde; er will nur Rache. "Selbst tot sind sie eine Geißel der Menschheit", sagt er über alle Geheimdienstler, die unter dem Regime dienen.

Während die Gruppe über Rache oder Gewaltlosigkeit debattiert, fügt Panahi neben brutalen Beschreibungen der Schläge und Folterungen, die sie erdulden mussten, auch Momente des Humors und der Absurdität ein. Die Geiselnehmer kreuzen den Weg von Eghbals Familie, einschließlich seiner hochschwangeren Frau, und müssen sie plötzlich zur Entbindung ins Krankenhaus bringen. Danach geht der Monteur Vahid, wie es im Iran Tradition ist, in eine Bäckerei, um Gebäck für alle zu kaufen.

"Das Regime selbst macht die Filme"

"Alle Figuren, die Sie in diesem Film sehen, sind von Gesprächen inspiriert, die ich im Gefängnis geführt habe, von Geschichten, die mir Menschen über die Gewalt und die Brutalität der iranischen Regierung erzählt haben", sagt Panahi in Cannes, "Gewalt, die nun schon seit mehr als vier Jahrzehnten andauert." Er fügt hinzu: "In gewisser Weise bin nicht ich derjenige, der diesen Film gemacht hat. Es ist die Islamische Republik, denn sie hat mich ins Gefängnis gesteckt. Wenn sie uns davon abhalten wollen, so subversiv zu sein, sollten sie vielleicht aufhören, uns ins Gefängnis zu stecken".

Während seines 20-jährigen Drehverbots hätten selbst seine engsten Freunde die Hoffnung aufgegeben, dass er jemals wieder Filme machen würde, berichtet Panahi. "Aber wer mich kennt, weiß, dass ich keine Glühbirne wechseln kann. Ich kann nichts anderes als Filme machen." Kurz vor Verhängung des Film- und Reiseverbotes habe er sich gefragt, was er jetzt anstellen werde. "Wenn das Kino wirklich das ist, was Dir heilig ist, was deinem Leben einen Sinn gibt, dann kann dich kein Regime, keine Zensur, kein autoritäres System aufhalten."

Kein Exil, keine Flucht
Regisseur Mohammad Rasoulof
Panahis Freund ist der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof. Er lebt nach seiner Flucht in Berlin Bild: Jens Kalaene/dpa/picture allaince

Viele iranische Filmemacher sind bereits ins Exil geflohen, darunter auch Panahis enger Freund Mohammad Rasoulof, Regisseur des für den Oscar nominierten Films "Die Saat des heiligen Feigenbaums", der jetzt in Berlin lebt. Er habe nicht vor, sich ihnen anzuschließen, sagt Panahi, er könne in keiner anderen Gesellschaft leben. "Ich musste für die Postproduktion dreieinhalb Monate in Paris bleiben und dachte, ich würde sterben." Im Iran, sagt er, sei das Filmemachen ein gemeinschaftlicher Akt der Improvisation und des Vertrauens. "Um 2 Uhr nachts kann ich einen Kollegen anrufen und sagen: 'Diese Einstellung sollte länger sein'. Und er kommt zu mir und wir arbeiten die ganze Nacht. In Europa geht so etwas nicht."

So will Panahi auch nach seinem Triumph in Cannes nach Hause zurückkehren. "Sobald meine Arbeit hier beendet ist, reise ich ab", so der Regisseur. "Und dann werde ich mich fragen: Was wird mein nächster Film sein?"

Aus dem Englischen adaptiert von Stefan Dege.

dw

dw

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