Lauftipp: Lauf los … aber bitte nicht nüchtern




Verpflegungsstation beim Marathon: Auch vor einem Trainingslauf sind ein paar schnelle Kohlenhydrate eine gute Idee
Foto: Hannibal Hanschke/ dpaEs ist kein Zufall, dass das neue Buch von Peter Tauber den gleichen Titel trägt, wie das aktuelle Buch von Irina Strohecker und mir: Lauf los! Hegen wir doch alle den gleichen Wunsch. Es mögen möglichst viele Menschen am eigenen Leib spüren, wie gesund und wohltuend der Laufsport für Körper und Geist ist. Das tut Mensch aber nur, wenn er es tut: loslaufen.
Wir können noch so viel über die gesundheitlichen Vorteile des Laufens lesen oder uns davon in den sozialen Medien berieseln lassen, am Ende müssen wir selbst loslaufen. Ob auf dem Laufband oder noch besser draußen. Einen Fuß vor den anderen, Arme mitnehmen, abdrücken, Flugphase, auffangen, nächster Schritt, den Atem spüren, weiterlaufen, den ganzen Körper spüren, weiterlaufen, mentale Strategien zurechtlegen, Ermüdung spüren, weiterlaufen, Erschöpfung spüren, noch ein kleines bisschen weiterlaufen, Erholung zulassen, Entspannung spüren, Glück und Stolz empfinden, gesundheitliche Fortschritte und Fitness erlangen.
Es reicht eine Runde um den Block am Anfang. Aber man muss es machen. Es ist ein so kleiner Schritt, aber die Offenbarung, die schnell folgt, ist so groß. Boah, ist das anstrengend. Boah, bin ich gut. Boah, habe ich Lust auf mehr. Boah, habe ich Hunger. Boah, kann ich schnell damit meine Körperstruktur ändern. Ja, das Laufen kurbelt jeden Stoffwechsel an, und zwar schon nach dem ersten Ausflug. Und das fühlt sich gut an.
Vielleicht ein Grund für den gerade stattfindenden dritten Lauf-Boom. Der erste Lauf-Boom begann in den 70er Jahren mit dem Entstehen großer Stadtmarathons. New York machte den Anfang und in den 80er Jahren etablierten sich auch in deutschen Städten wie Frankfurt und Berlin große Marathons auf der Straße, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuten. Doch die Felder waren zunächst elitär und … männlich.
Frauen schoben den zweiten Lauf-Boom anDie Frauen waren es, die den zweiten Lauf-Boom mit anschoben. Unter anderem sie sorgten dafür, dass sich die Anmeldezahlen beispielsweise vom Frankfurt-Marathon von 3169 im Jahr 1981 auf über 27.500 Läuferinnen und Läufer im Jahr 2016 veränderten. Wohlgemerkt nicht nur auf der Marathon-Distanz, sondern auch in der Staffel oder bei den Kinderläufen. Denn die Stunde der Fitness- und Freizeitläufer war gekommen.
Steck dir ein Ziel, arbeite darauf hin, hake es ab, genieß deinen Erfolg. Nirgendwo ist Erfolg so planbar wie im Laufsport. Auch meine komplette „Laufkarriere“ fand auf dieser zweiten Lauf-Boom-Welle statt. 2003 lief ich meinen ersten Marathon in München in 3.58h und neun Jahre später gelang mir mein schnellster Marathon in Frankfurt in 2.52h. Und das noch vor dem Carbon-Schuh-Zeitalter.
Aber das ist heute gar nicht mein Punkt. Mein Punkt zielt mal wieder auf die Ernährung ab. Ich habe nämlich in meinen intensivsten Trainingsjahren eines sehr viel gemacht. Ich bin fast immer nüchtern gelaufen. Hat es mir geschadet? Nein. Hat es mich gestresst. Ja.
Klar können wir nüchtern laufen. Also, um kurz die Definition von „nüchtern“ zu klären: eigentlich laufen wir dann nüchtern, wenn die letzte Mahlzeit mindestens 16 Stunden lang her ist. Wer also um 16:00 Uhr das letzte Mal etwas gegessen hat und dann am nächsten Tag um 8:00 Uhr trainieren geht, der ist nüchtern. Das machen die wenigsten so, also laufen auch die wenigsten tatsächlich nüchtern.
Wenn man nämlich das letzte Mal vor 16 Stunden etwas gegessen hat und vor der nächsten Mahlzeit erst noch laufen geht, wird man sehr schnell vom Körper in die Knie gezwungen. Probieren Sie es gerne aus, beschweren Sie sich aber bitte nicht über ein misslungenes Training, eine verlängerte Regenerationszeit oder über plötzlich auftretende Verletzungs- oder Infektanfälligkeit.
Aber der Mensch ist zum Laufen im nüchternen Zustand in der Lage, denn sonst wären wir wohl ausgestorben. Selbst mit hungrigem Magen und leeren Speichern muss unsere Spezies in der Lage sein, Energie für die Nahrungsbeschaffung bzw. Jagd aufzubringen. Aber nur, weil wir es können, heißt nicht, dass es gut für uns ist. Zumindest nicht dauerhaft.
Also, ich war zwar im wissenschaftlichen Sinn nicht bei all meinen Trainings komplett nüchtern, aber ich habe schon meist nach dem Motto trainiert: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“. Erst Rennen, dann frühstücken. Da in der Regel meinem Training vor dem Frühstück ein reichliches Abendessen mit anschließendem Snack auf der Couch vorausging, hat mein Training meist funktioniert. Im ersten Moment sogar so gut, dass ich gleich nach dem Training erstmal gar keinen Hunger hatte und Stolz auf mein so gut arbeitendes Energiesystem war.
Aber irgendwann kam der große Hunger gepaart mit einer riesigen Appetit-Keule. Allerspätestens nach dem jeweiligen Saisonziel, meist aber schon mitten im Trainingszyklus, was dann zu regelmäßig ungezügelter Nahrungsaufnahme inklusive anschließendem schlechtem Gewissen geführt hat. Das war stressig. Für den Kopf und für den Körper. Gerade für mich als junge Frau, die auf eine gleichmäßige, gesunde und komplexe Kohlenhydrataufnahme angewiesen ist, wenn sie ihrem Körper sportliche Höchstleistung abverlangt. Stattdessen habe ich ihn immer wieder mit langen Läufen auf leeren Speichern oder Trainingsphasen ohne den Verzehr von Kohlenhydraten gequält. Danke, lieber Körper, dass du das alles so brav mitgemacht hast.
Danke, lieber dritter Lauf-Boom, dass die Leute, die auf deiner Welle reiten, endlich richtig essen. Denn siehe da, es sind sich mehr und mehr Experten einig, dass das Frühstück vor dem Training Sinn ergibt. Das Geheimnis ist gelüftet: Zucker macht schnell! Also, der richtige Zucker zur richtigen Zeit. Die Jungs und Mädels, die neulich durch London, Düsseldorf, Hamburg gelaufen oder vor dem sogenannten Cather Car beim „Wings for Life“ weggerannt sind, nehmen unterwegs jede Menge Kohlenhydrate zu sich, und zwar sehr viel mehr, als das noch vor 20 Jahren der Fall war.
Ich schreibe hier bewusst von den Jungs und Mädels, denn ich meine vor allem die jüngere Generation. Die haben begriffen, dass der Körper sehr viel besser funktioniert, wenn er den Brennstoff bekommt, den er für intensive Leistung braucht. Ich habe gar nichts gegen das Fasten über mehrere Stunden oder gar Tage. Aber rund um den Sport müssen Zuckermoleküle ins Blut.
Essen Sie vor dem Laufen, essen Sie während des Laufens und essen Sie gleich nach dem Laufen. In der restlichen Zeit können Sie nüchtern bleiben. Probieren Sie es aus und glauben Sie mir: Diese Energiestrategie wird dafür sorgen, dass Ihr Stoffwechsel noch viele Jahre auf Hochtouren läuft, damit Sie im Sinne der dritten Lauf-Boom-Welle vor allem eines bleiben: gesund und motiviert!
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