»Nimm doch noch was Warmes mit«

Kürzlich war in amerikanischen Medien von der »Coachellarisierung« der US Open die Rede, also der Tendenz der Gäste, sich auf den Rängen mottomäßig ins Zeug zu legen. Tatsächlich ist der Geist, oder das Schreckgespenst, von Coachella mittlerweile bei jedem größeren Event zu beobachten, weil die Leute sich nicht mehr individuell kleiden, sondern mit Begeisterung passend zum Anlass verkleiden. Beim Turnier sah man entsprechend jede Menge Weiß, Poloshirts und: über die Schulter gelegte Pullover.
Pink mit Mottodressing bei den US Open.
Foto: Adela Loconte / Getty Images
Weil man das beim Tennis so trägt? Weil es irgendwie flott und sportlich wäre? Bei Jannik Sinner, Carlos Alcaraz oder Aryna Sabalenka hängen interessanterweise nie Pullis über den Schultern rum, aber die gefühlte Erinnerung an eine Zeit, in der die Reichen so rumliefen – die damals Tennis spielten oder zumindest im Club abhingen – hält sich hartnäckig.
In Deutschland ist der Look vor allem mit den »Poppern« der Achtzigerjahre verbunden, den Möchtegern-Schnöseln, die sich das Logo-Sweatshirt wie eine Medaille umhingen und akkurat vor der Brust knoteten. Deshalb ist er hierzulande auch als »Kampen Kringel« verschrien, weil die dafür empfängliche Klientel traditionell auf Sylt rumschnöselt. Totales Klischee, klar, aber leider wurde es vor gut einem Jahr in diesem Video von der Insel noch einmal anschaulich vorgeführt, als junge Menschen rassistische Parolen grölten und einige von ihnen das mit übergeworfenem Pullover taten. Lässig.
Damit fällt der Look für einen Teil der hiesigen Bevölkerung, die statt schlabbernden Ärmeln lieber Rückgrat zeigen, weiterhin aus. Aber Sylt ist nun mal weit weg von Paris, Mailand, New York und dort sind neuerdings wieder vermehrt »JOS« zu sehen, »jumper over shoulder«. In Modestrecken, bei Influencern, vor allem in der ersten Show von Jonathan Anderson für Dior Men, wo ein Model Ende Juni ein weißes Hemd mit darüber drapiertem pinkfarbenen Zopfpulli trug.
Preppy-Look bei Dior von Designer Jonathan Anderson.
Foto: Entrop / Getty Images
Bei Ralph Lauren oder Tommy Hilfiger wäre das so erwartbar, dass es den Leuten nicht einmal auffallen würde. Aber bei Dior? Unter dem Wirklich-Alles-Könner Anderson? Gemixt mit modernen Rokoko-Elementen? »New Preppy« liegt seit dem Film Saltburn in der Luft, Anderson hat schon bei Uniqlo damit gespielt, spätestens jetzt ist das Comeback perfekt, und die einfachste Preppy-Übung heißt weiterhin: Pulli schultern.
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»Prep« kommt bekanntlich von »preparatory schools«, wo der wohlhabende Nachwuchs auf die amerikanischen Ivy-League-Universitäten vorbereitet wurde. Am Wochenende hingen sie in den Hamptons oder sonst wo privilegierten Nestern ab, alle mit genug Mitteln ausgestattet, um bei einem aufziehenden Lüftchen schnell unter Deck, ins Wochenendhaus oder unters Cabrio-Verdeck zu flüchten. Die brauchten also nie wirklich etwas zum Drüberziehen und genau das signalisiert der Placebo-Pulli: Ich könnte, wenn ich müsste – aber ich muss halt nicht. Der wahre Reiz von Preppy ist immer noch altes Geld. Je mehr neues Geld in der Welt herumschwirrt und wirklich alles andere als Schnöseligkeit fabriziert, desto größer ist die Sehnsucht danach.
Dabei kann so ein Überwurf ja tatsächlich lässig aussehen. Alain Delon trug ihn schon in den Sechzigern am Strand, wenn auch natürlich ohne Polohemd, sondern einfach ganz ohne etwas drunter. Sogar Justin Bieber, eher unverdächtig für Preppy-Posen, ist großer JOS-Freund. Bei dem Sänger wirkt es meist so, als habe er einfach gern ein bisschen Geborgenheit, so wie Linus seine Kuscheldecke.
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Mit ein bisschen Fantasie umarmen diese Ärmel einen ja lose. Außerdem lassen sich damit, siehe Dior, farbliche Akzente setzen, wenn es sonst obenrum zu weiß, zu einfarbig oder zu leer wirken könnte. Wie ein Topping auf dem Softeis. Lady Diana trug auf einem Foto aus den Achtzigern einen blau-weiß-roten Blumenrock mit rotem Gürtel und passend dazu einen roten Wollpulli über die Schultern. Spießig sah das allein schon deshalb nicht aus, weil das sicher aus schottischem Kaschmir gestrickte Teil nicht symmetrisch auf den Schulterblättern positioniert wurde, noch der Knoten möglichst mittig sitzt. Allzu akkurate Kringel sind verräterisch, eine gewisse Nachlässigkeit muss man sich erst mal leisten können.
Auch die bekannte Stylistin Leandra Medine Cohen benutzt Sweatshirts und Wollpullover oft als Stilmittel. Oder als Schalersatz eng am Hals geschnürt, wie es in einem aktuellen Kampagnenbild von Zara zu sehen ist. Die praktische Lösung für Leute, die insgeheim noch nie gut mit Tüchern und Schals waren. Zwei Ärmel bieten weniger Spielraum als zwei lose Enden. Absolut unsnobistisch ist die Variante obendrein, weil es eher so wirkt, als habe da jemand noch schnell etwas festgebunden, so wie Backpacker ihre Schuhe an den Rucksack schnüren. Anziehen kann man die Extralage dann ja immer noch, wenn es doch mal kühler wird dieser Tage. Man könnte, wenn man müsste – und man tut es dann einfach.
Wird auch getragen von: Passionierten Golfern, Niko Kovač, Justin BieberTypischer Instagram-Kommentar: »Heute wieder schief gewickelt?«Passendes Buch: Faserland von Christian Kracht
süeddeutsche