AfD und BSW nähern sich an: Was das für die Machtverhältnisse in Ostdeutschland bedeutet

Diese Nähe hat Zündstoff: In Thüringen haben sich AfD-Hardliner Björn Höcke und BSW-Landeschef Frank Augsten zum Plausch getroffen – ganz offiziell. Beide Seiten sprechen von einem „konstruktiven Austausch“ – eine Formulierung, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Brisant: Laut AfD ging die Initiative vom BSW aus. Nähern sich da zwei politische Extreme – und sprengen alte Tabus?
Nur wenige Tage später lässt AfD-Chef Tino Chrupalla die nächste Bombe platzen: Ja, es gebe längst Gespräche auch auf Bundesebene – zwischen AfD und BSW. Sein Ziel? „Wechselnde Mehrheiten.“ Was harmlos klingt, könnte in Wahrheit zu einem politischen Beben führen: Denn dieser Begriff steht nicht mehr nur für Flexibilität, sondern für eine mögliche Abrechnung mit der alten Parteienlogik.
Weitere AfD-Politiker bestätigen die Gespräche mit dem BSWAuch andere AfD-Vertreter bestätigen die Gespräche – und gehen noch weiter. Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der Partei, erklärt im Gespräch mit der Berliner Zeitung, er sei zwar „nicht in die Gespräche eingebunden“, wisse aber, dass es „auch mit einzelnen Vertretern der CDU und der CSU“ Kontakte gebe. Es gehöre dazu, so Brandner, „dass man mit Parteien, bei denen sich Gemeinsamkeiten finden lassen, in einen Dialog tritt“. Wer die Initiative ergriffen habe, sei unklar – „in Thüringen ging die Initiative, soweit ich weiß, vom BSW aus“.
Zugleich betont Brandner: Der Austausch sei sinnvoll, dürfe aber nicht vergessen lassen, dass das BSW „grundsätzlich ein Konkurrent unserer Partei ist“. Zwar habe sich die Befürchtung, das BSW könne der AfD massenhaft Wähler abjagen, bislang nicht bewahrheitet – „ganz im Gegenteil“. Dennoch verfolge man in bestimmten Bereichen, etwa bei Migration, ähnliche Ziele. Diese Nähe könne sowohl zu Wählerwanderungen führen als auch zu punktueller Zusammenarbeit. „Wenn es Überschneidungen gibt, auch nur punktuell, dann sollten die ausgelotet werden.“
Ähnlich äußert sich Kristin Brinker, Partei- und Fraktionsvorsitzende der Berliner AfD. Zur Berliner Zeitung sagt sie: „Warum sollte man nicht miteinander sprechen? Demokratie lebt vom Diskurs und der Offenheit, sich auch andere Positionen anzuhören. Und wir haben immer gesagt, dass wir mit allen sprechen.“
Lange abgetaucht, jetzt wieder da: Das sagt Sahra Wagenknecht zur AfDIm Zentrum dieser Entwicklung steht einmal mehr Sahra Wagenknecht. Monatelang war sie nach dem knappen Scheitern bei der Bundestagswahl (4,98 Prozent) abgetaucht. Doch in dieser Woche kehrte sie zurück – öffentlichkeitswirksam am Berliner Hauptbahnhof, flankiert von Kameras, mit dem Signal: Ich bin noch da. Der Spiegel sprach von einer „Rückkehr-Tournee“, die sie auch nach Thüringen führte. Also ausgerechnet dorthin, wo ihre parteiinterne Rivalin Katja Wolf aktiv ist und zusammen mit CDU und SPD in der Landesregierung sitzt. Und wo jetzt die Gespräche mit der AfD stattfanden. Immerhin hätten AfD und BSW zusammen jetzt schon eine Mehrheit im Erfurter Landtag.
Dennoch relativiert die Berliner AfD-Chefin Brinker: „In Thüringen sehe ich keine wirklich relevante Absetzbewegung seitens des BSW.“
BSW-Politiker Augsten sagte einer Mitteilung zufolge, er und Höcke hätten „konstruktiv und offen über unsere unterschiedlichen Sichtweisen, Probleme und Perspektiven der aktuellen Landespolitik gesprochen“. Höcke habe abgestritten, dass die AfD ein Interesse daran habe, dass der Staat nicht funktioniert.

Doch was ist dran an der angeblichen Annäherung zur AfD? Der Berliner Zeitung teilt Sahra Wagenknecht mit: „Aktuell gibt es keine Gespräche. Das ist eine Phantomdiskussion. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich auch mit Herrn Chrupalla reden würde, wenn es einen konkreten Anlass dafür gäbe, wie es in Thüringen bei dem Gespräch der Fraktionsvorsitzenden der Fall war: ja, selbstverständlich.“
Das sollte normal sein in einer Demokratie, so die BSW-Vorsitzende. „Die AfD wird aktuell von mehr als jedem fünften Wähler gewählt. Ausgrenzung und Redeverbote sind undemokratisch und eine Ohrfeige für diese Wähler, die sie nur noch mehr an die AfD binden. Es war einfach dumm, dass die AfD wieder bei den Bundestagsposten ausgeschlossen wurde. Die Brandmauer-Politik hat die AfD immer stärker gemacht und sollte nicht fortgesetzt werden!“
Berliner BSW-Chef Alexander King pflichtet bei: „Von einer Annäherung kann keine Rede sein.“ Das Gespräch in Thüringen habe einem konkreten Problem gegolten – mehr nicht. Auf Bundesebene gebe es weder Gespräche noch einen Anlass dazu, welche zu führen.
BSW und AfD haben völlig unterschiedliche politische Ziele.
Und überhaupt: „BSW und AfD haben völlig unterschiedliche politische Ziele“, betont King vor allem auch mit Blick auf die Berliner Landespolitik. Etwa beim Mieterschutz, in der Sozialpolitik – und ganz grundsätzlich: „Die AfD ist zu einem Vehikel für Rechtsradikale geworden.“ Zusammenarbeit? Ausgeschlossen. Aber: „Sprechen müssen gewählte Abgeordnete können – das ist Demokratie.“ Nur die pauschale Stigmatisierung aller AfD-Positionen als „faschistisch“ lehne er ab: „Das ist Arroganz gegenüber den Wählern.“
In Brandenburg, wo das BSW mit der SPD regiert, gibt sich Fraktionsvorsitzender Niels-Olaf Lüders dagegen betont nüchtern: „Sowohl die AfD als auch die CDU sind in Brandenburg Oppositionsfraktionen. Für konstruktive Gespräche mit der AfD sind wir ebenso offen wie für konstruktive Gespräche mit der CDU. Wir suchen diese Gespräche jedoch nicht aktiv, da unsere Koalition gemeinsam mit der SPD über eine eigene Mehrheit im Landtag verfügt.“ Ein Satz, der Raum lässt – für Gesprächsbereitschaft ebenso wie für Distanz.

Was sich derzeit in Thüringen abzeichnet, könnte vorerst zwar kein Vorbild für den Bund werden, dort wird erst 2029 gewählt, aber für andere ostdeutsche Länder. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern stehen 2026 Landtagswahlen an. Dort zittern vor allem die CDU (Sachsen-Anhalt) und die SPD (Mecklenburg-Vorpommern) um ihre Mehrheiten. Denn die AfD ist in beiden Ländern längst stärkste oder zweitstärkste Kraft, das BSW könnte – mit Rückenwind aus Thüringen – ebenfalls in die Parlamente einziehen. Die Aussicht: neue rechnerische Mehrheiten jenseits der bisherigen Lager aus CDU, SPD und Grünen. Eine Koalition zwischen AfD und BSW wäre zwar ein Tabubruch – aber rechnerisch bald möglich.
Für die AfD könnte daher ein Bündnis mit dem BSW zum strategischen Jackpot werden: Endlich Partner in den Parlamenten, endlich raus aus der politischen Isolation. Und ein möglicher Schulterschluss mit dem BSW könnte die politische Geografie der Republik neu zeichnen – nicht nur in Erfurt, sondern bald auch in Magdeburg, Schwerin, Potsdam und Berlin.
CDU und SPD stehen vor einer RichtungsentscheidungDie Annäherung von AfD und BSW bringt die CDU in Ostdeutschland in eine strategische Zwickmühle. Zwischen einer immer anschlussfähiger wirkenden AfD und dem wirtschaftlich linken, migrationskritischen BSW droht die Union zerrieben zu werden.
Während Kanzler Friedrich Merz strikt jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt – er sprach zuletzt von einer „offen nationalsozialistischen“ Partei – bröckelt die Einigkeit an der Basis. In Ostdeutschland wird die „Brandmauer“ zunehmend zur Belastung. JU-Chef Johannes Winkel forderte in der Welt mehr Flexibilität und zeigte sich gesprächsoffen gegenüber dem BSW – dort, wo Mehrheiten mit SPD oder Grünen nicht ausreichen.
Die Union steht daher vor einer Richtungsentscheidung: Öffnung wie in Thüringen zum BSW – oder die AfD könnte an die Macht kommen. Aus Unionskreisen hieß es am Freitag gegenüber der Berliner Zeitung: „Wir beobachten die Entwicklung wachsam, aber es war absehbar“, so ein Abgeordneter. Und die SPD? Auch für die Genossen wird es eng. Bundesweit liegt sie aktuell Umfragen nach gerade bei 13 Prozent. In den ostdeutschen Landesparlamenten muss sie um ihre Wiederwahl bangen.
Berliner-zeitung