Affäre Günther-Wünsch: Jetzt wird es eng für die Lebensgefährtin von Kai Wegner

Stumpfer Kadavergehorsam, persönliche Fehleinschätzung, schädliche Empathielosigkeit: Wie die Affäre um einen gemobbten Lehrer zur Affäre Katharina Günther-Wünsch werden konnte.
Der Missbilligungsantrag war das geringste Problem. Der vom Grünen-Bildungspolitiker Louis Krüger am Donnerstag im Plenum des Berliner Abgeordnetenhauses eingereichte Antrag wurde mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Am Ende stimmte die vollzählig erschienene Koalition geschlossen dagegen. Katharina Günther-Wünsch, Berlins Bildungssenatorin von der CDU, wurde nicht missbilligt – was bedeutet: Sie wurde nicht offiziell gerügt.
Die Bildungssenatorin hatte vorsorglich ihren Staatssekretär zur Bildungsministerkonferenz in Klütz in Mecklenburg-Vorpommern geschickt und war stattdessen lieber im Abgeordnetenhaus erschienen.
Dabei stand dort eine Absetzung oder Abwahl ohnehin nicht zur Debatte. Anders als noch bis zum Jahr 2006 werden auch in Berlin die Senatoren nicht mehr vom Parlament gewählt, können von diesem also auch nicht abgewählt werden. Seitdem ernennt der Regierende Bürgermeister die Senatoren – und auch nur er kann sie abberufen. Dabei ist es sicher kaum mehr als nur eine Pikanterie am Rande, dass Kai Wegner seine Lebensgefährtin Katharina Günther-Wünsch wohl kaum entlassen würde.
Dennoch ist die Lage brenzlig. Katharina Günther-Wünsch, Hoffnungsträgerin der CDU nach fast drei Jahrzehnten Dauerbelegung des Bildungsressorts durch die SPD, ist in Not. Ihr untadliger Ruf als Fachfrau, auch genährt durch ihre berufliche Expertise als sturmerprobte stellvertretende Leiterin einer Oberschule in Neukölln, hat in den vergangenen Wochen unter der Affäre Oziel Inácio-Stech schwer gelitten.
Der 43-Jährige, Hilfslehrer – der korrekte Titel lautet „pädagogische Unterrichtshilfe“ – an der Carl-Bolle-Grundschule in Wedding, wurde über Jahre von mehreren der hauptsächlich muslimischen Kinder an der Schule drangsaliert und gemobbt. Weil er schwul ist. Er sei aufgefordert worden: „Geh weg, du Schwuler. Der Islam ist hier der Chef.“ Eines Tages sei ein Fünftklässler, ein Junge aus einer libanesischen Familie, mit einer Spielzeugpistole in den Unterricht gekommen und habe verkündet: „Ich möchte keinen schwulen Lehrer haben.“
Nachdem er nach eigenen Angaben in seiner Not bei den dafür zuständigen Stellen in der Bildungsverwaltung keine Hilfe fand, ging Stech an die Öffentlichkeit. Er klagt an. In einem ersten Zeitungsartikel von einem „kompletten Systemversagen“ im Umgang mit Mobbing und Gewalt.
So verfestigte sich das Bild, dass niemand aus der Fachverwaltung eingegriffen, geschweige denn Partei für ihn ergriffen habe. Im Gegenteil habe ihn die Schulleitung und die Schulaufsicht ebenso gemobbt und diskriminiert wie seine Schüler. Von vagen Vorwürfen, er habe sich Kindern unangemessen genähert, war die Rede.
Gemobbter Lehrer wollte mit Bildungssenatorin sprechen – vergebensAuf seinen Wunsch nach einem Gespräch mit der Bildungssenatorin gab es von dieser keine Reaktion. Es entstand der Eindruck, dass sie ein solches Gespräch als Affront gegenüber Schulleitung, Schulaufsicht und allerlei anderer Stellen in einem verschlungenen System verstanden hätte. Es blieb das Bild einer Politikerin, die einen brisanten Fall sträflich falsch eingeschätzt hat, die Kadavergehorsam mit Empathielosigkeit verband.
Der Fall eskalierte, als Katharina Günther-Wünsch wegen eines Briefes von Stechs Anwalt in Erklärungsnot geriet. Dieser erreichte ihr Büro bereits im Dezember vergangenen Jahres, sie selber las ihn offenbar erst Monate später – als der Fall längst in den Medien war.
Spätestens als sie dann auch noch einräumen musste, vor dem Abgeordnetenhaus ursprünglich unwissentlich – wie sie heute sagt – eine unkorrekte Aussage über den exakten Lektüretermin gemacht zu haben, war aus der Affäre Oziel Inácio-Stech vollends die Affäre Katharina Günther-Wünsch geworden.
Durch ihre lange, scheinbare Untätigkeit fühlt sich der gemobbte Lehrer offenbar erst recht angestachelt in seinem Furor gegen die Senatorin, von der er sich persönlich im Stich gelassen fühlt. „Sie hat wiederholt gelogen, das ist Fakt“, sagt Stech.
Gemobbter Lehrer nach Gespräch mit Senatorin: „Wir haben geweint“So eine Aussage müsste Günther-Wünsch nicht über Gebühr stören. Auch dass die Opposition von Grün und Links aus dem so offensichtlich missrateten Missmanagemant des CDU-Stars Honig saugen möchte, hätte sie sicher problemlos verkraftet.
Bereits im Laufe der Plenarsitzung entschuldigte sich Günther-Wünsch beim Parlament. Dem Grünen-Mann Krüger reichte das nicht aus. Er stellte klar, wie er die Dinge sieht: Das sei „‚kein Missgeschick‘ oder ‚blöd gelaufen‘“ gewesen. Die Senatorin habe damit „ihre persönliche Verantwortung abgestritten“.
Richtig unangenehm für Günther-Wünsch ist hingegen, dass sich auch der Koalitionspartner SPD auf ihre Kosten profilieren will. Anfang der Woche wurde bekannt, dass Cansel Kiziltepe, unter anderem Senatorin für Antidiskriminierung und Amtschefin des Queer-Beauftragten des Senats, mit dem homosexuellen Mobbing-Opfer Stech gesprochen hat. Bereits vor zwei Wochen. Kiziltepe lehnt mit dem Verweis auf eine Vertraulichkeit des Gesprächs jeden Kommentar ab.
Nächstes Jahr wird in Berlin gewählt: Ein schmutziger Wahlkampf steht bevorDas übernimmt dann Stech höchstselbst. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung sagt er: „Wir haben geweint.“ So ein Satz soll das Bild einer herzlosen, womöglich wenig queer-affinen Politikerin verstärken, der es egal zu sein scheine, dass ein Berliner Lehrer leidet. Und auf der anderen Seite steht Cansel Kiziltepe.

Der Vorgang lässt sich aber auch so lesen: Im Herbst nächsten Jahres wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Dass es schmutzig werden wird, ist sicher.
Kiziltepes Intervention kam dabei nur in zwei Redebeiträgen zur Sprache. Louis Krüger von den Grünen lobte sie ausdrücklich. Während der CDU-Redner Heiko Melzer Kiziltepes Vorgehen, das mit ihrer Kollegin offenbar nicht abgesprochen war, gar nicht erst erwähnte, fand der BSW-Abgeordnete Alexander King deutliche Worte: „Wer solche Kolleginnen in der eigenen Koalition hat, braucht keine Opposition.“ Die SPD verzichtete auf einen eigenen Redebeitrag zum Thema.
Zuletzt hatte es einen Missbilligungsantrag im Parlament gegen ein Regierungsmitglied vor ziemlich genau drei Jahren gegeben – betroffen war ebenfalls die Bildungssenatorin. Der Antrag gegen Astrid-Sabine Busse von der SPD kam ausgerechnet von Katharina Günther-Wünsch, damals mit der CDU noch in der Opposition. Der Antrag wurde mit den Stimmen der rot-grün-roten Koalition abgelehnt.
„Was fehlt, ist Verantwortungsbewusstsein für die, die Ihnen anvertraut wurden“, kritisierte die damalige bildungspolitische Sprecherin der CDU, Günther-Wünsch. Busse gebe keine Antworten auf dringende Fragen.
Astrid-Sabine Busse ist längst Geschichte.
Berliner-zeitung