Diskriminierung auf Rekordniveau: Ferda Ataman fordert mehr Schutz

Mehr als 11.400 Menschen haben sich voriges Jahr wegen Erfahrungen mit Diskriminierung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt – und damit so viele wie nie zuvor. Das geht aus einem Jahresbericht der Stelle hervor, den deren Chefin Ferda Ataman, die Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, am Dienstag vorgestellt hat.
Im Jahr 2023 hatten sich noch knapp 10.800 Ratsuchende an die Stelle gewandt, im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es Ataman zufolge nur etwas mehr als 4200 Anfragen. Die Zahl der Anfragen habe sich seit 2019 mehr als verdoppelt, betonte sie. Ergo: „Diskriminierung ist ein wachsendes Problem in Deutschland.“ Womöglich liegt der Anstieg aber auch an der zunehmenden Bekanntheit der Antidiskriminierungsstelle, die offenbar funktioniert. Zyniker könnten sagen, dass er Ataman zupasskomme – denn ohne Diskriminierungswelle keine Legitimation für eine Beauftragte.
Gefragt wie nie: Antidiskriminierungsstelle des BundesAuch eine Rangfolge lieferte Ataman mit: Die meisten Menschen berichten demnach von Rassismus – darunter fällt in dieser Systematik bemerkenswerterweise auch Antisemitismus. Was die Zahl der „Rassismusfälle“ natürlich steigen lässt. Es folgen Diskriminierungen wegen Behinderungen und Geschlecht.
Bei ihrem Vortrag wirkte die 45-jährige Ferda Ataman – von Hause aus Journalistin – sehr sicher und entschlossen in ihrem Vorhaben, an einer Verschärfung des vor 19 Jahren erlassenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes mitzuarbeiten, in dem die Benachteilungsmerkmale aufgelistet werden. Dieses AGG sei auch im internationalen Vergleich viel zu lasch, sagt sie.
Ataman will die Merkmalsliste um „Staatsangehörigkeit“, „sozialer Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“ erweitern. Zudem soll die veraltete Formulierung „aus Gründen der Rasse“ ersetzt werden durch „aufgrund rassistischer Zuschreibungen“.
Außerdem solle der Anwendungsbereich auf staatliches Handeln des Bundes ausgeweitet werden. Bisher regelt das Gesetz nur Diskriminierungen im Arbeitsleben und in der Privatwirtschaft. Atamans Haltung dazu ist klar: Der Staat sei ein Vorbild. Es könne deshalb nicht sein, dass an ein Wirtschaftsunternehmen oder an einen Supermarkt höhere Maßstäbe angelegt werden als an Ämter, Polizei oder Justiz.
Nun ist Ferda Ataman eine im politischen Diskurs umstrittene Besetzung für das Amt. Nicht nur, dass sie sogenannte Bio-Deutsche einst als „Kartoffeln“ abqualifizierte und sich damit in den Augen vieler für das Amt einer Diskriminierungsbeauftragten ungeeignet machte. Kritiker wie der Soziologe und Islamforscher Ahmad Mansour bescheinigen der ehemaligen Journalistin zudem „ein Weltbild, in dem Polizei böse und pauschal rassistisch“ sei.
So galt ihre Wahl vom Deutschen Bundestag im Juli 2022 als Eklat. Nur zähneknirschend und damals noch um des lieben Ampel-Friedens willen stimmte die FDP für die auf einem Grünen-Ticket aufgestellte Kandidatin Ataman. Am Ende stimmten 278 Abgeordnete gegen sie, 14 enthielten sich. Sie wurde für fünf Jahre gewählt.
Die Wahl durch den Bundestag und das Wörtchen „unabhängig“ in ihrem offiziellen Titel mögen etwas mit der Sicherheit zu tun haben, mit der Ataman am Dienstag auftrat. Beides schützt sie davor, möglicherweise hinausgeschmissen zu werden.
Schließlich hat sich die neue schwarz-rote Bundesregierung vorgenommen, 25 von vormals 43 Beauftragte hinauszuwerfen – um Geld zu sparen, wie es heißt. Es ist zwar offen, wie viel Geld das spart. Sicher ist aber: Ferda Ataman darf bleiben, sie besetzt einen der Posten, den die Bundesregierung gar nicht abschaffen kann, weil sie eine gesetzliche Grundlage haben. Dazu gehört neben ihrem etwa das Amt des Behindertenbeauftragten oder der Missbrauchsbeauftragten. Auch diese beiden tragen ein „Unabhängig“ im Titel.

Für Mehmet Daimagüler gilt das nicht. Der Rechtsanwalt, der einige Jahre im Bundesvorstand der FDP saß, wurde noch einige Monate vor Ataman Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland. Der erste seiner Art. Weil er jedoch vom Bundeskabinett ernannt wurde, trägt dieser Beauftragte kein „Unabhängig“ im Titel. Da verwunderte es nur wenig, dass Daimagülers Amt auf einer Beauftragten-Streichungsliste steht, die derzeit kursiert.
Die „Unabhängige“ Ferda Ataman sagte, sie würde es sich „sehr wünschen“, dass es diese Stelle weiterhin gibt. Schließlich, so Ataman, seien Sinti und Roma die hinter den Juden in Deutschland „zweitgrößte verfolgte Gruppe“ im Nationalsozialismus – Deutschland stehe da weiter in Verantwortung. Das United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) geht von rund 250.000 getöteten Sinti und Roma aus.
Passend für die aktuelle identitätspolitische Debatte wurde Ataman am Dienstag auch gefragt, ob sie sich darüber hinaus für einen Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus aussprechen. „Es wäre sehr sinnvoll, einen solchen Beauftragten zu haben“, sagte sie. Es sei wichtig, klare Ansprechpersonen zu haben, „Beauftragte sind eine ganz große Errungenschaft“.
Und sie kann im Zweifel ein Sprungbrett nach oben sein. So wurde ebenfalls 2022 die SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan vom Bundeskabinett – also nicht „unabhängig“ – zur ersten Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus berufen. Dieses Amt wird in Personalunion mit dem Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration geführt. In der neuen Bundesregierung ist Alabali-Radovan Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Diskriminierung? Ataman postet zum WeltmenstruationstagUnerwähnt blieb an diesem Dienstag übrigens, was Ferda Ataman noch am 28. Mai via Instagram gepostet hatte: 1,9 Milliarden Menschen menstruieren weltweit – durchschnittlich 65 Tage pro Jahr.
Trotz dieser Alltagsrelevanz sei die Menstruation oft immer noch ein Tabuthema – auch in der Forschung, heißt es in dem Post: Es gebe nur wenige qualitativ hochwertige Studien zu Hygieneprodukten, obwohl sie Gesundheit, Umwelt und soziale Teilhabe direkt beeinflussten.
Am 28. Mai sei der Weltmenstruationstag, heißt es weiter. Und: „Die Wahl des Datums ist kein Zufall. Es bezieht sich auf den Menstruationszyklus, der durchschnittlich 28 Tage dauert.“
Berliner-zeitung