Eine Berliner Straße für Helmut Kohl: Warum hat die CDU sich jahrelang nicht dafür interessiert?

Die Voraussetzungen sind gegeben: Helmut Kohls Verdienste um die deutsche Einheit – und damit auch um das Wiederzusammenwachsen der beiden Hälften Berlins – sind unbestritten. Noch wichtiger aber ist, so makaber es klingt: Helmut Kohl ist seit mehr als fünf Jahren tot, hat damit also die ungeschriebene Karenzzeit der Stadt für eine Straßenpatenschaft überschritten. Jetzt soll es so weit sein: Kohl, Bundeskanzler von 1982 bis 1998, soll mit einem Straßennamen in Berlin geehrt werden. Auch der Name, der dafür getilgt werden soll, ist bekannt: die Hofjägerallee in Mitte. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner hat die Lösung am Wochenende auf dem Parteitag der Berliner CDU verkündet.
Doch eine Frage bleibt: Warum dauert das so lange? Kohl starb vor mittlerweile acht Jahren im Juni 2017. Er ist also auch nach den strengen Berliner Regeln längst würdig, einen Straßennamen zu führen. Auch die zweite Bedingung ist erfüllt: Es gibt noch keine entsprechende Benennung in Berlin nach ihm.
Berlin: Die Hofjägerallee soll einer Helmut-Kohl-Straße weichenDas schwarz-rote Regierungsbündnis in Berlin schrieb sich im Frühjahr 2023 in den Koalitionsvertrag, dass man den Ehrenbürger Berlins im Straßenbild verewigen wolle. Das ist auch schon wieder fast zweieinhalb Jahre her, die Öffentlichkeit erfuhr seither nichts. Nur langsam lichtet sich vor dem Hintergrund von Wegners Ankündigung der Nebel.

So hat offenbar die Landesebene der normalerweise und formal zuständigen Bezirksebene signalisiert und verkündet: Wir kümmern uns. Jedenfalls wussten weder der CDU-Bezirksverband noch die BVV-Fraktion von der Variante mit der Hofjägerallee, wie sie auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilten. Das sei Sache von Landesspitze und Senatskanzlei – praktischerweise zusammengefasst in einer Person: Kai Wegner.
Wie schnell die Umbenennung jetzt voranschreitet, muss sich erst noch zeigen. Hört man CDU-Politikern zu, die etwas dazu hätten wissen können, fallen Einschätzungen wie „längst überfällig“ oder „jetzt einfach mal machen“. Aus manchen spricht eine gewisse Skepsis, etwa bei einem Abgeordnetenhaus-Mitglied, das sich namentlich lieber nicht nennen lassen möchte: „Das hat so lange gedauert, weil sich einfach niemand darum kümmert, sonst wäre der Straßenname längst da.“
Tatsächlich nämlich hat bei all den Mutmaßungen um die Dauer des Verfahrens die Hofjägerallee durchaus Merkmale, die sie perfekt geeignet erscheinen lassen: Sie liegt nicht weit entfernt vom Regierungsviertel, wo bereits Kohls Vorgänger Konrad Adenauer (CDU), Willy Brandt (SPD) und Ludwig Erhard (CDU) verewigt wurden. Doch der Platz dort ist knapp. Reichte es bei Adenauer und Brandt noch für zwei kurze Sträßchen – das Kanzleramt trägt die Adresse Willy-Brandt-Straße 1 –, wurde Erhard mit einem Spazierweg an der Spree, dem Ludwig-Erhard-Ufer, bedacht.
Hat Brandt also die möglicherweise prestigeträchtigere Adresse, so wurde bei Adenauer bei der Benennung im Jahr 1998 sogar mindestens ein Auge zugedrückt. So wird der erste Bundeskanzler bekanntlich bereits seit 1973 im Berliner Westen mit einem Platz gewürdigt.
Der Adenauerplatz ist die Rache West-Berlins am Kanzler der WestbindungDieser war damals allerdings allenfalls die zweite Wahl. Kurz nach Adenauers Tod im Jahr 1967 hatte das Bezirksamt Charlottenburg den Kaiserdamm nach ihm umbenannt. Die Berliner protestierten. Am Ende kamen rund 100.000 Unterschriften zusammen, die eine Würdigung des Kanzlers der Westbindung, des Befürworters der Hauptstadt Bonn, an diesem Ort ablehnten. Beim Adenauerplatz ein paar Jahre später blieb es eher still. Das Fleckchen an einer verkehrsumtosten Kreuzung am Kurfürstendamm galt lange als so etwas wie die gar nicht so stumme Rache West-Berlins an dem Mann, der im August 1961 neun Tage brauchte, um die über Nacht von einer Mauer eingeschlossene Halbstadt zu besuchen.
Ganz schön viel Adenauer also in Berlin. Verglichen dazu müssen die Brandt-Verehrer bis zum BER nach Schönefeld fahren, um sich auf einem weiteren Platz zu tummeln, der nach ihrem Idol benannt ist.

Der größte Vorteil der Hofjägerallee, die vom Großen Stern aus 420 Meter lang den Tiergarten in südlicher Richtung durchschneidet, liegt aber anderswo begründet. Laut dem Berliner Straßennamensverzeichnis wurde der Name am 1. Dezember 1832 vergeben. Einfacher Grund: An ihrem südlichen Ende befand sich demnach das Wohnhaus des königlichen Hofjägers. Das Haus gibt es schon lange nicht mehr. Tatsächlich gibt es an der Hofjägerallee heute überhaupt keine Anlieger, die ihre Adresse ändern müssten und deswegen auf die Barrikaden oder vor das Verwaltungsgericht gehen könnten. So wie es zuletzt bei der Umbenennung der Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße ebenfalls in Mitte geschehen ist.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten – zumindest aus Sicht der CDU. So hätte es den Christdemokraten sicher gefallen, wenn ihre Bundesgeschäftsstelle, das Konrad-Adenauer-Haus, künftig an der Helmut-Kohl-Straße liegen würde. Und das Gebäude steht ja auch nur einige hundert Meter weiter. Doch die Verlängerung der Hofjägerallee heißt seit 1961 Klingelhöferstraße. Benannt ist sie nach Gustav Adolf Karl Klingelhöfer, einem Kommunalpolitiker, der 1958 zum Stadtältesten der Stadt Berlin ernannt wurde. Klingelhöfer war Sozialdemokrat. Kaum vorstellbar, dass sein Name zugunsten Kohls aus dem Straßenverzeichnis getilgt werden könnte.
In Bernau ist eine Straße nach Helmut Schmidt benanntBei allen Mutmaßungen und Seltsamkeiten um die späte Kohl-Ehrung bleibt dennoch eines bestehen: Es gibt außer ihm weitere verstorbene frühere Kanzler, die bisher im Berliner Straßennamenverzeichnis nicht geführt werden. Und sie sind schon länger tot als der Pfälzer. So fehlt eine entsprechende Würdigung für den 1988 verstorbenen Kurt Georg Kiesinger (CDU), ebenso für den 2015 verstorbenen Helmut Schmidt (SPD). Bei Kiesinger mag das auch in der recht kurzen Amtszeit und fehlender Wirkmächtigkeit (1966 bis 1969) begründet sein, bei Schmidt (1974 bis 1982) ziehen diese Argumente nicht.
Während Kiesinger nirgends in der gesamten Metropolregion gewürdigt wird, gibt es sehr wohl eine Helmut-Schmidt-Allee: allerdings nicht in Berlin, sondern in Bernau. Dorthin war im Zweiten Weltkrieg von 1943 bis 1945 der Oberleutnant der Luftwaffe abkommandiert. 2016 wurde im Ortsteil Schönow die Pappelallee kurzerhand umbenannt und damit an den später so berühmten Bewohner erinnert.
Berliner-zeitung